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Der unbekannte Pop-Artist

James Rosenquist kam 1933 in Grand Forks, North Dakota, zur Welt, in einem Diakonissen-Krankenhaus, aus dem später das "Happy Dragon Chinese Restaurant" wurde. Das ist wohl der Stoff, aus dem Pop Art Legenden gestrickt sind, und Rosenquist hat eine Menge davon auf Lager. Etwa, wie er eines seiner billboard-sized paintings – seiner reklametafelgroßen Gemälde – an einen bekannten deutschen Sammler namens Ludwig verkaufen wollte, diesem jedoch der Preis zu hoch war und der die Galerie daraufhin schon wieder verließ. Im selben Moment rief der Architekt Philipp Johnson an, der sich ebenfalls für das Bild interessierte. Ludwig kehrte zurück, nahm Rosenquist das Telefon aus der Hand und schrie hinein: Es ist meins!

Von Carsten Probst |
    Drei, zwei, eins – meins! So einfach ist das mit der Kunst, soll das wohl heißen. Was zählt, ist nicht, dass es sich um wahre Kunst handelt, was soll das auch schon sein, sondern die Suggestion, Kunst zu sein. Kunst ist demnach, wenn der Markt es als Kunst zu Kunstpreisen verkaufen kann. Diese Einsicht, die eigentlich schon aus den dreißiger Jahren stammt, hat Andy Warhol mit einer kaum zu überbietenden Radikalität umgesetzt. Man versucht sich vorzustellen, wie die beiden nebeneinander wirken würden, Warhol und Rosenquist. Und im direkten Vergleich ist Rosenquist ein Künstlertyp noch der alten Schule. Seine Selbstinszenierung fällt bescheiden aus: ein unauffälliger, leicht untersetzter, älterer Mann mit Florida-Bräunung und lichtem blonden Haar, der ohne weiteres auch als zu Geld gekommener Privataktionär einer Großbank durchgehen könnte.

    Rosenquist ist vor allem Maler, dem es anscheinend tatsächlich noch um gut gemachte Kunst, um die Materialität der Farben geht, und er macht offenkundig noch einen gewissen Unterschied zwischen dem Herstellen eines Gemäldes und dem einer Werbewurfsendung oder eines Filmplakats. Für ihn ist das Bild noch ein Ding an sich und nicht nur, wie seinerzeit für Warhol, eine beliebig kopierbare Oberfläche. Nichts zu spüren von Warhols schmerzhafter Ironie, mit der er seine eigene Erscheinung bis zum Exzess zum Markenartikel gemacht hat. Rosenquist geht es vor allem darum, kunsthistorische Assoziationen innerhalb des Bildes zu zerstören. "Niemand wird wegen Spaghetti in Nostalgie verfallen", sagte er angesichts eines seiner bekanntesten Gemälde I love you with my Ford von 1961. "Niemand wird Spaghetti mit einem Kruzifix verwechseln. Deswegen kann ich all diese Motive aus der Werbung auf viel interessantere Art und Weise verwenden." Das vergleichsweise kleinformatige Bild I love you with my Ford ("Ich liebe dich mit meinem Ford") zeigt auf drei horizontalen Bildfeldern den Kühlergrill eines alten Ford, darunter ein schlafendes oder in genießerischer Verzückung entrücktes Frauengesicht, das von einem Filmplakat stammen könnte, und darunter Spaghetti in Tomatensauce. Rosenquists Anspielung auf das Kruzifix kommt freilich nicht von ungefähr, denn das Bild ist in der Mitte einmal senkrecht geteilt, besteht also eigentlich aus zwei Hälften, so dass sich versteckt doch eine Kreuzform mit den drei waagerechten Bildfeldern ergibt.

    Die sechziger Jahre sind zweifellos Rosenquists große Zeit. Nahezu zeitgleich mit Warhol und Roy Lichtenstein hat er in New York 1962 seine erste Einzelausstellung. Mit ihnen teilt er die Verehrung und die Konkurrenz mit dem großen Bahnbrecher der Materialkunst, Robert Rauschenberg. Rosenquist, geschult durch seine Nebentätigkeit als Reklamemaler, kreiert innerhalb weniger Jahre eine Technik der gemalten Collage, in der er unterschiedlichste Versatzstücke aus der Werbewelt scheinbar zusammenhanglos auf der Bildfläche vereint, durch Farben und Kombination der Einzelteile jedoch kunstvoll Stimmungen und Rhythmisierungen schafft, so dass am Ende die Schlüssigkeit der Komposition die wahllose Anhäufung von Zitaten überformt.

    Erstmals werden in dieser Ausstellung auch Skizzen und Entwürfe zu den späteren wandfüllenden Gemälden präsentiert. Sie zeigen, wie sehr Rosenquist als Zeichner und Entwerfer eigentlich immer am dadaistischen Erbe Rauschenbergs partizipiert hat. Als Zeichnung oder Bildcollage wirken diese Studien wie die Offenlegung einer ursprünglichen Intention, nämlich dadaistische Elemente gleichsam zur Rettung des Bildes vor dessen endgültigem Abstieg ins Marketing zu verwenden. Dabei ist Rosenquist immer auch auf den Erweis seines zweifellos herausragenden malerischen Talents erpicht.

    Wie Rauschenberg gebraucht er darüber hinaus in den sechziger Jahren auch Materialassemblagen, Bilder werden Glühbirnen bestückt (Reification, 1961) oder bewegen sich Dank kleiner, auf der Rückseite angebrachter Motoren (Car Touch, 1966)
    Der späte Rosenquist hingegen scheint mehr und mehr selbst von seiner Zeit überformt zu werden. Seit den achtziger Jahren hat er seine Malerei- und Reproduktionstechniken perfektioniert, seine Farben sind eindrucksvoll, seine wirbelnden Formgebungen virtuos. Aber seine wiederkehrenden Themen wie Umwelt oder Globalisierung bewegen sich mittlerweile mehr auf dem Niveau von Kampagnen – ganz so, als habe ihn sein früherer Broterwerb über die Hintertür der Kunst wieder eingeholt.