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Der Ton macht die Musik

Biologie. - Schmetterlingsraupen sind eigentlich ein gefundenes Fressen für Ameisen. Manche Raupen allerdings gedeihen gerade im Inneren von Ameisenbauten. Wie italienische und britische Wissenschaftler im Fachmagazin "Science" berichten, erreichen sie das durch chemische und akustische Täuschung.

Von Christine Westerhaus |
    Für die Larven des Kreuzenzian-Ameisen-Bläulings ist das wichtigste, dass die Chemie stimmt. Denn nur mit dem spezifischen Botenstoff-Gemisch ihrer Wirte gelingt es ihnen, in das Nest der Knotenameise zu kommen. Akzeptieren die Arbeiterinnen die chemische Ameisen-Verkleidung der Raupen, werden sie von ihnen ins Nest getragen. Dort angekommen, genießen die schmarotzenden Raupen alle Vorteile, die ein Ameisenstaat bietet: Futter, Schutz und Wärme und das alles, ohne selbst etwas dafür tun zu müssen. Doch nicht nur die passende Ameisen-Chemie entscheidet über den Erfolg der Parasiten. Sie müssen auch den richtigen Ton treffen:

    "Wir haben entdeckt, dass die Raupen auch die Geräusche der Ameisenköniginnen imitieren, sobald sie im Nest angekommen sind. Die Arbeiterinnen denken deshalb, dass sie etwas ganz besonderes gefunden haben. Etwas, das eine besondere Pflege braucht, und deswegen widmen sie den Raupen all ihre Aufmerksamkeit und Nahrung."

    So Jeremy Thomas vom Institut für Biologie der Oxford Universität. Für eine Königin gehalten zu werden, hilft einer Schmetterlingsraupe besonders in schwierigen Zeiten. Denn wenn die Nahrung knapp wird, genießt sie als vermeintliches Staatsoberhaupt eine Sonderstellung. Thomas:

    "Im Ameisenstaat herrscht eine strikte Hierarchie, und die Königinnen stehen in dieser Rangordnung ganz oben. Wenn es nicht genügend Nahrung gibt, teilen die Ameisen ihre eigenen Eier und Larven untereinander auf und fressen sie. Die Königinnen sind dann diejenigen, die am meisten bekommen. Deshalb ist es für eine schmarotzende Raupe ein Vorteil, für eine Königin gehalten zu werden. Sie sind dann nicht diejenigen, die von den Ameisen in kleine Stücke zerteilt und aufgefressen werden."

    Dass die Arbeiterinnen sich durch die Geräusche der Schmarotzer-Larven täuschen lassen, haben die Forscher mit so genannten Playback Versuchen herausgefunden. Sie nahmen die Geräusche der Schmetterlingsraupen auf und spielten sie den Ameisen vor. Thomas:

    "Die Ameisen behandelten die Mikrofone, als ob sie Königinnen aus ihrem eigenen Nest wären. Und das zeigt, dass es wirklich die Geräusche sind, auf die die Ameisen hereinfallen."

    Erstaunlich ist, dass die Geräusche der Königinnen und der Schmetterlingslarven auf unterschiedliche Weise entstehen. Die Ameise besitzt an ihrem Hinterleib ein so genanntes Stridulationsorgan, eine Art Waschbrett über das sie mit ihrem Chitinpanzer reibt. Das erzeugt knarzende Geräusche, die das menschliche Gehör ohne Verstärkung gerade noch wahrnehmen kann. Woher die Geräusche der Schmetterlingsraupen stammen, ist den Forschern dagegen nicht genau klar. Sie vermuten jedoch, dass die Larven sie durch Muskelkontraktionen erzeugen. Selbst für menschliche Ohren klingen diese beiden Geräusche nicht gerade zum verwechseln ähnlich. Jeremy Thomas glaubt deshalb, dass die Ameisen eher auf den Rhythmus der Töne auf den Gesamteindruck der Geräusche reagieren.

    "Es ist mehr die Frequenz und der Takt der Töne, der charakteristisch ist. Um einen nicht ganz korrekten Vergleich zu machen: Es ist in etwa so, als ob die Ameisen eine Violine spielen und die Schmetterlingsraupen eine Tuba oder Oboe. Und die Arbeiterinnen erkennen dann die Töne, auch wenn sich die Geräusche insgesamt unterschiedlich anhören."

    Dass auch die Arbeiterinnen Laute erzeugen, ist für die Forscher ebenfalls eine wichtige Entdeckung. Diese klingen anders als die der Königinnen und deshalb vermuten Thomas und seine Kollegen, dass Ameisen sich auch durch akustische Signale organisieren. Bisher gingen Biologen davon aus, dass Ameisen fast ausschließlich über ihren Geruchssinn und gegenseitiges Betasten kommunizieren. Ob auch Arbeiterinnen versuchen, sich durch königliche Geräusche einen lauen Lenz zu machen, haben die Forscher noch nicht belauscht. Jeremy Thomas glaubt jedoch, dass im Sozialsystem Ameisenstaat auch diese Betrugsmöglichkeit ausgenutzt wird. Thomas:

    "Es gibt viele Ameisen im Staat, die die anderen betrügen und sich auf die faule Haut legen. Für mich ist es deshalb so gut wie sicher, dass diese Schmarotzer auch die Geräusche der Königin imitieren, wenn es für sie Vorteile bringt. Das ist momentan natürlich reine Spekulation, aber es ist für mich sehr wahrscheinlich dass wir das bei weiteren Studien beobachten werden."