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Der Tod ist universal

In den 90ern wurde sie berühmt: Die serbische Schriftstellerin Biljana Srbljanovic brachte ihr Belgrader Kriegstagebuch heraus, das sie während des NATO-Kriegs gegen Jugoslawien geschrieben hatte. Und in ihrem Stück "Belgrader Trilogie" zeigte sie junge Menschen aus Serbien, die geflohen waren, weil sie die Kriege ihrer Väter nicht mitmachen wollten. Nun also eine Auftragsarbeit für das Bochumer Schauspielhaus.

Von Christiane Enkeler | 04.12.2011
    Ihr neues Drama "Das Leben ist kein Fahrrad" basiert auf einer Rede, die Biljana Srbljanovic Anfang 2010 im Wiener Burgtheater gehalten hat. Sie hatte ihren Vater zeitgleich zur Einladung nach Wien ins Krankenhaus gebracht, er begann zu sterben, und ganze Abschnitte von biestig-zärtlichen Auseinandersetzungen zwischen den beiden, die die Rede dokumentiert, sind fast wörtlich ins Stück eingegangen.

    Das Titel gebende "Fahrrad" schenkt der Vater der Tochter, im wirklichen Leben und im Drama, ein Fahrrad, um es ihr bald wieder zu verbieten. Später im Stück tröstet ein Soldat den sterbenden Vater, indem er den Tod mit einem Fahrrad vergleicht: "Der Tod ist kein Fahrrad", sagt er. Man kann ihn nicht klauen, nicht lenken, nicht verschenken und nicht runterfallen. "Der Tod tut dir nichts."

    Xenia Snagowski spielt die mit ihrem sterbenden Vater wartende und zankende Nadesda. Im selben Krankenhaus stirbt der Patriarch. Nadesda und ihr Vater kommentieren beide grimmig die Fernsehübertragung der Bestattung. Die Glocken begleiten ihre eigene Unterhaltung über den Tod. Eine Leinwand im Bühnenhintergrund zeigt ein Foto mit Stadtmotiv, gespenstisch geistern immer wieder projizierte Filmbilder darüber, wenn Nadesda und ihr Vater fernsehen. Nebenan im Bett liegt ein Soldat, eine Art Woyzeck mit unbehandelter Psychose. Der Psychiater schickt ihn nach einem Selbstmordversuch zurück zur Truppe, wo der Soldat erst in die Mannschafts-Erbsensuppe scheißt und sich dann erschießt. Der Psychiater selbst wohnt bei seiner Mutter, einer Politikerin, die von "Ropac", der letzten männlichen Figur im Stück, entweder beraten oder unter Druck gesetzt wird. Ropac ist Alkoholiker und für die 16-jährige Tochter seines Chefs eine Art Vater, denn ihr eigener erscheint nicht.

    Bochums Intendant Anselm Weber inszeniert ein Team von sehr guten Schauspielern in diesen drei, vier Episodenzusammenhängen, deren Handlungsstränge sich immer wieder überlagern. Aber auf der weißen Bühne von Raimund Bauer, in der Küche, Krankenhaus, Wohnzimmer ineinander übergehen, fällt doppelt auf, wie wenig entspannt sie spielen, immer einen Tick aufgesetzt, immer wieder diese nervöse Stimmung, die vor Schmerz und Begegnung wegläuft. Doch je häufiger diese Oberfläche bröckelt, desto mehr spürt man, dass es hier genau um diese Nuance Überspannung geht, wenn Menschen, ängstlich, ratlos, überfordert von einer Grenzsituation, gereizt und aktionistisch werden.

    Drei schwarz gekleidete Musiker sorgen für leicht groteske Szenen in einem Bühnenbild voller auf dem Boden ausgelegter, gelegentlich leicht flackernder Neonröhren – ein Hauch von verkehrter Welt, denn die Röhren müssten ja eigentlich an der Decke hängen. Der Vater stirbt, indem er einem Musiker von der Bühne folgt.

    Dieser stille Bühnenabgang ist hier die schärfste Formulierung eines doch recht deutlichen Totentanz-Motivs. Heiter und böse wirbeln und schleppen sich die Figuren durch Dialoge, in denen sie Nähe suchen und Abwesenheit finden.
    Das ist nicht unbedingt in jedem Moment fesselnd und hält auch auf Abstand. Manche Passagen dehnen sich, man könnte fast sagen: ewig. Wie die ersten beiden Szenen, da warten die Figuren. Vergeblich. Auf einen Arzt. Auf einen Vater.

    Überraschend "totenblass" und bleich ist es geworden, dieses neue Stück. Nicht ganz so bildreich, nicht ganz so kontrastreich wie frühere Stücke. Die Regiekommentare der Autorin, zwischenzeitlich sehr umfangreich geworden, sind hier karger.

    Die Motive von Totenblässe, Leere, Warteraum spiegeln sich strukturell in Text und Aufführung. Das ist auf ganz leise Art doch immer wieder sehr dramatisch, gut gespielt und inszeniert.

    Der Vater steht für eine jugoslawische Generation von Vätern, die Familien aufzubauen versuchte und dann älter und kränker wurde, als die Welt um sie herum zusammenbrach, ohne dass Zeit und Land sich um sie kümmerten. Srbljanovics Drama bezieht seine am Ende emotional durchschlagende Kraft für uns aber daraus, dass es noch allgemeingültiger ist: Nadesdas Vater ist in diesem Stück der einzige Mann, der überhaupt Kontra und damit Halt bietet. Als er stirbt, ist das ein unfassbar trauriger Verlust, der mit voller Wucht trifft.

    Die Suche nach neuen Ordnungen oder Leitfiguren ist eine nicht nur in Europa gerade besonders virulente. Ein Stück, das die Abwesenheit solcher Figuren mit dem Tasten nach Menschlichkeit und Fürsorge füreinander verbindet, könnte man als Plädoyer lesen.

    Der Tod ist dabei universal. Jeder muss mit, das ist der Kern des Totentanzes.