Archiv


Der Übergang von der Diktatur zur Demokratie

Viele ehemalige DDR-Bürger wurden von Freunden und Bekannten bespitzelt. Doch nicht alle wurden zur Rechenschaft gezogen. Doch nicht alle Opfer sind bis heute entschädigt oder rehabilitiert worden. Die Übergangszeit von einem Staat in den anderen, nimmt sich die Enquette-Kommission vor. Ihre Arbeit ist die Aufarbeitung der Aufarbeitung.

Von Axel Flemming |
    Ingeborg Kaltwasser steht auf der Straße vor dem Landtag in Potsdam und hält ein Schild in die Höhe, selbst geschrieben. 'Versöhnung ohne Sühne ist die große Hoffnung der Täter' steht darauf. Sie gehört zu einer Gruppe von Demonstranten, die gegen einen zu pfleglichen Umgang mit Stasi-Mitarbeitern in Brandenburg protestieren. Es ist der 24. Juni - an diesem Tag trifft sich die Enquetekommission zum vorletzten Mal vor der Sommerpause. Ingeborg Kaltwasser war Lehrerin in der DDR, wurde von einer Kollegin bespitzelt, fühlt sich aber nicht als Opfer. Dennoch fehlt ihr bei den ehemaligen Stasi-Mitarbeitern in Brandenburg die Reue:

    "Und nicht nur verbale Reue, sondern auch tätige Reue, das heißt, dass man auch verzichtet auf Positionen, die einem einfach zur Öffentlichkeit in Beziehung nicht zustehen. Also, das betrifft eben besonders Justiz und Polizei, und natürlich auch Politik, ja, das vermisse ich schon. Aber ich weiß natürlich, dass ich damit in der Minderheit bin, und dass die zweite Chance gefordert wird, und ich bin halt hier, weil ich finde, dass wir erst einmal an die Opfer denken sollen und nicht zuerst an diejenigen, die eine zweite Chance kriegen sollen."

    "So meine Damen und Herren, es ist kurz nach zehn Uhr,..."

    Etwa einmal im Monat trifft sich die Enquetekommission im Raum 306 des Landtags von Brandenburg. Eigentlich tagt hier die SPD-Fraktion; die Wahlplakate mit den Konterfeis von Manfred Stolpe und Regine Hildebrandt sind mit dem Gesicht zur Wand gedreht; die Enquetekommission ist keiner Partei verpflichtet. Die Vorsitzende Susanne Melior ist Mitglied der Sozialdemokraten, soll aber ihr Amt unparteiisch führen:

    "Also, Landtagsabgeordnete sind parteiisch, von daher kann man auch nicht erwarten, dass die zum Neutrum werden und sozusagen über den Wassern schweben. In der Kommission, bemühe ich mich als Vorsitzende schon um den Ausgleich, dass Gutachten entsprechend auch gewürdigt werden und nicht runtergemacht werden."

    Die Opposition kritisiert, dass Rot-Rot Ergebnisse, die ihnen inhaltlich nicht passten, als unwissenschaftlich bezeichnet. Die drei Oppositionsparteien CDU, FDP und Grüne hatten die Enquetekommission gegen den Willen der Regierungsfraktionen von SPD und Linken durchgesetzt; verhindern konnten sie das Gremium nicht. Untersucht werden soll nicht die DDR-Zeit, sondern die Zeit des Übergangs von der Diktatur zur Demokratie; eine Aufarbeitung der Aufarbeitung also.
    Großen Streit gab es um die Themen personelle Kontinuität bei Abgeordneten, Verwaltung und bei den Medien. Roland Jahn, der Bundesbeauftragte für die Unterlagen der DDR-Staatssicherheit:

    "Ich kann natürlich sagen, dass ich, wenn ich die letzten 20 Jahre betrachte, schon sehe, dass Brandenburg eine gewisse Zeit verschlafen hat. Aber jetzt ist die Situation, wo ich sehe, dass hier in Brandenburg Diskussionen stattfinden und dass man sich auseinandersetzt. Das finde ich gut, dass hier jetzt lebendige Aufarbeitung stattfindet."

    Innenminister Dietmar Woidke (SPD) lässt nun bei der Umsetzung der Polizeireform die Leiter der neuen Polizeischutzbereiche überprüfen. Justizminister Volkmar Schöneburg (Die Linke) könnte eine Überprüfung der Richter des Landes laut Gesetz anordnen, will es aber nicht. Bei der zentralen Gedenkfeier zum 50. Jahrestag des Mauerbaus in der Heilandskirche Sacrow sagte Ministerpräsident Matthias Platzeck:

    "Wir werden die Rehabilitierung und Entschädigung der Opfer von SED-Unrecht beschleunigen, wir werden den Gedenkstätten eine angemessene Förderung garantieren, unser Bildungsministerium wird dafür Sorge tragen, dass die Auseinandersetzung mit der DDR-Geschichte im Unterricht intensiviert wird."

    Aber schon steht der nächste Konflikt für die Kommission an: Der Umgang mit der Biografie des einstigen Ministerpräsidenten Manfred Stolpe. SPD-Vertreter des Gremiums kritisieren ein Gutachten, das erneut auf seine Kontakte zu Offizieren der Staatssicherheit einging.
    Das Gutachten kommt zu dem Schluss, dass Stolpe und ein knappes Dutzend weiterer Parlamentarier der ersten Legislaturperiode ihr Mandat hätten zurückgeben müssen.
    Der Historiker Helmut Müller-Enbergs, der dem Gremium als Sachverständiger angehört, will Stolpes Vergangenheit noch einmal betrachten, wenn auch nicht in einem Gutachten. Soll in einem Bericht doch zusammengefasst werden, was nach dem Untersuchungsausschuss noch angefallen ist. Manfred Stolpes Verdienste für das Land Brandenburg für unser Land Brandenburg sind unbestritten, und insofern muss man auch den Alt-Ministerpräsidenten ernst nehmen, wenn er Hinweise gibt. Man sollte ihn nicht ignorieren. Es wäre unhöflich gegenüber seiner politischen Gesamtlebensleistung. Stolpe selbst fordert eine faire Beurteilung seiner Kontakte zur DDR-Staatssicherheit und verteidigt sie noch einmal mit seinem damaligen Auftrag durch die Evangelische Kirche. Die Lehrerin und bekennende Christin Ingeborg Kaltwasser ist jetzt 70 und längst pensioniert. Was den Fall Stolpe angeht, da hat sie klare Ansichten:

    "Also, ich bin ihm überhaupt nicht gram, weil ich weiß, dass jeder Mensch für sein eigenes Leben verantwortlich ist als Christ und das, was ich tue, ist mir in dem Moment jetzt wichtig, und wenn Herr Stolpe damit leben kann, dann ist es eben so, und ich weiß auch, dass die Mehrheit hinter ihm steht. Aber ich steh eben hier mit ganz wenigen, weil ich der Meinung bin, so geht es nicht."