Das Bild zeigt ein Kind, es sitzt auf der Straße, neben seiner toten Mutter. Um es herum tobt der Krieg. Die Stadt liegt im Bombenhagel, Panzer greifen an, die Schule ist in Brand geschossen.
Dieses Bild gehört zu einer kleinen Ausstellung mit dem Titel "Was der Krieg anrichtet". Kinder aus Tschetschenien haben ihre Kriegserlebnisse gemalt und gezeichnet, die Alpträume aber auch die Phantasien einer friedlichen Welt. Daneben hängen Photographien aus den Flüchtlingslagern in Inguschetien. Hier leben die Kinder jetzt: Ein kleiner Junge lugt hinter Zeltplanen hervor, blickt verstört in eine feindliche Welt.
Die Ausstellung der Züricher Juristin Elisabeth Petersen im ersten Stock des Basler Soziologie-Instituts macht allen Kongressteilnehmern deutlich: Krieg ist kein Thema, das sich rein akademisch abhandeln lässt, und doch ist die wissenschaftliche Analyse wichtig.
"In der Soziologie bestand lange die Hoffnung, dass mit dem staatlichen Gewaltmonopol die Gewalt zurückgehen, dass mit den Verständigungen auch die Kriege zurückgehen könnten, so hat sich das leider nicht bewahrheitet, es gibt neue Formen von Kriegen, Bürgerkriegen, Terrorismus, im speziellen auch Umweltkrieg – von daher: das Thema ist uns leider erhalten geblieben."
Ueli Mäder von der Universität Basel ist Generalsekretär der Schweizerischen Gesellschaft für Soziologie. Er hat gemeinsam mit Christoph Maeder den internationalen Kongress organisiert.
Bisher hatte die Soziologie sich kaum mit dem Thema Krieg beschäftigt. Sie es hatte es weitgehend den Politologen und Historikern überlassen. Aber nach 1989, nach dem Ende des Kalten Krieges, ohne dass die Welt friedlicher wurde, gibt es eine Vielzahl von Konflikten, die dem alten Verständnis vom Krieg als deklarierter Auseinandersetzung zwischen Staaten nicht mehr entsprechen. Ein Schwerpunkt des Kongresses beschäftigte sich mit solchen neuen Formen: Kriege um natürliche Ressourcen, Terrorismus, Bürgerkriege und Staatszerfall.
Dazu hatten die Soziologen über den Tellerrand ihres Faches eingeladen, so den Friedens- und Konfliktforscher Werner Ruf, Professor für Internationale Beziehungen an der Universität Kassel.
"Ich frage mich zuallererst, ob diese Phänomene so furchtbar neu sind. Wir haben jetzt ein neues Schlagwort, Staatszerfall oder failed states, aber hatten wir so etwas nicht schon viel früher, wenn wir an die ganzen low intensity conflicts denken, die auch keine staatlichen oder zwischenstaatlichen Kriege waren, wo mit Hilfe von Hilfstruppen die Großmächte in Afrika oder in Lateinamerika gegenseitig ihre Interessen ausgetragen haben. Ich denke was neu ist, das ist, dass Staaten in zunehmendem Maße nicht mehr in der Lage sind, ihre hoheitlichen Aufgaben zu erfüllen."
Dass die soziale Ordnung durch den Staat verbürgt wird, ist eine Lösung zu der verschiedene Kulturen, nicht nur die europäische, im Laufe der Geschichte gelangt sind. Auch wenn sich das staatliche Gewaltmonopol bewährt hat, so kann diese Konstruktion doch nicht anderen Gesellschaften beliebig aufgepfropft werden.
Werner Ruf arbeitete längere Zeit in Kamerun und hatte Gelegenheit die Verhältnisse in einem westafrikanischen Land zu studieren, wo es 200 Ethnien und entsprechend viele Sprachen gibt. Diese Vielzahl ethnischer Gruppen haben die beiden Kolonialmächte Großbritannien und Frankreich zu einem Staatsgebilde erklärt.
"In diesem Staat funktioniert letzten Endes das System – und das gilt in etwa für alle afrikanischen Staaten – im Wesentlichen durch Korruption: Polizei, Militär leben davon, dass sie Straßensperren errichten und kontrollieren, die Uniform ist eine Art Element, um Sold einzutreiben, der Staat ist nicht in der Lage ein allgemeines funktionierendes Gesundheitswesen, ein funktionierendes allgemeines Bildungswesen aufzubauen. Und dann brauchen wir uns nicht zu wundern, wenn Völker zurückgreifen auf traditionelle Ethnien, also das was in Somalia noch mal aufgebaut wurde, ist aufgebaut worden von traditionellen Führungsschichten und Gruppen – das sind dann Feudalherren oder religiöse Führer, das sieht sehr nach Feudalismus aus – da haben auch die Warlords ihre Basis, aber es sind Formen von Autorität, die andere sind als die, die wir im Lehrbuch der Politikwissenschaft lernen. Wie man damit umgeht muss man sehen, aber es ist nicht so, dass die Staaten, die nach unseren Kriterien zerfallen, nun völlig ohne innere Autoritäten leben würden."
Andere Länder und Verhältnisse differenziert beurteilen, Konflikte analysieren, Hintergründe erhellen, um zu friedlichen Lösungen zu gelangen – mit einem Wort: aufzuklären. Diese Maxime zog sich wie ein Leitfaden durch den Kongress. Das scheint banal, definiert doch Aufklärung das wissenschaftliche Interesse schlechthin. Aber im Falle von Gewalt und Krieg scheint das besonders schwierig. Denn zum Krieg gehört die Lüge unabdingbar hinzu.
"Es wird nie so viel gelogen wie vor der Wahl, während des Krieges und nach der Jagd", sagte Bismarck. Und im Falle des Krieges wird meist schon vorher gelogen, damit die Menschen ihn akzeptieren. Der Soziologe Peter Imbusch beschäftigte sich in seinem Vortrag mit der Legitimation von Kriegen, in Geschichte und Gegenwart.
"Kriege gibt es, Kriege werden erstaunlicherweise immer legitimiert, sind unterschiedlich legitimiert worden und heute – nach 1989 – sind wir in einer Phase, wo Kriege wieder führbar gemacht werden, mit scheinbar guten Gründen. Sei es die humanitäre Intervention, der Krieg gegen den Terror, das war mein Ansatzpunkt genauer hinzuschauen, wie das gemacht wird, und mit welchen Mitteln und auf welche Art und Weise das geschieht."
Peter Imbusch, der an der Universität Marburg den ersten Studiengang für Friedens- und Konfliktforschung in Deutschland mitaufgebaut hat, erklärte, dass die Rechtfertigung von Kriegen vielfach erschlichen würde. Er nennt dieses Phänomen "Dirtys Wars", schmutzigen Kampf.
"Dirty Wars ist ursprünglich eine Bezeichnung, die die asymmetrische Kriegsführung von Guerrillas oder Partisanen meinte, ein Begriff zur Kennzeichnung unlauterer Kriegsführungsmethoden. Das meine ich eigentlich weniger damit. Für mich sind Dirty Wars allegorisch eher diejenigen Desinformationskampagnen, Vernebelungs- und Irreführungskampagnen auch, die angewendet werden, um Legitimität für Kriege zu erzeugen, da wo sie eigentlich nicht vorhanden ist und nur schwer legitimiert werden kann. Zum Beispiel die Strategien der Regierungen Bush und Blair, um einen Kriegseinsatz im Irak zu machen, das erfüllt meines Erachtens den Tatbestand eines "Dirty War", nämlich gezielt Desinformationen, Bedrohungsszenarien in die Welt zu setzen, bei denen die Öffentlichkeit nicht entscheiden kann, ob das so ist oder nicht und für die die Regierungen Bush und Blair die Beweise letzten Endes schuldig geblieben sind."
Neben der wissenschaftlichen Forschung ist Aufklärung über Kriege, ihre Ursachen und Hintergründe eine Angelegenheit der kritischen Öffentlichkeit und damit auch der Medien. Gleich am ersten Abend veranstaltete der Kongress eine Podiumsdiskussion zur Frage: wie der Krieg in die Köpfe kommt – und richtete dergestalt den soziologischen Blick auf Kriegsberichterstattung, Nachrichtenmarkt und öffentliches Bewusstsein.
Im Vietnamkrieg gab es eine freie und schonungslos offene Berichterstattung, die – so meinten selbst Medienkritiker wie der Philosoph Günter Anders – zum Ende des Vietnamkrieges beigetragen habe. Heute geht es rigider zu: In Russland werden kritische Journalisten wie ehedem mundtot gemacht. Die USA bevorzugen die Strategie einer sanften Kontrolle: Journalisten sind "embedded", sie werden so vereinnahmt und in Watte gepackt, dass sie kaum anderes wahrnehmen, als ihnen vom Betreuerstab verabreicht wird. Und inzwischen, so ergänzte der Politologe Jörg Becker aus Innsbruck, seien die PR-Abteilungen der Regierungen und Militärs größer als die Riege der Journalisten.
Der Vortrag des Londoner Publizisten Gilber Achkar, ein Experte für den Nahen Osten, behandelte die Frage, wie sich die Konflikte nach dem 11. September und die "New World DisOrder", die neue Weltunordnung – so sein Vortragstitel – begreifen lassen. Nach dem Ost-West-Konflikt des vergangenen Jahrhunderts sprechen viele von einem Kampf der Kulturen, in dem ein politisierter Islam dem christlich geprägten Westen gegenüberstände. Michael Opielka, Soziologe an der Fachhochschule Jena, warnte vor einem solch simplen Weltbild. Stattdessen müsse man sich die einzelnen Konflikte genauer anschauen, z.B. den Bürgerkrieg in Dafur.
"In Dafur haben wir die Vertreibung der einheimischen, überwiegend christlichen Bevölkerung durch muslimische Reitermilizen – so heißt es – plus der muslimischen Zentralregierung in Khartum. Wir haben auch dort einen Konflikt: Christentum – Islam in gewisser Weise. Aber die Welt ist auch da viel komplizierter: 100.000 Tote, eine große Streitmacht unter Uno-Mandat, die größte Friedensstreitmacht überhaupt wird jetzt in Dafur eingesetzt werden, im Nordsudan. Wenn wir da genauer hinschauen: die Kategorie Fundamentalismus, Religion passt gar nicht richtig, dort ist es ein Konflikt zwischen dem entwicklungsstarken Süden des Landes und einem eher ländlichen, auf Separation bedachten Norden – solche Konflikte finden wir fast überall."
Und in seinem Referat begründete Michael Opielka die These, warum die Religion nicht als Quelle der Konflikte anzusehen sei.
"Die Quelle ist nicht die Religion, die Quelle, die die Menschen dazu bringt in einen kriegerischen Konflikt einzutreten, die ist komplexer. Wenn Bin Laden auftritt, dann hat man das Gefühl, wir bewegen uns wieder in einer Kreuzzugssituation – das ist die Argumentation, die diese Gruppen als Geschäftsidee mitbringen, das ist ihr Franchising-Konzept, wir haben heute ein Al Kaida-Franchising – und das sind Phänomene, die wir unterhalb des Religiösen verstehen müssen. Um diese Gruppen zu verstehen, muss man hineinblicken in die Organisationsdynamik: da findet man erstaunliche Ähnlichkeiten zwischen der RAF und bestimmten Gruppen von Al Kaida, allein die Gruppendynamik, die Legitimation, die die Menschen dazu bringt, sich selbst umzubringen im terroristischen Vorgang – die ist nicht primär religiös. Das sind Zusatzargumente, im Kern sind es politische Konflikte, Kulturkonflikte, die religiös überkodiert werden."
Auf dem Kongress ging es auch darum, die soziale Mikroebene, das heißt den Alltag von Krieg und Nachkriegsrealitäten zu untersuchen. So bildete das Thema Krieg und Geschlechterverhältnisse einen eigenen Schwerpunkt, dem sich Podiumsveranstaltungen und spezielle Workshops widmeten. Wie sind die Beziehungen der Männern und Frauen, ihre Geschlechterrollen von Gewalt und Krieg betroffen? Wie erleben und verarbeiten die Menschen diese Erfahrungen?
Anja Sieber, Sozialanthropologin an der Universität Bern, forschte darüber in der bosnischen Gemeinde Prijedor: Sie führte mehrstündige Interviews mit 32 Frauen in unterschiedlichen Lebenslagen und Verhältnissen.
"Die Frauen waren während der Kriegszeit die Opfer, diejenigen, die auch schutzlos waren, Gleichzeitig wurden die Frauen aber auch instrumentalisiert, um das nationale Territorium zu verteidigen oder einzunehmen mit den Vergewaltigungen, die stattgefunden haben, aber das sind so vergeschlechtlichte Opferbilder, die den Frauen mitgegeben werden, auch für die Zeit nach dem Krieg, und die Frauen werden - in Anführungsstrichen - als Peace Queens, als Friedensköniginnen, als friedliebende Menschen bezeichnet, die einfach ethnische Grenzen überwinden können, - also da wird den Frauen eine sehr schwierige aber auch wichtige Aufgabe übertragen, die ehemals verfeindeten Bevölkerungsgruppen zu versöhnen. Eine Rolle, die schwierig ist, einzunehmen für die Frauen."
Anja Sieber fand heraus, dass das neue Bild der Frau als Peace Queen äußerst problematisch ist. Zum einen verdeckt dieses Klischee, dass manche Frauen sich sehr wohl an der ethnisch-nationalistischen Propaganda beteiligten.
"Das andere was mir wichtig ist, ist zu sehen, dass die Frauen mit diesem Bild des Friedliebenden wahnsinnig große Mühe haben, das umzusetzen, weil sie selbst mit ihren eigenen Erlebnissen in Konflikt stehen mit diesem Bild. Wenn sie Opfer wurden von Krieg, dann fällt es Ihnen nicht so leicht, zu einem Täter oder einer Täterin hinzugehen und zu sagen: 'Hallo, jetzt sind wir in der Nachkriegszeit und jetzt müssen wir anfangen wieder friedlich miteinander zu leben.'"
Der internationale Kongress wartete an drei Tagen mit einem dichten Programm auf: 16 Workshops, 80 Referate, 300 Teilnehmer. Neben der jüngeren Generation von Konfliktforschern, die eher kühl und sachlich auftreten, war auch die erste Generation der Friedensforscher vertreten, die mit moralischer Verve auf das vielköpfige Monster Krieg losgehen, allen voran Johan Galtung, der norwegische Politikwissenschaftler, Träger des alternativen Friedensnobelpreises.
"Das Gegenteil von Krieg heißt Frieden. Und man muss Frieden so beschreiben, dass es eine große Anziehungskraft hat. Und das Bewusstsein über die zugrunde liegenden Konflikte, die Kriege befördern, und wie man diese Konflikte positiv lösen kann."
Johan Galtung hat Charisma. Er setzt es ein, um die Kongressteilnehmer, die Politiker, eigentlich alle Leute für seinen optimistischen Ansatz zu gewinnen. Tatsächlich hat er schon manchen gordischen Knoten durchschnitten und erzählt gern davon – mit einem Seitenhieb auf die Medien.
"1995 war ich Vermittler zwischen Peru und Ecuador. In Lateinamerika. Und es gab Kriege über Kriege, und es hat zu tun mit einem Gebiet in den Anden. Die Fragestellung war: wo liegt die Grenze? Ein Teil für Peru, ein Teil für Ecuador. Und sie haben vergebens alle möglichen Versuche gemacht. Und dann hat ein Expräsident die Frage an mich gestellt: Herr Galtung, wie zieht man die Grenze? Und meine Antwort war, vielleicht zieht man gar keine Grenze. Sie machen dort eine binationale Zone, mit einem Naturpark. Drei Jahren nachher war genau das der Friedensvertrag. Und jetzt gibt es den Naturpark und auch eine Freihandelszone dort. Und die Bauern kommen von beiden Seiten und tauschen Sachen aus. Genau wie es sein dürfte, zwischen zwei Nachbarländern. Also positiv. Im alltäglichen Leben schaffen wir es im allgemeinen auch, und es gibt eine Menge von Sachen, die die Staatsmänner und die Diplomaten gut schaffen, aber meistens schreiben die Medien nur über das, was nicht funktioniert. Das ist der Hauptfehler."
Dieses Bild gehört zu einer kleinen Ausstellung mit dem Titel "Was der Krieg anrichtet". Kinder aus Tschetschenien haben ihre Kriegserlebnisse gemalt und gezeichnet, die Alpträume aber auch die Phantasien einer friedlichen Welt. Daneben hängen Photographien aus den Flüchtlingslagern in Inguschetien. Hier leben die Kinder jetzt: Ein kleiner Junge lugt hinter Zeltplanen hervor, blickt verstört in eine feindliche Welt.
Die Ausstellung der Züricher Juristin Elisabeth Petersen im ersten Stock des Basler Soziologie-Instituts macht allen Kongressteilnehmern deutlich: Krieg ist kein Thema, das sich rein akademisch abhandeln lässt, und doch ist die wissenschaftliche Analyse wichtig.
"In der Soziologie bestand lange die Hoffnung, dass mit dem staatlichen Gewaltmonopol die Gewalt zurückgehen, dass mit den Verständigungen auch die Kriege zurückgehen könnten, so hat sich das leider nicht bewahrheitet, es gibt neue Formen von Kriegen, Bürgerkriegen, Terrorismus, im speziellen auch Umweltkrieg – von daher: das Thema ist uns leider erhalten geblieben."
Ueli Mäder von der Universität Basel ist Generalsekretär der Schweizerischen Gesellschaft für Soziologie. Er hat gemeinsam mit Christoph Maeder den internationalen Kongress organisiert.
Bisher hatte die Soziologie sich kaum mit dem Thema Krieg beschäftigt. Sie es hatte es weitgehend den Politologen und Historikern überlassen. Aber nach 1989, nach dem Ende des Kalten Krieges, ohne dass die Welt friedlicher wurde, gibt es eine Vielzahl von Konflikten, die dem alten Verständnis vom Krieg als deklarierter Auseinandersetzung zwischen Staaten nicht mehr entsprechen. Ein Schwerpunkt des Kongresses beschäftigte sich mit solchen neuen Formen: Kriege um natürliche Ressourcen, Terrorismus, Bürgerkriege und Staatszerfall.
Dazu hatten die Soziologen über den Tellerrand ihres Faches eingeladen, so den Friedens- und Konfliktforscher Werner Ruf, Professor für Internationale Beziehungen an der Universität Kassel.
"Ich frage mich zuallererst, ob diese Phänomene so furchtbar neu sind. Wir haben jetzt ein neues Schlagwort, Staatszerfall oder failed states, aber hatten wir so etwas nicht schon viel früher, wenn wir an die ganzen low intensity conflicts denken, die auch keine staatlichen oder zwischenstaatlichen Kriege waren, wo mit Hilfe von Hilfstruppen die Großmächte in Afrika oder in Lateinamerika gegenseitig ihre Interessen ausgetragen haben. Ich denke was neu ist, das ist, dass Staaten in zunehmendem Maße nicht mehr in der Lage sind, ihre hoheitlichen Aufgaben zu erfüllen."
Dass die soziale Ordnung durch den Staat verbürgt wird, ist eine Lösung zu der verschiedene Kulturen, nicht nur die europäische, im Laufe der Geschichte gelangt sind. Auch wenn sich das staatliche Gewaltmonopol bewährt hat, so kann diese Konstruktion doch nicht anderen Gesellschaften beliebig aufgepfropft werden.
Werner Ruf arbeitete längere Zeit in Kamerun und hatte Gelegenheit die Verhältnisse in einem westafrikanischen Land zu studieren, wo es 200 Ethnien und entsprechend viele Sprachen gibt. Diese Vielzahl ethnischer Gruppen haben die beiden Kolonialmächte Großbritannien und Frankreich zu einem Staatsgebilde erklärt.
"In diesem Staat funktioniert letzten Endes das System – und das gilt in etwa für alle afrikanischen Staaten – im Wesentlichen durch Korruption: Polizei, Militär leben davon, dass sie Straßensperren errichten und kontrollieren, die Uniform ist eine Art Element, um Sold einzutreiben, der Staat ist nicht in der Lage ein allgemeines funktionierendes Gesundheitswesen, ein funktionierendes allgemeines Bildungswesen aufzubauen. Und dann brauchen wir uns nicht zu wundern, wenn Völker zurückgreifen auf traditionelle Ethnien, also das was in Somalia noch mal aufgebaut wurde, ist aufgebaut worden von traditionellen Führungsschichten und Gruppen – das sind dann Feudalherren oder religiöse Führer, das sieht sehr nach Feudalismus aus – da haben auch die Warlords ihre Basis, aber es sind Formen von Autorität, die andere sind als die, die wir im Lehrbuch der Politikwissenschaft lernen. Wie man damit umgeht muss man sehen, aber es ist nicht so, dass die Staaten, die nach unseren Kriterien zerfallen, nun völlig ohne innere Autoritäten leben würden."
Andere Länder und Verhältnisse differenziert beurteilen, Konflikte analysieren, Hintergründe erhellen, um zu friedlichen Lösungen zu gelangen – mit einem Wort: aufzuklären. Diese Maxime zog sich wie ein Leitfaden durch den Kongress. Das scheint banal, definiert doch Aufklärung das wissenschaftliche Interesse schlechthin. Aber im Falle von Gewalt und Krieg scheint das besonders schwierig. Denn zum Krieg gehört die Lüge unabdingbar hinzu.
"Es wird nie so viel gelogen wie vor der Wahl, während des Krieges und nach der Jagd", sagte Bismarck. Und im Falle des Krieges wird meist schon vorher gelogen, damit die Menschen ihn akzeptieren. Der Soziologe Peter Imbusch beschäftigte sich in seinem Vortrag mit der Legitimation von Kriegen, in Geschichte und Gegenwart.
"Kriege gibt es, Kriege werden erstaunlicherweise immer legitimiert, sind unterschiedlich legitimiert worden und heute – nach 1989 – sind wir in einer Phase, wo Kriege wieder führbar gemacht werden, mit scheinbar guten Gründen. Sei es die humanitäre Intervention, der Krieg gegen den Terror, das war mein Ansatzpunkt genauer hinzuschauen, wie das gemacht wird, und mit welchen Mitteln und auf welche Art und Weise das geschieht."
Peter Imbusch, der an der Universität Marburg den ersten Studiengang für Friedens- und Konfliktforschung in Deutschland mitaufgebaut hat, erklärte, dass die Rechtfertigung von Kriegen vielfach erschlichen würde. Er nennt dieses Phänomen "Dirtys Wars", schmutzigen Kampf.
"Dirty Wars ist ursprünglich eine Bezeichnung, die die asymmetrische Kriegsführung von Guerrillas oder Partisanen meinte, ein Begriff zur Kennzeichnung unlauterer Kriegsführungsmethoden. Das meine ich eigentlich weniger damit. Für mich sind Dirty Wars allegorisch eher diejenigen Desinformationskampagnen, Vernebelungs- und Irreführungskampagnen auch, die angewendet werden, um Legitimität für Kriege zu erzeugen, da wo sie eigentlich nicht vorhanden ist und nur schwer legitimiert werden kann. Zum Beispiel die Strategien der Regierungen Bush und Blair, um einen Kriegseinsatz im Irak zu machen, das erfüllt meines Erachtens den Tatbestand eines "Dirty War", nämlich gezielt Desinformationen, Bedrohungsszenarien in die Welt zu setzen, bei denen die Öffentlichkeit nicht entscheiden kann, ob das so ist oder nicht und für die die Regierungen Bush und Blair die Beweise letzten Endes schuldig geblieben sind."
Neben der wissenschaftlichen Forschung ist Aufklärung über Kriege, ihre Ursachen und Hintergründe eine Angelegenheit der kritischen Öffentlichkeit und damit auch der Medien. Gleich am ersten Abend veranstaltete der Kongress eine Podiumsdiskussion zur Frage: wie der Krieg in die Köpfe kommt – und richtete dergestalt den soziologischen Blick auf Kriegsberichterstattung, Nachrichtenmarkt und öffentliches Bewusstsein.
Im Vietnamkrieg gab es eine freie und schonungslos offene Berichterstattung, die – so meinten selbst Medienkritiker wie der Philosoph Günter Anders – zum Ende des Vietnamkrieges beigetragen habe. Heute geht es rigider zu: In Russland werden kritische Journalisten wie ehedem mundtot gemacht. Die USA bevorzugen die Strategie einer sanften Kontrolle: Journalisten sind "embedded", sie werden so vereinnahmt und in Watte gepackt, dass sie kaum anderes wahrnehmen, als ihnen vom Betreuerstab verabreicht wird. Und inzwischen, so ergänzte der Politologe Jörg Becker aus Innsbruck, seien die PR-Abteilungen der Regierungen und Militärs größer als die Riege der Journalisten.
Der Vortrag des Londoner Publizisten Gilber Achkar, ein Experte für den Nahen Osten, behandelte die Frage, wie sich die Konflikte nach dem 11. September und die "New World DisOrder", die neue Weltunordnung – so sein Vortragstitel – begreifen lassen. Nach dem Ost-West-Konflikt des vergangenen Jahrhunderts sprechen viele von einem Kampf der Kulturen, in dem ein politisierter Islam dem christlich geprägten Westen gegenüberstände. Michael Opielka, Soziologe an der Fachhochschule Jena, warnte vor einem solch simplen Weltbild. Stattdessen müsse man sich die einzelnen Konflikte genauer anschauen, z.B. den Bürgerkrieg in Dafur.
"In Dafur haben wir die Vertreibung der einheimischen, überwiegend christlichen Bevölkerung durch muslimische Reitermilizen – so heißt es – plus der muslimischen Zentralregierung in Khartum. Wir haben auch dort einen Konflikt: Christentum – Islam in gewisser Weise. Aber die Welt ist auch da viel komplizierter: 100.000 Tote, eine große Streitmacht unter Uno-Mandat, die größte Friedensstreitmacht überhaupt wird jetzt in Dafur eingesetzt werden, im Nordsudan. Wenn wir da genauer hinschauen: die Kategorie Fundamentalismus, Religion passt gar nicht richtig, dort ist es ein Konflikt zwischen dem entwicklungsstarken Süden des Landes und einem eher ländlichen, auf Separation bedachten Norden – solche Konflikte finden wir fast überall."
Und in seinem Referat begründete Michael Opielka die These, warum die Religion nicht als Quelle der Konflikte anzusehen sei.
"Die Quelle ist nicht die Religion, die Quelle, die die Menschen dazu bringt in einen kriegerischen Konflikt einzutreten, die ist komplexer. Wenn Bin Laden auftritt, dann hat man das Gefühl, wir bewegen uns wieder in einer Kreuzzugssituation – das ist die Argumentation, die diese Gruppen als Geschäftsidee mitbringen, das ist ihr Franchising-Konzept, wir haben heute ein Al Kaida-Franchising – und das sind Phänomene, die wir unterhalb des Religiösen verstehen müssen. Um diese Gruppen zu verstehen, muss man hineinblicken in die Organisationsdynamik: da findet man erstaunliche Ähnlichkeiten zwischen der RAF und bestimmten Gruppen von Al Kaida, allein die Gruppendynamik, die Legitimation, die die Menschen dazu bringt, sich selbst umzubringen im terroristischen Vorgang – die ist nicht primär religiös. Das sind Zusatzargumente, im Kern sind es politische Konflikte, Kulturkonflikte, die religiös überkodiert werden."
Auf dem Kongress ging es auch darum, die soziale Mikroebene, das heißt den Alltag von Krieg und Nachkriegsrealitäten zu untersuchen. So bildete das Thema Krieg und Geschlechterverhältnisse einen eigenen Schwerpunkt, dem sich Podiumsveranstaltungen und spezielle Workshops widmeten. Wie sind die Beziehungen der Männern und Frauen, ihre Geschlechterrollen von Gewalt und Krieg betroffen? Wie erleben und verarbeiten die Menschen diese Erfahrungen?
Anja Sieber, Sozialanthropologin an der Universität Bern, forschte darüber in der bosnischen Gemeinde Prijedor: Sie führte mehrstündige Interviews mit 32 Frauen in unterschiedlichen Lebenslagen und Verhältnissen.
"Die Frauen waren während der Kriegszeit die Opfer, diejenigen, die auch schutzlos waren, Gleichzeitig wurden die Frauen aber auch instrumentalisiert, um das nationale Territorium zu verteidigen oder einzunehmen mit den Vergewaltigungen, die stattgefunden haben, aber das sind so vergeschlechtlichte Opferbilder, die den Frauen mitgegeben werden, auch für die Zeit nach dem Krieg, und die Frauen werden - in Anführungsstrichen - als Peace Queens, als Friedensköniginnen, als friedliebende Menschen bezeichnet, die einfach ethnische Grenzen überwinden können, - also da wird den Frauen eine sehr schwierige aber auch wichtige Aufgabe übertragen, die ehemals verfeindeten Bevölkerungsgruppen zu versöhnen. Eine Rolle, die schwierig ist, einzunehmen für die Frauen."
Anja Sieber fand heraus, dass das neue Bild der Frau als Peace Queen äußerst problematisch ist. Zum einen verdeckt dieses Klischee, dass manche Frauen sich sehr wohl an der ethnisch-nationalistischen Propaganda beteiligten.
"Das andere was mir wichtig ist, ist zu sehen, dass die Frauen mit diesem Bild des Friedliebenden wahnsinnig große Mühe haben, das umzusetzen, weil sie selbst mit ihren eigenen Erlebnissen in Konflikt stehen mit diesem Bild. Wenn sie Opfer wurden von Krieg, dann fällt es Ihnen nicht so leicht, zu einem Täter oder einer Täterin hinzugehen und zu sagen: 'Hallo, jetzt sind wir in der Nachkriegszeit und jetzt müssen wir anfangen wieder friedlich miteinander zu leben.'"
Der internationale Kongress wartete an drei Tagen mit einem dichten Programm auf: 16 Workshops, 80 Referate, 300 Teilnehmer. Neben der jüngeren Generation von Konfliktforschern, die eher kühl und sachlich auftreten, war auch die erste Generation der Friedensforscher vertreten, die mit moralischer Verve auf das vielköpfige Monster Krieg losgehen, allen voran Johan Galtung, der norwegische Politikwissenschaftler, Träger des alternativen Friedensnobelpreises.
"Das Gegenteil von Krieg heißt Frieden. Und man muss Frieden so beschreiben, dass es eine große Anziehungskraft hat. Und das Bewusstsein über die zugrunde liegenden Konflikte, die Kriege befördern, und wie man diese Konflikte positiv lösen kann."
Johan Galtung hat Charisma. Er setzt es ein, um die Kongressteilnehmer, die Politiker, eigentlich alle Leute für seinen optimistischen Ansatz zu gewinnen. Tatsächlich hat er schon manchen gordischen Knoten durchschnitten und erzählt gern davon – mit einem Seitenhieb auf die Medien.
"1995 war ich Vermittler zwischen Peru und Ecuador. In Lateinamerika. Und es gab Kriege über Kriege, und es hat zu tun mit einem Gebiet in den Anden. Die Fragestellung war: wo liegt die Grenze? Ein Teil für Peru, ein Teil für Ecuador. Und sie haben vergebens alle möglichen Versuche gemacht. Und dann hat ein Expräsident die Frage an mich gestellt: Herr Galtung, wie zieht man die Grenze? Und meine Antwort war, vielleicht zieht man gar keine Grenze. Sie machen dort eine binationale Zone, mit einem Naturpark. Drei Jahren nachher war genau das der Friedensvertrag. Und jetzt gibt es den Naturpark und auch eine Freihandelszone dort. Und die Bauern kommen von beiden Seiten und tauschen Sachen aus. Genau wie es sein dürfte, zwischen zwei Nachbarländern. Also positiv. Im alltäglichen Leben schaffen wir es im allgemeinen auch, und es gibt eine Menge von Sachen, die die Staatsmänner und die Diplomaten gut schaffen, aber meistens schreiben die Medien nur über das, was nicht funktioniert. Das ist der Hauptfehler."