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Der Übermaler

Arnulf Rainer, der Künstler, dessen Markenzeichen Übermalungen sind, hat der Pinakothek der Moderne in München 110 Werke geschenkt. Die "Süddeutsche Zeitung" hat diese Schenkung kritisch bewertet, als Schaumschlägerei bezeichnet. Gestern wurden die Werke in einem Festakt übergeben.

Von Christian Gampert |
    Wenn ein Künstler einem Museum etwas schenkt, dann klingt das immer nobel, es ist aber natürlich auch Strategie. Arnulf Rainer möchte in München gut vertreten sein; zeitweise hat er in der Stadt ein Atelier gehabt, und neben seinem eigenen Museum (in seinem Geburtsort Baden) und seiner Präsenz in Wien hat er mit der Pinakothek nun ein weiteres Standbein.

    "Diese Bilder sind in einem finsteren, feuchten Keller gelagert gewesen, und ich wollt' sie selber mal sehen, wie sie ausgebreitet sind in dieser Art von Räumen."

    Und da ist er nun, zwischen Dan Flavin und Blinky Palermo: mit seinen schrundig-schwarzen Kruzifixen und den übermalten Selbstporträts (und Körperposen) nimmt er einen ganzen Saal in Beschlag, mit den eher meditierenden späten Schleier-Bildern und den farbschlierenden "Geologica" dann auch noch einen zweiten. Damit ist das gesamte Werk abgedeckt, die extra zu zeigende Grafik gar nicht gerechnet. Und in der Tat wird hier die Summe eines Lebens gezogen, das voller Unruhe und auch Aggression war, eine ständige Suche, ein manisches Gespräch mit sich selbst und den Kunstwerken vergangener Epochen. Wenn, im zweiten Raum, ein junger Velazquez-Edelmann, eine Rubens-Isabella und die Madame de Pompadour von Boucher in Übermalungen auftauchen, dann ist das, als würde, wie im Theater, ein Vorhang von der Kunstgeschichte weggezogen und gleichzeitig eine starke Struktur, ein betonendes, dynamisierendes Raster darüber gelegt.

    Damit ist gleich ein Thema angeschlagen, das auch beim Schenkungs-Festakt eine gewisse Rolle spielte: Martin Kusej, der neue Intendant des Münchner Residenztheaters und wie Rainer im, wie er sagte, "würgenden" Kärnten aufgewachsen, las Rainers Selbsterforschungstexte und erzählte, wie er sich schon als Schüler an Rainers Übermalungen, Verwicklungen, Überstreichungen aufgeladen habe. Malerei entsteht, um Malerei zu vernichten, und er zerstöre, "damit Besseres daraus erwächst", heißt es bei Rainer.

    Kusej las dann auch aus den gesammelten Interviews Arnulf Rainers:

    "Welche Wirkung hatten Drogen auf Ihre Malerei? – Sie lehrten mich, meine visionäre halluzinatorische Begabung zu realisieren. – Gibt es irgendwas, was Sie besonders inspiriert hat oder noch inspiriert außer Drogen? – Wut, Zorn, Ärger, Misserfolge – also Erregungen des Nervensystems. Ebenso Alkohol und Koffein. – Sehen Sie in der Malerei eine unserer Zeit gemäße Ausdrucksform? – Nein. Seitdem es Übermalungen in der Kunstgeschichte gibt, nicht mehr. Ich bin der letzte Maler."

    Werner Hofmann, der Doyen der deutschen Museumsdirektoren, hielt eine fulminante Lobrede auf Rainer, wies auf dessen surrealistische Anfänge hin und auf die Mühen und Leiden, die notwendig waren, um die heutige Gelassenheit zu erreichen. Malen sei für Rainer Selbsterleuchtung, ein Erregungszustand, der das interesselose Wohlgefallen ausschließe.

    Wenn man mit dem inzwischen 82-jährigen Arnulf Rainer selber reden kann, in einer ruhigen Ecke zwischen den Bildern, dann betont er sofort, dass Malen für ihn immer Zwiesprache gewesen sei, Dialog mit vorhandenem Bildmaterial, dessen inneren Text er neu ausgearbeitet habe.

    "Die Formen fangen an, zu mir zu sprechen. Mach da eine schwarze Wand her oder dort einen roten Fetzen ... oder was immer, nicht wahr."

    Dass Rainer in seinen theoretischen Texten dann von alten schamanistischen Ritualen spricht, schließt nicht aus, dass das Christentum eine Hauptrolle in seinem Werk spielt, im ganz ernsten und im ganz theatralischen Sinn. Das Kreuz ist für ihn Zeichen größten und sehr gegenwärtigen Leidens der Menschheit, Christus aber hält er auch für einen großen Performer.

    Schlussendlich erzählte die Kuratorin Corinna Thierolf, wie sie vor zehn Jahren Rainer wegen eines Ausstellungsprojekts besuchte und von ihm den Schlüssel zu einem Keller ausgehändigt bekam, wo jene Werke lagerten, die der Künstler für sich selbst zurückbehalten hatte. Sie hängen jetzt in der Pinakothek der Moderne, und das ist auch besser so. Als Gegengabe erhielt Rainer von Thierolf 12 Schlüssel, die jederzeit die Türen aller drei Münchner Pinakotheken öffnen. Falls also irgendwann nachts um drei dort das Licht brennt: es ist Arnulf Rainer, der Über-Maler.