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Der Träumer vom Reich

Er galt als Verlierer, trotzdem hat sein Leben einiges zu bieten: Der mittelalterliche Kaiser Otto IV. und sein Traum vom welfischen Kaisertum stehen im Mittelpunkt einer Ausstellung des Landesmuseums Braunschweig.

Von Wolfgang Stenke | 07.08.2009
    Der Welfenkaiser Otto IV. (1175 bis 1218) taucht in den Handbüchern zur Reichsgeschichte als "Fußnotenkaiser" auf. Er konnte sich nur mit Glück gegen den Rivalen aus der Dynastie der Staufer durchsetzen. In der Schlacht von Bouvines fügte der französische König, der mit den Staufern verbündet war, ihm eine krachende Niederlage zu. So war Otto IV. gegen Ende seiner Regentschaft gezwungen, sich auf die angestammten Braunschweiger Territorien zurückzuziehen. In seiner Geburtsstadt Braunschweig hat man ihm jetzt eine große Ausstellung gewidmet: "Otto IV. - Traum vom welfischen Kaisertum". Projektleiter Hans-Joachim Derda vom Braunschweigischen Landesmuseum:

    "Wir haben tatsächlich unmittelbar nach dem Tode bis im Grunde zum 19. Jahrhundert kaum Kenntnis von Otto und bestenfalls dann immer in der Auseinandersetzung mit den Staufern, wobei die Staufer dann immer als positiver angesehen werden. Und das lag letztendlich auch daran: 'Mensch, Otto war ein Loser.'"

    Aber auch die Biografie eines "Losers" kann spannend sein, wie diese Ausstellung belegt: Der Sohn Heinrichs des Löwen wuchs am Hofe seines Onkels auf, des anglo-normannischen Königs Richard Löwenherz. Nicht nur die dynastischen Bezüge, die nach England und Frankreich reichen, machen den Welfen Otto IV. zu einer Figur der europäischen Geschichte. Im Konflikt mit dem Papsttum und den Reichsfürsten zeigt sich die Verschränkung des politischen Handelns auf deutschen Territorien mit der Historie der abendländischen Welt des 13. Jahrhunderts. Wer hier politische Legitimation erhalten wollte, der brauchte die Weihe des Papstes in Rom. Das Selbstbewusstsein Ottos IV. in dieser Auseinandersetzung dokumentiert seine Darstellung auf einem Siegel. Hans-Joachim Derda:

    "Um seine Vorherrschaft vor der weltlichen Herrschaft zu belegen, verglich der Papst sich mit der Sonne, die sozusagen den Mond beleuchte. Und so wie die Sonne den Mond beleuchte, scheine auch der Papst auf einen weltlichen Herrscher. Was machte Otto? Der ließ sich das nicht gefallen. Er sagte: 'Wenn das so ist, dann kann ich sowohl Sonne als auch Mond auf mein Siegel setzen und ich habe sozusagen beide Funktionen.'"

    So, um es modern zu sagen, "tickte" dieser Welfe. Die niedersächsische Landesausstellung über Otto IV. präsentiert ihn in historischer Umgebung: Gleich gegenüber vom Landesmuseum steht die neuzeitliche Rekonstruktion der Pfalz Ottos IV., daneben der Dom St. Blasii, die Grabkirche des Kaisers - beide Bauwerke sind in die Schau einbezogen - und davor der Nachbau eines Wurfgeschützes aus dem 13. Jahrhundert. Der Historiker Bernd Ulrich Hucker von der Universität Vechta, der die Vita Ottos IV. erforscht hat:

    "Man denkt es nicht. Es wirft über mehrere 100 Meter genau auf den Zentimeter. Das ist sehr erschreckend gewesen für die Menschen dieser Zeit. Und das hat Otto IV. eben 1212 in Thüringen zum ersten Mal zum Einsatz gebracht. Wir haben ja nur den Nachbau. Das Original-Bewurf, also ein Felsbrocken, der aber auch noch gefunden wurde, der liegt hier in der Ausstellung."

    Dazu der Mantel des Kaisers oder eine Kamee vom Dreikönigsschrein im Kölner Dom. Diesen Edelsteinschnitt stiftete Otto IV. zum Dank für die Unterstützung des Kölner Erzbischofs bei seiner Wahl zum deutschen König. Auch andernorts erwies er sich als großzügiger Mäzen der Künste.

    Die Schau setzt Akzente, die konträr liegen zum gängigen Geschichtsbild, zu der "Verliebtheit in das staufische Kaisertum als Beispiel nationaler Größe". Zumal Ottos IV. Politik sich de facto kaum von der Linie der viel gepriesenen Staufer unterschied, resümiert der Historiker Bernd Ulrich Hucker:

    "Der Kaiser muss die Kirche in ihre Schranken zurückweisen. Der Kaiser muss einen Kreuzzug machen. Nichts anderes hat er getan. Also, was wir bei Barbarossa loben, das wird bei Otto IV. - oder wurde oft in der nationalistischen Geschichtsschreibung - getadelt."