Archiv

Der umstrittene General
Früherer polnischer Staatschef Jaruzelski gestorben

Für die einen war er ein tragischer Held, der Polen vor einem blutigen Bürgerkrieg und einem Einmarsch sowjetischer Truppen rettete. Für die anderen war er ein kommunistischer Diktator, der die Solidarnosc-Bewegung niederschlagen ließ. Nun ist der polnische General Wojciech Jaruzelski im Alter von 90 Jahren gestorben.

25.05.2014
    Auch Papst Johannes Paul II. wurde vom polnischen Staats- und Regierungschef Jaruzelski empfangen.
    Auch Papst Johannes Paul II. wurde vom polnischen Staats- und Regierungschef Jaruzelski empfangen. (dpa / Radek Pietruszka)
    An General Wojciech Jaruzelski scheiden sich in Polen bis heute die Geister. Zu seinen Lebzeiten hielten Gegner und Anhänger an jedem 13. Dezember Kundgebungen vor seinem Haus in Warschau ab. An diesem Tag hatte Jaruzelski 1981 als Militär- und Regierungschef das Kriegsrecht über Polen verhängt. Zehntausende Mitglieder der unabhängigen Gewerkschaft Solidarnosc wurden festgenommen, Dutzende in den folgenden Monaten ermordet. Nun ist der Mann mit der großen dunklen Brille im Alter von 90 Jahren gestorben.
    Er habe damals das "kleinere Übel" gewählt und das Land vor einer Invasion sowjetischer Truppen bewahrt, führte Jaruzelski später immer wieder zu seiner Rechtfertigung an. Dieser Interpretation widersprechen allerdings die meisten polnischen Historiker. Dokumenten zufolge beabsichtigte Moskau keineswegs, in Polen zu intervenieren, jedenfalls nicht zu diesem Zeitpunkt. Das Kriegsrecht wurde im Juli 1983 wieder aufgehoben. Doch hunderttausende von Polen verließen das Land.
    Kritiker wollten ihn vor Gericht sehen
    Jaruzelskis Kritiker jedenfalls wollten den General vor Gericht zur Rechenschaft ziehen. Im April 2007 wurde er wegen der Verhängung des Kriegsrechts 1981 angeklagt. In einem anderen Verfahren musste Jaruzelski sich bereits wegen der blutigen Niederschlagung von Arbeiterdemonstrationen 1970 verantworten. Er soll damals den Schießbefehl gegeben haben. Wegen seiner angeschlagenen Gesundheit - 2011 gab Jaruzelski bekannt, dass er an Lymphdrüsenkrebs litt - wurde er jedoch von den Verfahren ausgenommen.
    Es war vor allem der Aufstieg Michail Gorbatschows in der damaligen Sowjetunion, aber auch die Wirtschaftskrise in Polen, die Jaruzelski dazu brachten, seinen Griff zu lockern. So stimmte die kommunistische Führung 1989 bei Gesprächen am Runden Tisch einem friedlichen Übergang zur Demokratie zu. Nach der ersten halbfreien Parlamentswahl 1989 wurde Jaruzelski zwar im selben Jahr für sechs Jahre zum Staatspräsidenten gewählt. Er trat jedoch schon wenige Monate später zurück, um seinem langjährigen Widersacher, dem Solidarnosc-Mitbegründer Lech Walesa, an der Spitze des Staates Platz zu machen.
    Als Staatspräsident räumte er "Fehler" ein
    Als er das Amt des Staatspräsidenten 1990 niederlegte, räumte Jaruzelski "Fehler" ein und bat seine Landsleute um Entschuldigung für die Beteiligung polnischer Truppen an der Niederschlagung des Prager Frühlings 1968 - damals war er Verteidigungsminister gewesen.
    In einem Gespräch mit der Nachrichtenagentur AFP sagte der General 2005: "Es klingt vielleicht paradox aus meinem Mund, aber ich bin sehr froh, Polen in der Nato zu sehen, die der Garant unserer Sicherheit ist, und in der Europäischen Union, die eine enorme Entwicklungschance ist."
    Jaruzelski wurde am 6. Juli 1923 im südostpolnischen Dorf Kurow geboren. Schon früh bekannte er sich zum Kommunismus. Als Adolf Hitler und Josef Stalin 1939 Polen unter sich aufteilten, wurde die ganze Familie Jaruzelski nach Sibirien deportiert, wo der Vater starb.
    Der junge Wojciech schloss sich den polnischen Einheiten an, die nach Hitlers Bruch mit Stalin innerhalb der Roten Armee gebildet wurden. Er machte schnell Karriere in der Armee und in der der Partei. Mit 33 Jahren wurde er der jüngste Armeegeneral Polens und 1968 Verteidigungsminister - für 15 Jahre.
    Ein Urteil wegen der umstrittenen Verhängung des Kriegsrechts wurde nie gegen Jaruzelski gesprochen. Wegen seiner Krankheit konnte er an dem Verfahren nicht teilnehmen. Er selber wiederholte gerne, "nur die Geschichte" werde ihm eines Tages Gerechtigkeit widerfahren lassen.