So hören sich Rechtfertigungs- und Erklärungsversuche an, wenn es um Jugendsünden geht, die plötzlich ans Licht gekommen sind, und genau das ist hier der Fall. Der sich hier verteidigt, heißt Leo Sfax und ist Literaturprofessor an der Universität von New Harbor, USA. Nicht irgendeiner allerdings, sondern ein wirklicher Star, Schöpfer einer Theorie, die in Fachkreisen tatsächlich nur die Theorie heißt. Die ist zwar zum Teil abgekupfert von gewissen französischen Theoretikern, aber für den amerikanischen Universitätsbetrieb zurechtgemacht und in den USA eine Sensation. Vom Tod des Autors spricht diese Theorie, davon, daß die Wörter "älter, launischer und erfahrener sind als die Schriftsteller", daß es der Text ist, der seinen Autor schreibt und nicht umgekehrt, und daß der Text auf viele Arten lesbar ist und nicht der Autor verfügen kann, wie er zu lesen sei.
Daß irgendwann jemand auf die Idee kommt, eine Biographie des Literaturwissenschaftlers Sfax zu schreiben, liegt auf der Hand. In diesem Fall ist es die Studentin Astrid Hunneker, die an derselben Universität ihre Dissertation schreibt, wenn auch bei einem anderen Professor. Sie erscheint eines Tages in Sfax' Büro und bittet ihn um seine Kooperation bei der Abfassung der Biographie. Das ist die Eingangsszene des Romans, die in seinem Verlauf noch zweimal fast wortwörtlich wiederholt wird, so wie der Professor Sfax auch mehrmals ansetzt, um seine Geschichte zu erzählen. Diese Situation nämlich, daß jemand zu ihm kommt, um Unterstützung bei der Abfassung seiner Biographie zu erfragen, hat Sfax nach eigenen Worten schon lange erwartet und befürchtet: "Wie konnte sie ahnen, daß ich seit bald siebzehn Jahren auf jemanden wartete, der mir sagte, was sie gerade gesagt hatte - darauf wartete, daß dieses Ereignis endlich eintrete, als sei seine 'Stunde' gekommen?"
Denn was Leo Sfax, in Frankreich geboren und erst nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in die Vereinigten Staaten ausgewandert, bisher erfolgreich verbergen konnte, das ist eine Reihe von Zeitungsartikeln mit antisemitischer Tendenz, die er während der Zeit der deutschen Besatzung für das Kollaborationsblatt "Je suis partout" geschrieben hat. Zwar hat der Autor schon damals sich vom "vulgären Antisemitismus" abgesetzt und sich dem verfeinerten zugewandt, seinen Texten also die Mehrdeutigkeit schon eingeschrieben, die später das Fundament seiner Theorie sein wird. Es ist der Leser, der der kompetente Interpret des Textes ist, nicht der Autor, der, nachdem er ihn entlassen, nicht länger über ihn verfügen kann. Eine Schandtat, so nennt es Sfax selbst, bleibt es gleichwohl, zumal er sich in den USA längst zu einem ehemaligen Widerstandskämpfer umgelogen hat.
Natürlich ist dieser Fall bekannt. Es ist die Geschichte des Ende der vierziger Jahre aus Belgien ausgewanderten Literaturwissenschaftlers Paul de Man, Begründer des Dekonstrukivismus, der seit 1971 an der Yale University unterrichtete. Seine Artikel für die damals kollaborierende belgische Tageszeitung "Le Soir" wurden erst vier Jahre nach de Mans Tod im Jahre 1983 bekannt, nach dem Tod des Autors also. Gilbert Adair hat seinen Roman über diesen Fall ebenfalls "Der Tod des Autors" genannt, und dieser Titel bezieht sich nicht nur auf die von Sfax vertretene Theorie, sondern ist auch wörtlich zu nehmen: wie, das kann hier nicht verraten werden, da es sich bei Adairs Roman auch um einen Kriminalroman handelt.
Der Fall Paul de Man scheint Romanautoren anzuziehen. Vor einigen Jahren wurde de Man schon einmal zu einer literarischen Figur, in Lars Gustafssons Roman "Die Sache mit dem Hund", der sich der Frage "Wie kommt das Böse in die Welt?" widmete. Dort heißt er Jan van de Rouwers, gebürtiger Holländer, und lehrt an der Universität in Austin, Texas. Auch er hat sich später zu einem Widerstandskämpfer umgeschaffen, und auch dort werden seine frühen antisemitischen Artikel entdeckt, weil ein eifriger junger Forscher eine vollständige Bibliographie erstellen will. Die Anziehungskraft, die dieser Stoff auf Autoren ausübt, ist leicht erklärbar, kreist er doch um die Fragen: Wieviel Interpretationskompetenz, aber auch wieviel Verantwortung hat ein Autor für den eigenen Text? Wenn der Text Mehrdeutigkeit transportiert, trifft das dann nicht auch für die eigene Biographie zu, je nachdem, wie man sie erzählt? Ist es wichtig, was man sagt, oder ist es wichtiger, daß man überhaupt etwas sagt?
Für Leo Sfax ist es offenbar wichtiger, daß er überhaupt etwas sagen kann, ein Bedürfnis, das jeder Autor verstehen wird. Deshalb nimmt er das Angebot an, für "Je suis partout" zu schreiben. Die Einladung dazu kommt übrigens von dem Theaterkritiker dieser Zeitung, der im Roman Laubreaux heißt. "Der einzige Erfolg, der wirklich zählt, ist jener, den man seinen natürlichen Talenten verdankt", sagt Laubreaux zu dem jungen Leo Sfax, der schon in den Jahren vor dem Krieg einige kluge Artikel veröffentlicht hat. "Also wehren Sie sich nicht dagegen ... Fangen Sie etwas an mit Ihren Talenten. Der Kluge kann alles vertreten, wenn er nur will, und Sie haben, ich sage es noch einmal, gar keine andere Wahl."
Von Laubreaux, so der Erzähler, "hieß es, niemand habe den Mut, ihn zum Feind zu haben, und niemand Lust, sein Freund zu sein." In Truffauts Film "Die letzte Metro" nimmt der Theaterkritiker von "Je suis partout" eine ähnliche Position ein, was die von Catherine Deneuve gespielte Theaterchefin Madame Steiner in große Verlegenheiten stürzt, nur daß er hier Daxiat heißt und nicht Laubreaux.
Anspielungen dieser Art benutzt Adair in seinem Roman öfter. So erscheint eines Tages David Lodge zu einer Gastvorlesung an der Universität von New Harbor, der Altmeister des Campusromans. Auch mein Roman, sagt uns Gilbert Adair, ist als Campusroman zu lesen. Das sind jedoch mehr als Spielereien. Durch Bezüge dieser Art schafft und verdeutlicht Adair das intellektuelle Klima, in dem das Gewebe von Autorschaft und Interpretation, alter Schuld und fiktiverr Biographie gesponnen wird, das schließlich ganz handfest zu Mord und Totschlag führt. Dabei ist hier niemand eindeutig zu verurteilen und niemand ein wirklicher Sympathieträger, am ehesten vielleicht Leo Sfax' Kollge Gillingwater, ein biederer, nicht sonderlich inspirierter Literaturwissenschaftler alter Prägung, ohne Ehrgeiz und ohne Talent zum Intrigantentum. Dieser reine Tor ist dann auch prompt das erste Todesopfer des Romans. Aber auch auf Leo Sfax, der so viel Schuld angehäuft hat, mag der Leser nicht den Stein werfen, denn zu eindringlich zeigt Adair in Gestalt seines Erzählers das Dilemma und die Korrumpierbarkeit der Intellektuellen, deren einzige Macht das Wort ist - nicht nur in politisch schwierigen Zeiten - und die sich nichts sehnlicher wünschen als ein Forum, auf dem sie öffentlich sagen können, was sie sagen möchten.
"Wer also sollte mir Vorwürfe machen, weil ich mich für das einzige mir tatsächlich angebotene Forum entschied, wohl nicht für eines, das ich gewählt hätte, wären gleichwertige Angebote vorhanden gewesen, sondern für eines, von dem ich blauäuig annahm, ich würde es meinen eigenen Bedürfnissen dienstbar machen können? Daß ich in ‘Je suis partout’ am Ende dieselben erbärmlichen Platitüden von mir geben sollte wie die Handlanger, Lakaien und Speichellecker ..., diese Schmach wird mich ewig verfolgen. Doch läßt sich dem auch, über das persönliche Versagen hinaus, eine Art Moral entnehmen, die von der Macht des Mediums, welches jede individuelle Meinung, die sich darin noch äußern könnte, unter sich begräbt."
Damit wären wir wieder beim Tod des Autors. Der zuletzt zitierte Satz wird verkürzt verstanden, wenn man ihn nur als Rechtfertigungsversuch von Leo Sfax nimmt, denn er enthält seine Wahrheit. Deshalb ist Adairs Roman mehr als "eine glänzende schwarze Satire auf intellektuelle Windmacherei", wie die britische Presse schrieb. Er geht über das literarische Kabinettsstück, das er auch ist, weit hinaus und darf und soll als moralische Parabel gelesen werden.
Daß irgendwann jemand auf die Idee kommt, eine Biographie des Literaturwissenschaftlers Sfax zu schreiben, liegt auf der Hand. In diesem Fall ist es die Studentin Astrid Hunneker, die an derselben Universität ihre Dissertation schreibt, wenn auch bei einem anderen Professor. Sie erscheint eines Tages in Sfax' Büro und bittet ihn um seine Kooperation bei der Abfassung der Biographie. Das ist die Eingangsszene des Romans, die in seinem Verlauf noch zweimal fast wortwörtlich wiederholt wird, so wie der Professor Sfax auch mehrmals ansetzt, um seine Geschichte zu erzählen. Diese Situation nämlich, daß jemand zu ihm kommt, um Unterstützung bei der Abfassung seiner Biographie zu erfragen, hat Sfax nach eigenen Worten schon lange erwartet und befürchtet: "Wie konnte sie ahnen, daß ich seit bald siebzehn Jahren auf jemanden wartete, der mir sagte, was sie gerade gesagt hatte - darauf wartete, daß dieses Ereignis endlich eintrete, als sei seine 'Stunde' gekommen?"
Denn was Leo Sfax, in Frankreich geboren und erst nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in die Vereinigten Staaten ausgewandert, bisher erfolgreich verbergen konnte, das ist eine Reihe von Zeitungsartikeln mit antisemitischer Tendenz, die er während der Zeit der deutschen Besatzung für das Kollaborationsblatt "Je suis partout" geschrieben hat. Zwar hat der Autor schon damals sich vom "vulgären Antisemitismus" abgesetzt und sich dem verfeinerten zugewandt, seinen Texten also die Mehrdeutigkeit schon eingeschrieben, die später das Fundament seiner Theorie sein wird. Es ist der Leser, der der kompetente Interpret des Textes ist, nicht der Autor, der, nachdem er ihn entlassen, nicht länger über ihn verfügen kann. Eine Schandtat, so nennt es Sfax selbst, bleibt es gleichwohl, zumal er sich in den USA längst zu einem ehemaligen Widerstandskämpfer umgelogen hat.
Natürlich ist dieser Fall bekannt. Es ist die Geschichte des Ende der vierziger Jahre aus Belgien ausgewanderten Literaturwissenschaftlers Paul de Man, Begründer des Dekonstrukivismus, der seit 1971 an der Yale University unterrichtete. Seine Artikel für die damals kollaborierende belgische Tageszeitung "Le Soir" wurden erst vier Jahre nach de Mans Tod im Jahre 1983 bekannt, nach dem Tod des Autors also. Gilbert Adair hat seinen Roman über diesen Fall ebenfalls "Der Tod des Autors" genannt, und dieser Titel bezieht sich nicht nur auf die von Sfax vertretene Theorie, sondern ist auch wörtlich zu nehmen: wie, das kann hier nicht verraten werden, da es sich bei Adairs Roman auch um einen Kriminalroman handelt.
Der Fall Paul de Man scheint Romanautoren anzuziehen. Vor einigen Jahren wurde de Man schon einmal zu einer literarischen Figur, in Lars Gustafssons Roman "Die Sache mit dem Hund", der sich der Frage "Wie kommt das Böse in die Welt?" widmete. Dort heißt er Jan van de Rouwers, gebürtiger Holländer, und lehrt an der Universität in Austin, Texas. Auch er hat sich später zu einem Widerstandskämpfer umgeschaffen, und auch dort werden seine frühen antisemitischen Artikel entdeckt, weil ein eifriger junger Forscher eine vollständige Bibliographie erstellen will. Die Anziehungskraft, die dieser Stoff auf Autoren ausübt, ist leicht erklärbar, kreist er doch um die Fragen: Wieviel Interpretationskompetenz, aber auch wieviel Verantwortung hat ein Autor für den eigenen Text? Wenn der Text Mehrdeutigkeit transportiert, trifft das dann nicht auch für die eigene Biographie zu, je nachdem, wie man sie erzählt? Ist es wichtig, was man sagt, oder ist es wichtiger, daß man überhaupt etwas sagt?
Für Leo Sfax ist es offenbar wichtiger, daß er überhaupt etwas sagen kann, ein Bedürfnis, das jeder Autor verstehen wird. Deshalb nimmt er das Angebot an, für "Je suis partout" zu schreiben. Die Einladung dazu kommt übrigens von dem Theaterkritiker dieser Zeitung, der im Roman Laubreaux heißt. "Der einzige Erfolg, der wirklich zählt, ist jener, den man seinen natürlichen Talenten verdankt", sagt Laubreaux zu dem jungen Leo Sfax, der schon in den Jahren vor dem Krieg einige kluge Artikel veröffentlicht hat. "Also wehren Sie sich nicht dagegen ... Fangen Sie etwas an mit Ihren Talenten. Der Kluge kann alles vertreten, wenn er nur will, und Sie haben, ich sage es noch einmal, gar keine andere Wahl."
Von Laubreaux, so der Erzähler, "hieß es, niemand habe den Mut, ihn zum Feind zu haben, und niemand Lust, sein Freund zu sein." In Truffauts Film "Die letzte Metro" nimmt der Theaterkritiker von "Je suis partout" eine ähnliche Position ein, was die von Catherine Deneuve gespielte Theaterchefin Madame Steiner in große Verlegenheiten stürzt, nur daß er hier Daxiat heißt und nicht Laubreaux.
Anspielungen dieser Art benutzt Adair in seinem Roman öfter. So erscheint eines Tages David Lodge zu einer Gastvorlesung an der Universität von New Harbor, der Altmeister des Campusromans. Auch mein Roman, sagt uns Gilbert Adair, ist als Campusroman zu lesen. Das sind jedoch mehr als Spielereien. Durch Bezüge dieser Art schafft und verdeutlicht Adair das intellektuelle Klima, in dem das Gewebe von Autorschaft und Interpretation, alter Schuld und fiktiverr Biographie gesponnen wird, das schließlich ganz handfest zu Mord und Totschlag führt. Dabei ist hier niemand eindeutig zu verurteilen und niemand ein wirklicher Sympathieträger, am ehesten vielleicht Leo Sfax' Kollge Gillingwater, ein biederer, nicht sonderlich inspirierter Literaturwissenschaftler alter Prägung, ohne Ehrgeiz und ohne Talent zum Intrigantentum. Dieser reine Tor ist dann auch prompt das erste Todesopfer des Romans. Aber auch auf Leo Sfax, der so viel Schuld angehäuft hat, mag der Leser nicht den Stein werfen, denn zu eindringlich zeigt Adair in Gestalt seines Erzählers das Dilemma und die Korrumpierbarkeit der Intellektuellen, deren einzige Macht das Wort ist - nicht nur in politisch schwierigen Zeiten - und die sich nichts sehnlicher wünschen als ein Forum, auf dem sie öffentlich sagen können, was sie sagen möchten.
"Wer also sollte mir Vorwürfe machen, weil ich mich für das einzige mir tatsächlich angebotene Forum entschied, wohl nicht für eines, das ich gewählt hätte, wären gleichwertige Angebote vorhanden gewesen, sondern für eines, von dem ich blauäuig annahm, ich würde es meinen eigenen Bedürfnissen dienstbar machen können? Daß ich in ‘Je suis partout’ am Ende dieselben erbärmlichen Platitüden von mir geben sollte wie die Handlanger, Lakaien und Speichellecker ..., diese Schmach wird mich ewig verfolgen. Doch läßt sich dem auch, über das persönliche Versagen hinaus, eine Art Moral entnehmen, die von der Macht des Mediums, welches jede individuelle Meinung, die sich darin noch äußern könnte, unter sich begräbt."
Damit wären wir wieder beim Tod des Autors. Der zuletzt zitierte Satz wird verkürzt verstanden, wenn man ihn nur als Rechtfertigungsversuch von Leo Sfax nimmt, denn er enthält seine Wahrheit. Deshalb ist Adairs Roman mehr als "eine glänzende schwarze Satire auf intellektuelle Windmacherei", wie die britische Presse schrieb. Er geht über das literarische Kabinettsstück, das er auch ist, weit hinaus und darf und soll als moralische Parabel gelesen werden.