Musharbash ist Arabist und Redakteur bei Spiegel Online, er verfolgt die Entwicklung des Terrornetzwerks seit Jahren und beobachtet vor allem, wie sich im Internet eine stetig wachsende globale Dschihad-Community formiert. Seine Analyse über Al Kaida und ihre Anhänger trägt den Titel: Die neue Al Kaida. Ich habe Yassin Musharbash vor der Sendung aber zuerst einmal gefragt, wie es um die alte Al Kaida steht, wie wichtig sind Osama Bin Laden und sein Stellvertreter Aiman az-Zawahiri heute noch?
Musharbash:
Osama Bin Laden und sein Stellvertreter Aiman az-Zawahiri sind wichtig, aber in anderer Funktion, als sie das vor fünf Jahren waren. Vor fünf Jahren hat Osama Bin Laden zum Beispiel die Attentäter des 11. September höchstpersönlich ausgewählt. Er hat auch in anderen Anschlagsszenarien das Geld persönlich übermittelt oder übermitteln lassen, konkrete Aufträge erteilt. Es gab Memos an Bin Laden von Kundschaftern, die er ausgeschickte hat usw. Es gab klare Hierarchien. Al Kaida war eine militärisch-hierarchische Kader-Organisation. Das ist heute komplett anders, und entsprechend hat sich eben auch die Rolle Bin Ladens und die seines Stellvertreters gewandelt. Bin Laden ist heute eigentlich nur noch der ideologische Führer Al Kaidas, eine Art spiritus rector. Er gibt in seinen Reden den Takt vor, zum Teil, indem er Feinde identifiziert, also bestimmte Staaten, die angegriffen werden sollen, zum Teil aber auch, indem der die theologische Rechtfertigung liefert. Und auf dieser Grundlage schreiten dann vermehrt selbsternannte, selbstrekrutierte Mudschahedin, Dschihadisten zur Tat.
Janssen:
Diese selbsternannten Mudschahedin und Dschihadisten, wie Sie sie nennen, kommunizieren ja sehr intensiv im Internet, das schildern Sie in einem sehr spannenden und ausführlichen Teil Ihres Buches. wie werden denn im Internet junge Muslime rekrutiert und, wie Sie schreiben, ja teilweise sogar ausgebildet?
Musharbash:
Es ist im Prinzip eine zweigleisige Angelegenheit. Auf der einen Seite haben Sie Al Kaida-Webseiten, in denen Propaganda verbreitet wird. Das sind Bekennerschreiben, das sind Aufsätze, das sind die Texte zu den Reden von Bin Laden und der restlichen Führung, aber eben auch die bekannten Terrorvideos aus dem Irak und von anderen Anschlägen. Das ist reine Propaganda. Daneben gibt es aber auch Webseiten, die sich sozusagen auf das operative Geschäft konzentrieren, das militärische. Und eine interessante Entwicklung ist, dass beispielsweise die Schulungsunterlagen, auf deren Grundlage Al Kaida in Afghanistan ihre Rekruten ausgebildet hat, heute komplett im Internet zur Verfügung stehen und stets geupdatet werden, so dass sie dort aktuelle - das wird genannt die "Enzyklopädie des Dschihad" - die aktuelle Fassung der "Enzyklopädie des Dschihad" vorfinden, in der beispielsweise konkret gezeigt wird, wie man einen Anschlag plant, wie man eine Zelle organisiert, wie man Nachrichten kodiert, wie man Gegenspionage und Spionage betreibt, wie man sich bei einem Verhör verhält, wie man eine Geisel am besten entführt, undsoweiter undsofort.
Janssen:
Das ist eine Frage, die mir auch gerade auf der Zunge liegt: Wie konkret lassen sich denn aus all diesen Aktivitäten im Internet konkrete Schlüsse ziehen, zum Beispiel über die Zahl von Al-Kaida-Anhängern etwa in Deutschland, oder wie Sie gerade schon angedeutet haben, über geplante Anschläge?
Musharbash:
Es liegt natürlich in der Natur des Internets, dass das meiste anonym passiert. Das bedeutet, Sie können in den allermeisten Fällen nicht sagen, wer dahintersteckt. Manchmal finden sie größere Aufsätze, Strategiepapiere, Vorschläge zu Anschlägen von Aktivisten im Netz, die sich den Anschein geben, eine ganze Gruppe zu sein, und möglicherweise ist es nur eine einzige Person. Deshalb muss man ganz vorsichtig sein, nicht überall, wo Al Kaida draufsteht, ist auch Al Kaida drin. Aber man kann zumindest eine Vorstellung davon gewinnen, wie viele Leute sich für solche Sachen wirklich interessieren und täglich diese Seiten aufsuchen. Das sind mit Sicherheit weltweit gesehen etliche Tausend, wahrscheinlich Zehntausende, und anhand von einzelnen Postings und Antworten und Fragen können Sie auch sehen, dass darunter auch durchaus Personen sind, die in Deutschland oder anderen europäischen Ländern leben. Was Sie nicht im Internet finden werden, in den allermeisten Fällen jedenfalls nicht, sind konkrete Anschlagspläne. Da steht nirgendwo: morgen um 17 Uhr 30 wird es bei Karstadt in Berlin-Neukölln einen Anschlag geben. Aber Sie können ein Gespür dafür entwickeln, welche Themen diesen Anhängern auf den Fingern brennen, und das ist natürlich sehr bedeutsam. Wenn Sie zum Beispiel den Karikaturenstreit nehmen. Zu einem Zeitpunkt, als die westliche Öffentlichkeit den Karikaturenstreit schon abgehakt hatte, weil nämlich die Konsulate in Beirut wieder gelöscht waren - um es auf den Punkt zu bringen - da begann die Propaganda von Bin Laden und seinen Mitstreitern erst so richtig. Und jetzt haben Sie mit den Kofferbombern hier in Deutschland möglicherweise Monate später einen Fall, der zur Ursache noch diese Karikaturen hatte.
Janssen:
Wie sehr sind eigentlich die Islamisten selbst daran interessiert, dass diese Internet-Inhalte, diese ganzen Internet-Geschichten auch einsehbar sind. Wie sehr ist - zumindest ein Teil davon - als PR und als Schreckenspropaganda in Richtung Westen gedacht?
Musharbash:
Ein ganz großer Teil ist ganz sicher an die mitlesenden westlichen Geheimdienste und Journalisten gerichtet, wie an die eigene Klientel. Ein Beispiel sind die ersten Enthauptungs-Videos aus dem Irak gewesen. Die hatten ganz klar den Westen zum Adressaten. Und das hat ja auch funktioniert. Monatelang war das eines der beherrschenden Themen. Das nutzt Al Kaida, weil dadurch die Organisation Thema bleibt, und zwar mit Assoziationen wie Schrecken, Allmacht, Allgegenwart usw. Das spielt ihrer PR in die Hände. Es gibt andere Beispiele dafür, dass Al Kaida möglicherweise sogar bestimmte Dinge nur publiziert hat, um den Westen in eine bestimmte Richtung zu lenken, um das Augenmerk auf bestimmte Dinge zu lenken, die in Wahrheit gar nicht das Anliegen der Organisation sind. Man könnte das Desinformation nennen, die Al Kaida auch betreibt. Das bedeutet unterm Strich, wir haben es mittlerweile mit einer Organisation zu tun, die virtuos mit diesen neuen Möglichkeiten spielt, die sie für die eigenen Möglichkeiten nutzt, aber eben auch in gewisser Weise schon "Cyber-Terrorismus" betreibt.
Janssen:
Sie haben das Stichwort der "Enthauptungs-Videos" gerade genannt. Findet sich für so etwas eigentlich im Koran oder in den Hadithen, also den Aussprühen des Propheten Mohammed, irgendeine religiöse Legitimation? Suchen diese Leute tatsächlich danach? Suchen Dschihadisten nach einer religiösen Motivation und finden die auch?
Musharbash:
Die Antwort darauf ist ganz klar: Islamisten suchen immer religiöse Legitimation für das, was sie tun. Sie liefern über Seiten lange Rechtsgutachten und theologische Debatten und Diskussionen, die werden auch verlangt von den Sympathisanten. Wer einen Anschlag ausübt und den nicht religiös legitimieren kann, der verliert an Ansehen. Das ist ganz klar. Die Frage ist aber, wie tragfähig ist diese Argumentation, und da muss man sich immer klarmachen, dass der militante Dschihadismus eine absolute Minderheitenposition darstellt innerhalb des theologischen Mainstream im Islam. Das bedeutet, was für diese Menschen theologisch akzeptabel ist, ist für die ganz große Mehrheit der Muslime überhaupt nicht akzeptabel. Das hat sich sehr deutlich bei den Enthauptungen gezeigt. Die Täter haben die gerechtfertigt mit bestimmten Koran-Suren, in denen davon die Rede ist, dass man Ungläubigen auf den Nacken schlagen soll, und das haben sie als Köpfen interpretiert. Gemäßigte Muslime, oder die Mehrheit der Muslime, führen ganz andere Verse an, in denen es beispielsweise heißt, dass man Kriegsgefangene nicht töten darf. Was man mit Sicherheit feststellen kann, ist, dass wir es auf der einen Seite mit Tätern zu tun haben, die wirklich, wirklich gläubig sind, aber eben auf eine Art und Weise, die kaum jemand sonst teilt.
Janssen:
Noch eine ganz kurze Frage zum Schluss, auch vor dem Hintergrund des eben Gesagten: Wie wird sich Al Kaida weiter entwickeln, welche Szenarien gibt es da?
Musharbash:
Es gibt im wesentlichen zwei Szenarien: Das eine ist: Al Kaida wird immer mehr zum Netzwerk, dadurch immer diffuser. Es werden immer mehr Leute, die sich gar nicht persönlich kennen, immer mehr Anschläge, wahrscheinlich immer kleinere Anschläge, immer weniger komplexe Anschläge ausüben, aber dafür auf der ganzen Welt und in stetem Rhythmus. Die zweite Möglichkeit ist allerdings, dass Al Kaida sich marginalisiert. Anzeichen dafür gibt es nämlich auch. Das hat sich vor allem gezeigt nach den Anschlägen in Amman im vergangenen Jahr. Die Sympathiewerte von Al Kaida sind nicht unangreifbar, und sie sinken vor allem dann, wenn zu viele unbeteiligte, unschuldige muslimische Zivilisten sterben müssen. Das kostet Al Kaida Sympathien, und irgendwo zwischen diesen beiden Möglichkeiten wird sich die Zukunft Al Kaidas entscheiden.
Janssen:
Welcher These würden Sie anhängen?
Musharbash:
Ich fürchte im Moment, dass wir noch die nächsten fünf oder zehn Jahre mit Anschlägen zu tun haben werden, auch im Westen, allerdings ist es ein positives Zeichen, glaube ich, dass man das Urnetzwerk so weit zerschlagen hat, dass größere Operationen im Maßstab des 11. September kaum noch vorstellbar sind. Wir werden wahrscheinlich eher zehnmal Madrid und London erleben, als noch einmal den 11. Septzember.
Al Kaida-Experte Yassin Musharbash. Sein Buch heißt: "Die neue Al-Qaida. Innenansichten eines lernenden Terrornetzwerks". Verlag Kiepenheuer & Witsch. 256 Seiten sind zum Preis von 8,95 Euro erhältlicch.
Musharbash:
Osama Bin Laden und sein Stellvertreter Aiman az-Zawahiri sind wichtig, aber in anderer Funktion, als sie das vor fünf Jahren waren. Vor fünf Jahren hat Osama Bin Laden zum Beispiel die Attentäter des 11. September höchstpersönlich ausgewählt. Er hat auch in anderen Anschlagsszenarien das Geld persönlich übermittelt oder übermitteln lassen, konkrete Aufträge erteilt. Es gab Memos an Bin Laden von Kundschaftern, die er ausgeschickte hat usw. Es gab klare Hierarchien. Al Kaida war eine militärisch-hierarchische Kader-Organisation. Das ist heute komplett anders, und entsprechend hat sich eben auch die Rolle Bin Ladens und die seines Stellvertreters gewandelt. Bin Laden ist heute eigentlich nur noch der ideologische Führer Al Kaidas, eine Art spiritus rector. Er gibt in seinen Reden den Takt vor, zum Teil, indem er Feinde identifiziert, also bestimmte Staaten, die angegriffen werden sollen, zum Teil aber auch, indem der die theologische Rechtfertigung liefert. Und auf dieser Grundlage schreiten dann vermehrt selbsternannte, selbstrekrutierte Mudschahedin, Dschihadisten zur Tat.
Janssen:
Diese selbsternannten Mudschahedin und Dschihadisten, wie Sie sie nennen, kommunizieren ja sehr intensiv im Internet, das schildern Sie in einem sehr spannenden und ausführlichen Teil Ihres Buches. wie werden denn im Internet junge Muslime rekrutiert und, wie Sie schreiben, ja teilweise sogar ausgebildet?
Musharbash:
Es ist im Prinzip eine zweigleisige Angelegenheit. Auf der einen Seite haben Sie Al Kaida-Webseiten, in denen Propaganda verbreitet wird. Das sind Bekennerschreiben, das sind Aufsätze, das sind die Texte zu den Reden von Bin Laden und der restlichen Führung, aber eben auch die bekannten Terrorvideos aus dem Irak und von anderen Anschlägen. Das ist reine Propaganda. Daneben gibt es aber auch Webseiten, die sich sozusagen auf das operative Geschäft konzentrieren, das militärische. Und eine interessante Entwicklung ist, dass beispielsweise die Schulungsunterlagen, auf deren Grundlage Al Kaida in Afghanistan ihre Rekruten ausgebildet hat, heute komplett im Internet zur Verfügung stehen und stets geupdatet werden, so dass sie dort aktuelle - das wird genannt die "Enzyklopädie des Dschihad" - die aktuelle Fassung der "Enzyklopädie des Dschihad" vorfinden, in der beispielsweise konkret gezeigt wird, wie man einen Anschlag plant, wie man eine Zelle organisiert, wie man Nachrichten kodiert, wie man Gegenspionage und Spionage betreibt, wie man sich bei einem Verhör verhält, wie man eine Geisel am besten entführt, undsoweiter undsofort.
Janssen:
Das ist eine Frage, die mir auch gerade auf der Zunge liegt: Wie konkret lassen sich denn aus all diesen Aktivitäten im Internet konkrete Schlüsse ziehen, zum Beispiel über die Zahl von Al-Kaida-Anhängern etwa in Deutschland, oder wie Sie gerade schon angedeutet haben, über geplante Anschläge?
Musharbash:
Es liegt natürlich in der Natur des Internets, dass das meiste anonym passiert. Das bedeutet, Sie können in den allermeisten Fällen nicht sagen, wer dahintersteckt. Manchmal finden sie größere Aufsätze, Strategiepapiere, Vorschläge zu Anschlägen von Aktivisten im Netz, die sich den Anschein geben, eine ganze Gruppe zu sein, und möglicherweise ist es nur eine einzige Person. Deshalb muss man ganz vorsichtig sein, nicht überall, wo Al Kaida draufsteht, ist auch Al Kaida drin. Aber man kann zumindest eine Vorstellung davon gewinnen, wie viele Leute sich für solche Sachen wirklich interessieren und täglich diese Seiten aufsuchen. Das sind mit Sicherheit weltweit gesehen etliche Tausend, wahrscheinlich Zehntausende, und anhand von einzelnen Postings und Antworten und Fragen können Sie auch sehen, dass darunter auch durchaus Personen sind, die in Deutschland oder anderen europäischen Ländern leben. Was Sie nicht im Internet finden werden, in den allermeisten Fällen jedenfalls nicht, sind konkrete Anschlagspläne. Da steht nirgendwo: morgen um 17 Uhr 30 wird es bei Karstadt in Berlin-Neukölln einen Anschlag geben. Aber Sie können ein Gespür dafür entwickeln, welche Themen diesen Anhängern auf den Fingern brennen, und das ist natürlich sehr bedeutsam. Wenn Sie zum Beispiel den Karikaturenstreit nehmen. Zu einem Zeitpunkt, als die westliche Öffentlichkeit den Karikaturenstreit schon abgehakt hatte, weil nämlich die Konsulate in Beirut wieder gelöscht waren - um es auf den Punkt zu bringen - da begann die Propaganda von Bin Laden und seinen Mitstreitern erst so richtig. Und jetzt haben Sie mit den Kofferbombern hier in Deutschland möglicherweise Monate später einen Fall, der zur Ursache noch diese Karikaturen hatte.
Janssen:
Wie sehr sind eigentlich die Islamisten selbst daran interessiert, dass diese Internet-Inhalte, diese ganzen Internet-Geschichten auch einsehbar sind. Wie sehr ist - zumindest ein Teil davon - als PR und als Schreckenspropaganda in Richtung Westen gedacht?
Musharbash:
Ein ganz großer Teil ist ganz sicher an die mitlesenden westlichen Geheimdienste und Journalisten gerichtet, wie an die eigene Klientel. Ein Beispiel sind die ersten Enthauptungs-Videos aus dem Irak gewesen. Die hatten ganz klar den Westen zum Adressaten. Und das hat ja auch funktioniert. Monatelang war das eines der beherrschenden Themen. Das nutzt Al Kaida, weil dadurch die Organisation Thema bleibt, und zwar mit Assoziationen wie Schrecken, Allmacht, Allgegenwart usw. Das spielt ihrer PR in die Hände. Es gibt andere Beispiele dafür, dass Al Kaida möglicherweise sogar bestimmte Dinge nur publiziert hat, um den Westen in eine bestimmte Richtung zu lenken, um das Augenmerk auf bestimmte Dinge zu lenken, die in Wahrheit gar nicht das Anliegen der Organisation sind. Man könnte das Desinformation nennen, die Al Kaida auch betreibt. Das bedeutet unterm Strich, wir haben es mittlerweile mit einer Organisation zu tun, die virtuos mit diesen neuen Möglichkeiten spielt, die sie für die eigenen Möglichkeiten nutzt, aber eben auch in gewisser Weise schon "Cyber-Terrorismus" betreibt.
Janssen:
Sie haben das Stichwort der "Enthauptungs-Videos" gerade genannt. Findet sich für so etwas eigentlich im Koran oder in den Hadithen, also den Aussprühen des Propheten Mohammed, irgendeine religiöse Legitimation? Suchen diese Leute tatsächlich danach? Suchen Dschihadisten nach einer religiösen Motivation und finden die auch?
Musharbash:
Die Antwort darauf ist ganz klar: Islamisten suchen immer religiöse Legitimation für das, was sie tun. Sie liefern über Seiten lange Rechtsgutachten und theologische Debatten und Diskussionen, die werden auch verlangt von den Sympathisanten. Wer einen Anschlag ausübt und den nicht religiös legitimieren kann, der verliert an Ansehen. Das ist ganz klar. Die Frage ist aber, wie tragfähig ist diese Argumentation, und da muss man sich immer klarmachen, dass der militante Dschihadismus eine absolute Minderheitenposition darstellt innerhalb des theologischen Mainstream im Islam. Das bedeutet, was für diese Menschen theologisch akzeptabel ist, ist für die ganz große Mehrheit der Muslime überhaupt nicht akzeptabel. Das hat sich sehr deutlich bei den Enthauptungen gezeigt. Die Täter haben die gerechtfertigt mit bestimmten Koran-Suren, in denen davon die Rede ist, dass man Ungläubigen auf den Nacken schlagen soll, und das haben sie als Köpfen interpretiert. Gemäßigte Muslime, oder die Mehrheit der Muslime, führen ganz andere Verse an, in denen es beispielsweise heißt, dass man Kriegsgefangene nicht töten darf. Was man mit Sicherheit feststellen kann, ist, dass wir es auf der einen Seite mit Tätern zu tun haben, die wirklich, wirklich gläubig sind, aber eben auf eine Art und Weise, die kaum jemand sonst teilt.
Janssen:
Noch eine ganz kurze Frage zum Schluss, auch vor dem Hintergrund des eben Gesagten: Wie wird sich Al Kaida weiter entwickeln, welche Szenarien gibt es da?
Musharbash:
Es gibt im wesentlichen zwei Szenarien: Das eine ist: Al Kaida wird immer mehr zum Netzwerk, dadurch immer diffuser. Es werden immer mehr Leute, die sich gar nicht persönlich kennen, immer mehr Anschläge, wahrscheinlich immer kleinere Anschläge, immer weniger komplexe Anschläge ausüben, aber dafür auf der ganzen Welt und in stetem Rhythmus. Die zweite Möglichkeit ist allerdings, dass Al Kaida sich marginalisiert. Anzeichen dafür gibt es nämlich auch. Das hat sich vor allem gezeigt nach den Anschlägen in Amman im vergangenen Jahr. Die Sympathiewerte von Al Kaida sind nicht unangreifbar, und sie sinken vor allem dann, wenn zu viele unbeteiligte, unschuldige muslimische Zivilisten sterben müssen. Das kostet Al Kaida Sympathien, und irgendwo zwischen diesen beiden Möglichkeiten wird sich die Zukunft Al Kaidas entscheiden.
Janssen:
Welcher These würden Sie anhängen?
Musharbash:
Ich fürchte im Moment, dass wir noch die nächsten fünf oder zehn Jahre mit Anschlägen zu tun haben werden, auch im Westen, allerdings ist es ein positives Zeichen, glaube ich, dass man das Urnetzwerk so weit zerschlagen hat, dass größere Operationen im Maßstab des 11. September kaum noch vorstellbar sind. Wir werden wahrscheinlich eher zehnmal Madrid und London erleben, als noch einmal den 11. Septzember.
Al Kaida-Experte Yassin Musharbash. Sein Buch heißt: "Die neue Al-Qaida. Innenansichten eines lernenden Terrornetzwerks". Verlag Kiepenheuer & Witsch. 256 Seiten sind zum Preis von 8,95 Euro erhältlicch.