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Der Tod in den Medien

Landesbischöfin Margot Käßmann hat es gut gemeint. "You'll never walk alone" predigte sie in der überfüllten Hannoveraner Marktkirche Robert Enke hinterher.

Von Grit Hartmann |
    Dem Torsteher, der erst durch seine einsame Selbsttötung öffentlich zu dem Menschen geworden ist, der er war. Ihre Botschaft, Krankheit und Leiden gehörten zum Leben auch erfolgreicher Menschen, sprach an, was die enorme Öffentlichkeit für Robert Enkes Tod zum Teil erklärt:

    Nicht jeder ist reich oder berühmt, aber jeder hat schon gelitten und sich Beistand gewünscht. In diesem Resonanzraum kann sich die Trauergemeinde zahlreich einfinden. Auch Fußball-Präsident Theo Zwanziger leitete eine Hausaufgabe ab: Themen wie Depression dürften kein Tabu mehr sein. Enkes Tod werde, selbstverständlich, den deutschen Fußball verändern.

    Dieser therapeutische Diskurs läuft darauf hinaus, dass es reichen könnte, mehr in die Nähe zu sehen als beispielsweise, ins Fernsehen. Schon damit offenbart sich, wie sehr er die Realität des Showsports verstellt. Auf diese Realität hat gestern der Philosoph Gunter Gebauer hingewiesen. Der Profifußball sei eine unerbittliche Welt, die den Übermenschen verlange. Den Athleten, an dem es spurlos abprallt, wenn er für ein Wochenende zum Helden hochgejazzt und am nächsten als Versager ausgepfiffen wird. Fürs moderne Fußball-Söldnertum ist kennzeichnend, dass dieser Übermensch nicht mehr nur sein Körper-Kapital maximal verwertet. Längst auch hat er seine Emotionen der Verwertungsdynamik unterworfen: Gelb bestraft unziemliches Jubeln, Geldbußen Kritik am Verein.

    Das bei Medien und Sponsoren vermarktbare Vorbildprojekt von Liga und Clubs ist der Profi mit Gefühlen auf Stand-by-Funktion, trainiert aufs Pendeln zwischen öffentlichem und privatem Selbst. Er weiß, dass nicht nur die Niederlage, sondern auch die Emotion zum Skandal werden kann. Diesen Mechanismus zu bedienen, durch Anpassung oder kalkulierte Abweichung, ist Teil des Geschäfts.

    Auch deshalb schwingt im Appell, das Thema Depression zu enttabuisieren, das übliche Entlastungsmanöver mit. Das System wirft die Mythenmaschine an, wie immer, wenn es sich bedroht fühlt. Es preist nun einen Wert, den es selbst bedenkenlos preisgegeben hat: die Authentizität der Stars. Sie sollen ihre Seelen öffnen zum Zwecke der Heilung. Im Fall von Robert Enke ist ein solcher Appell eine weitere Frage wert: Verlängert er nicht gerade jenen Machbarkeitsglauben, den das zeitgenössische Theaterstück Sport bevorzugt in die Gesellschaft transportiert?

    Die Unterhaltungsindustrie Fußball, wir wissen es, halluziniert die heroische Persönlichkeit, die kämpft, leidet, aber am Ende dennoch siegt – den Leistungsträger in mediengerechtester Gestalt. Es wäre gut, wenn aus der übergroßen Aufmerksamkeit für Robert Enkes Suizid das Brüchigwerden dieser Idee spräche. Solange jedoch an der Spitze der Trauerdramaturgie diejenigen aus Sport, Wirtschaft und Medien stehen, die gemeinschaftlich die Bühne zum Geschäftsmodell entleert haben und darüber schweigen, deutet viel auf einen simpleren Vorgang. Einmal mehr würde Bekanntes inszeniert: Über Sporthelden werden wir zu Fans unserer selbst. Wie schon in der ausgelassenen Selbstbezüglichkeit des Sommermärchens 2006 feiern wir uns selbst. Nur feiern wir diesmal unsere Anteilnahme.