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Der treue Vasall Hartz

Untreue ist ein sowohl moralischer wie auch juristischer Begriff. Dirk Baecker, Professor für Soziologie an der Universität Witten-Herdecke, glaubt, dass durch die Enthüllungen und den Prozess gegen den früheren VW-Personalvorstand Peter Hartz dessen Erfolge als unlauter erworbenen Erfolge erscheinen müssen.

Moderation: Beatrix Novy |
    Dirk Baecker: Ja, das fragt man sich, also was juristisch eindeutig als Tatbestand der Untreue bewertet werden zu können scheint, scheint ja im Rahmen dessen, was Volkswagen über Jahre betrieben hat, eher ein Maß an Treue gewesen zu sein, also sowohl nach innen wie nach außen stand ja Peter Hartz als jemand da, der wie ein Vasall im Dienste einerseits der Gestaltung des Verhältnisses von Kapital und Arbeit und andererseits des Nachdenkens über die Probleme der Arbeitslosigkeit im ganzen Lande in Anspruch genommen werden konnte, und an den die Frage der Untreue nie im Leben hätte gestellt werden können.

    Novy: Denn wenn man vom Juristischen absieht, dann muss man sich doch fragen, ob es Untreue ist, wenn ein Manager Frieden und Wohlfahrt für den Betrieb erkauft, weil im Marktgeschehen doch auch sonst das, was der Firma oder im weiteren Sinne den Shareholdern nützt, als richtig gilt.

    Baecker: Na ja, ich denke, es wird eine Vorfrage gestellt werden müssen, wenn man dann zum Tatbestand der Untreue kommen will, und diese Vorfrage lautet, ob der treue Vasall Hartz nicht mit unlauteren Mitteln gestritten hat, die seine eigenen Erfolge im Nachhinein als prekäre, als unlauter erworbene und errungene Erfolge darzustellen zwingen. Dann ist gleichsam das, was jetzt juristisch als Untreue sich darstellt, nur eine nachträgliche Bewertung der nicht begrüßenswerten Mittel, mit denen Hartz an durchaus erstrebten Zielen gearbeitet hat.

    Novy: So dass man sich fragen muss, wer hatte denn den Schaden?

    Baecker: Ja, wer hatte den Schaden. Sicherlich jetzt ist es einfach zu beantworten, der Konzern insgesamt hat den Schaden, einen enormen Ansehensverlust. Das Land hat den Schaden, weil es jahrelang auf die Konzepte eines Mannes gesetzt hat, die nun mit Blick auf die interne Politik dieses Mannes in seinem Konzern neu bewertet werden sollen. Kein Mensch, wenn ich das richtig sehe, diskutiert gegenwärtig darüber, wie angebracht denn tatsächlich die Lösungsrezepte des Herrn Hartz sind oder nicht sind. Dass es dort soziale Proteste auf breiter Ebene gibt, ist ja noch kein Beleg dafür, dass es die falschen Rezepte gewesen sind.

    Novy: Und bekommt die Klage darüber, dass an die Peter Hartzes dieser Welt und an die Hartz-IV-Empfänger ganz grundsätzlich andere moralische Standards angelegt werden, ja wohl sicher Futter wegen dieser freundlichen Vorabeinigung, dass er nämlich nicht über eigene Verfehlungen aussagen muss und der Prozess begrenzt wird.

    Baecker: Ich denke, dass allen Beteiligen klar ist, dass sich die Lage, in der sich das Land befindet, so ernst ist, dass man nicht mit Tricks hier und Spielereien dort und Bestechungen an dritter Stelle arbeiten darf, sondern dass jeder Akteur, der sich in den Dienst einer möglichen Lösung den Problemen dieses Landes stellen möchte, also in jeder Hinsicht seines Verhaltens, in jeder Hinsicht seines Denkens, wenn man so weit gehen möchte, mit unbestechlichen, mit makellosen Mitteln arbeiten muss, und genau das steht jetzt in Frage, und dann fragt man sich, also wie soll man denn noch jemanden trauen, der sich in den Dienst dieses Landes stellt und dabei doch nur dafür sorgt, dass er möglichst lange eine möglichst interessante Karriere hinter sich bringt.

    Novy: Es gibt ja im Moment in diesem Land noch ganz andere Treuethematiken und andere Treueprobleme. Wie würden Sie das sehen mit diesem Begriff, der ja schon zwischenzeitlich schon lange durch Nazis vorher auch diskreditiert worden ist, der also eine lange, nicht nur angenehme Geschichte gehabt hat. In den fünfziger Jahren war er auf Betriebsebene ja wieder sehr erwünscht, da hieß es auf motivierenden Arbeitsplakaten, dein Betrieb erhält dich, bleib auch du deinem Betrieb treu. Davon kann ja nun mittlerweile überhaupt keine Rede sein, weder auf der einen noch auf der anderen Seite. Was ist da weggetreten worden?

    Baecker: Ich glaube, dass diese Treuevokabel mittlerweile durchschaut ist als eine Vokabel, die auf Seiten der Arbeitnehmer zu niedrigeren Löhnen führt und auf Seite der Arbeitgeber zu möglicherweise zu langen Beschäftigungen. Mittlerweile denkt man doch eigentlich eher anders und fragt sich, welches Eigeninteresse des Unternehmens muss in den Vordergrund gerückt werden, wenn es Angestellte einstellt, und welches Eigeninteresse der Angestellten muss in den Vordergrund gerückt werden, wenn diese Angestellten sich von bestimmten Unternehmen einstellen lassen, so dass eigentlich weniger Treue als vielmehr, und zwar jetzt im positiven Sinne des Wortes, Geschäftsaussichten, lukrative Aussichten auf die Gestaltung eines interessanten Lebens in den Mittelpunkt rücken als irgendwelche Ideen von Treue, von Verpflichtungen und von Dienst, die letztlich nur dazu dienen, die relative Misere der Verhältnisse zu übertünchen.

    Novy: Gibt es denn irgendeinen Bereich in der Gesellschaft heute noch, in dem Treue nicht kündbar ist?

    Baecker: Ich glaube, dass es auf Treue, wenn man mal das, was ich gerade gesagt habe, gesagt hat, dann doch wieder ankommt, denn wir sind ja in jedem Betrieb, in jeder Behörde, in jeder beruflichen Situation oder auch in jeder Situation der Ausbildung immer mit dem Problem konfrontiert, dass wir nicht wissen können, was morgen passiert. Wir haben es immer mit einer unsicheren Zukunft zu tun, und wenn ich mich da nicht auf Kollegen, auf Partner, auf Freunde, auf Mentoren, auf Paten zumindest in einer absehbaren Mittelfristigkeit verlassen kann, dann kann ich viele Projekte, die ich unternehmen möchte, gar nicht erst anfangen.