"You can´t escape the reality."
Der Wirklichkeit kann man nicht entfliehen, sagt der New Yorker Filmemacher Abel Ferrara, dem zu Ehren eine Retrospektive auf dem Festival gezeigt wird. Da klingt ein Satz des deutschen Regisseurs Andreas Dresen beinahe wie ein Widerwort.
"Wer die Wirklichkeit sehen möchte, der muss aus dem Fenster gucken, der darf nicht ins Kino gehen. "
Was fängt man also an mit der Wirklichkeit im Kino? Eine Frage, die sich gerade hier, in San Sebastián, durchaus stellt, denn ein engagiertes, dem Leben zugewandtes, dabei unabhängiges und möglichst kompromißloses Kino ist es, das diesem Festival seine besondere Note gibt. Eine Realismusdiskussion muss man deshalb nicht führen, aber die verschiedenen Wege, die Wirklichkeit in den Film zu holen, kann man an den bisher gezeigten Wettbewerbsbeiträgen durchaus studieren.
Andreas Dresen, der seinen Film "Sommer vorm Balkon" hier präsentiert hat, führt vor, wie man eine mediterrane Heiterkeit kombinieren kann mit den Härten des Alltags in Berlin – Prenzlauer Berg. Zwei Freundinnen, Mittdreißiger beide und Nachbarinnen, alleinstehend und unbedingt sehnsüchtig, arbeitslos die eine, Altenpflegerin die andere, versuchen, ihr Leben zu meistern. Da geht es um Liebe und Geldsorgen, um Glücksverheißung, Enttäuschung und alkoholische Abstürze, um Kiez-Wärme und Kiez-Intrigen. Schnoddrig und zart, hart, dabei doch voller Humor, erzählt der Film ein Stück deutsche Wirklichkeit, die mit Ost und West allenfalls noch am Rande zu tun hat.
Ähnlich die Tonlage des spanischen Films "Sieben Jungfrauen" von Alberto Rodríguez, der in einen Außenbezirk einer andalusischen Großstadt blickt, um eine rauhe, kriminelle und gewalttätige Jugendszene zu beschreiben und dabei auch die Momente großer Nähe und tiefer Emotionen einfängt.
Woanders tanzt man inzwischen Tango – vermutlich in Paris –, und der letzte ist da lange noch nicht ausgerufen. Der französische Film "Ich bin nicht hier, um geliebt zu werden" von Stéphane Brizé handelt von einem 50jährigen Gerichtsvollzieher, in den sich eine deutlich jüngere Frau während der Übungsstunden im Tango-Kurs verliebt. Der emotional unterkühlte Mann – hier spielt nicht nur der Beruf, sondern auch die Beziehung zu seinem Vater eine Rolle – muss in mehreren Anläufen über seinen Schatten springen, um den Avancen der rehäugigen Schönen schließlich entgegenzukommen. Das ist gekonnt und stimmig inszeniert, reicht aber kaum über den Rand einer sehr privaten Wirklichkeit hinaus. Wenig anders verhält es sich im Film "Totschlag" des Dänen Per Fly, in dem ein altbekanntes Schema durchgespielt wird: Alternder Gymnasiallehrer verliebt sich in eine frühere Schülerin, steigt aus seinem saturierten Leben und stellt fest, dass sein neues Leben keineswegs der Hafen der Verheißungen ist. Dass jene junge Geliebte im Umfeld von Globalisierungsgegnern aktiv und mit der Justiz in Konflikte geraten ist, gibt dem Film einen Hauch von politischer Dimension, verhindert aber dennoch nicht, dass das überschaubare private Drama die Oberhand gewinnt und bis in die letzte Szene durchexerziert wird.
"The starting point was the book."
Der Ausgangspunkt war das Buch, sagt Michael Winterbottom über seinen neuen Film "A Cock And Bull Story", und da ist nicht weniger angesprochen als eine literarische Wirklichkeit. Lawrence Sternes Klassiker "Tristram Shandy" wollte er eigentlich verfilmen, aber das war – am Ende – kaum mehr als ein Anlaß. Denn die Dreharbeiten zum Film werden selbst zum Film, und genau so, wie "Tristram Shandy" letztlich von der Unmöglichkeit handelt, ein Leben in seiner ganzen Vielfalt einzufangen und zu beschreiben, so verwandelt sich diese Verfilmung in eine rasante Verkettung von Abschweifungen hinter den Dreh-Kulissen, von inspirierten Näherungen, die ihr Eigentliches ironisch umkreisen, ohne dieses Eigentliche je zu erreichen.
Der argentinische Regisseur Tristán Bauer greift zurück auf die historische Wirklichkeit. Ein fast vergessener Krieg zwischen Großbritannien und Argentinien 1982, der um die Falkland-Inseln, wird in dem Film "Erleuchtet vom Feuer" zum Thema. Militärdiktatur, Wirtschaftskrise und ein aberwitziger Nationalismus führten zu diesem von Argentinien angezettelten Konflikt. In wahrlich schockierenden Bildern, die viel zeigen, aber nichts ausstellen, wird ein Antikriegsdrama aufgebaut, das in der Gegenwart seinen Anlaß findet: der Selbstmord eines Kriegsveteranen – wie sie bis heute in der Tat vorkommen – wird für dessen Freund zum Grund, sich an die traumatische Erfahrung zu erinnern.
Der Wirklichkeit kann man nicht entfliehen, sagt der New Yorker Filmemacher Abel Ferrara, dem zu Ehren eine Retrospektive auf dem Festival gezeigt wird. Da klingt ein Satz des deutschen Regisseurs Andreas Dresen beinahe wie ein Widerwort.
"Wer die Wirklichkeit sehen möchte, der muss aus dem Fenster gucken, der darf nicht ins Kino gehen. "
Was fängt man also an mit der Wirklichkeit im Kino? Eine Frage, die sich gerade hier, in San Sebastián, durchaus stellt, denn ein engagiertes, dem Leben zugewandtes, dabei unabhängiges und möglichst kompromißloses Kino ist es, das diesem Festival seine besondere Note gibt. Eine Realismusdiskussion muss man deshalb nicht führen, aber die verschiedenen Wege, die Wirklichkeit in den Film zu holen, kann man an den bisher gezeigten Wettbewerbsbeiträgen durchaus studieren.
Andreas Dresen, der seinen Film "Sommer vorm Balkon" hier präsentiert hat, führt vor, wie man eine mediterrane Heiterkeit kombinieren kann mit den Härten des Alltags in Berlin – Prenzlauer Berg. Zwei Freundinnen, Mittdreißiger beide und Nachbarinnen, alleinstehend und unbedingt sehnsüchtig, arbeitslos die eine, Altenpflegerin die andere, versuchen, ihr Leben zu meistern. Da geht es um Liebe und Geldsorgen, um Glücksverheißung, Enttäuschung und alkoholische Abstürze, um Kiez-Wärme und Kiez-Intrigen. Schnoddrig und zart, hart, dabei doch voller Humor, erzählt der Film ein Stück deutsche Wirklichkeit, die mit Ost und West allenfalls noch am Rande zu tun hat.
Ähnlich die Tonlage des spanischen Films "Sieben Jungfrauen" von Alberto Rodríguez, der in einen Außenbezirk einer andalusischen Großstadt blickt, um eine rauhe, kriminelle und gewalttätige Jugendszene zu beschreiben und dabei auch die Momente großer Nähe und tiefer Emotionen einfängt.
Woanders tanzt man inzwischen Tango – vermutlich in Paris –, und der letzte ist da lange noch nicht ausgerufen. Der französische Film "Ich bin nicht hier, um geliebt zu werden" von Stéphane Brizé handelt von einem 50jährigen Gerichtsvollzieher, in den sich eine deutlich jüngere Frau während der Übungsstunden im Tango-Kurs verliebt. Der emotional unterkühlte Mann – hier spielt nicht nur der Beruf, sondern auch die Beziehung zu seinem Vater eine Rolle – muss in mehreren Anläufen über seinen Schatten springen, um den Avancen der rehäugigen Schönen schließlich entgegenzukommen. Das ist gekonnt und stimmig inszeniert, reicht aber kaum über den Rand einer sehr privaten Wirklichkeit hinaus. Wenig anders verhält es sich im Film "Totschlag" des Dänen Per Fly, in dem ein altbekanntes Schema durchgespielt wird: Alternder Gymnasiallehrer verliebt sich in eine frühere Schülerin, steigt aus seinem saturierten Leben und stellt fest, dass sein neues Leben keineswegs der Hafen der Verheißungen ist. Dass jene junge Geliebte im Umfeld von Globalisierungsgegnern aktiv und mit der Justiz in Konflikte geraten ist, gibt dem Film einen Hauch von politischer Dimension, verhindert aber dennoch nicht, dass das überschaubare private Drama die Oberhand gewinnt und bis in die letzte Szene durchexerziert wird.
"The starting point was the book."
Der Ausgangspunkt war das Buch, sagt Michael Winterbottom über seinen neuen Film "A Cock And Bull Story", und da ist nicht weniger angesprochen als eine literarische Wirklichkeit. Lawrence Sternes Klassiker "Tristram Shandy" wollte er eigentlich verfilmen, aber das war – am Ende – kaum mehr als ein Anlaß. Denn die Dreharbeiten zum Film werden selbst zum Film, und genau so, wie "Tristram Shandy" letztlich von der Unmöglichkeit handelt, ein Leben in seiner ganzen Vielfalt einzufangen und zu beschreiben, so verwandelt sich diese Verfilmung in eine rasante Verkettung von Abschweifungen hinter den Dreh-Kulissen, von inspirierten Näherungen, die ihr Eigentliches ironisch umkreisen, ohne dieses Eigentliche je zu erreichen.
Der argentinische Regisseur Tristán Bauer greift zurück auf die historische Wirklichkeit. Ein fast vergessener Krieg zwischen Großbritannien und Argentinien 1982, der um die Falkland-Inseln, wird in dem Film "Erleuchtet vom Feuer" zum Thema. Militärdiktatur, Wirtschaftskrise und ein aberwitziger Nationalismus führten zu diesem von Argentinien angezettelten Konflikt. In wahrlich schockierenden Bildern, die viel zeigen, aber nichts ausstellen, wird ein Antikriegsdrama aufgebaut, das in der Gegenwart seinen Anlaß findet: der Selbstmord eines Kriegsveteranen – wie sie bis heute in der Tat vorkommen – wird für dessen Freund zum Grund, sich an die traumatische Erfahrung zu erinnern.