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Der unbekannte Skandinavier

Das sind Gemälde, die scheinbar nichts mitteilen, keine Botschaft haben sondern Rätsel aufgeben; Bilder, die nicht groß, aber auch nicht klein sind, nicht bunt, aber auch nicht düster. Interieurs, die von innen heraus sanft glimmen, aber nirgends strahlen, selbst wenn sich in diese verschwiegenen Räume ein Sonnenstrahl verirrt. Bilder von knisternder Stille, die doch mit leiser Stimme sprechen, Selbstgespräche zu halten scheinen. Der dänische Maler Vilhelm Hammershoi war ein menschenscheuer Einsiedler, fern der Saloneleganz seiner Zeit. Seine Kunst ist demonstrativ unspektakulär, und dennoch war Hammershoi um die Jahrhundertwende ein international viel beachteter Künstler. – Felix Krämer, Kurator der Hamburger Werkschau, die den Skandinavier für Deutschland neu entdeckt, will Hammershoi aus seiner Zeit heraus verständlich machen:

Ein Beitrag von Rainer Berthold Schossig |
    Er ist ganz stark verankert in symbolistischen Theorien. Es geht nicht so sehr darum, dass eine Aktion im Bild stattfindet, wichtiger ist die Aktion im Betrachter. Wenn ich diese Bilder anschaue, was dann in mir passiert, das ist entscheidend.

    Der erste Eindruck ist befremdend, wenn nicht beklemmend: Portraits von Menschen, die fremd aneinander vorbei schauen, Blickachsen, die sich gar nicht oder vielleicht im Unendlichen treffen, dazwischen Aktdarstellungen, deren Modelle, wie entblößt und beschämt wirken. Man fühlt sich in die Psycho-Dramen Ibsens oder Strindbergs versetzt. Im Blickfeld: die schüchterne Verlobte des Malers, hübsch gekleidet mit Kapotthütchen und Tirolerjäckchen, dabei ratlos ins Leere starrend. Doch beim Weitergehen bemerkt man, dass es nicht die Menschen sind, die auf Hammershois Bildern die Hauptrolle spielen; vielmehr sind es die Sachen, die eine geradezu magische Qualität annehmen:

    Man sieht kaum Menschen bei Hammershoi, und wenn Menschen vorhanden sind, dann wenden sie einem den Rücken zu. Hammershoi suggeriert, dass er uns etwas mitteilt, dass wir einen Blick in seine private Sphäre erhalten würden. Aber das bekommen wir nicht.

    Was dem Betrachter bleibt, ist etwas Artifizielles: Er wird Komplize des rastlos wandernden Blicks von Vilhelm Hammershoi, durch mattgrüne Feld- und Waldeinsamkeiten, vorbei an menschenleeren Bauernhöfen, Häusern mit vermauerten Toren und blinden Fenstern, dazwischen trübe Stadtlandschaften, neblige Londoner oder Kopenhagener Vedutten. Doch all dies sind nur kurze Ausflüge in eine fremde Welt. Hammershoi kehrt immer wieder in die eigenen vier Wände zurück. Hier in der Kopenhagener Strandgade – eingesperrt zwischen Türen und Portieren, Paneelen und Möbeln, Stuck und Bilderleisten – entwickelt sich erst das ganze Drama seiner Malerei:

    Hammershoi malt immer wieder, wie ein Besessener, sein eigenes Heim; über einen Zeitraum von 11 Jahren entstehen fast 60 Werke, die immer wieder diese Wohnung zeigen. Er kreist darin, es entstehen fast labyrinthische Strukturen. Und wenn man genau hinschaut, wird man feststellen dass es zahlreiche Irritationen gibt.

    Eine sonderbar sinistre Lichtführung verwirrt das Auge, der Blick fängt sich in schattigen Korridoren, tastet Gardinen ab, durch die indirektes Licht aus gefangenen Hinterhöfen sickert, das Auge gleitet über weich schimmernde Bilderrahmen mit verdämmernden Motiven. Versprengte Sonnenflecken wandern schräg über flache Stuckprofile, in den Ecken dunkelt es allenthalben, so dass man genau hinsehen muss. Noch ein mal der Kurator Felix Krämer:

    Man bemerkt es gar nicht, dass Türgriffe fehlen, plötzlich verschwindet ein Ofen, die Frau wirft keinen Schatten, obwohl die Tür direkt daneben einen wirft; am Klavier fehlen die hinteren Beine, es scheint vor der Wand zu schweben; die Schatten scheinen verrückt zu spielen. All das sind Momente, die einem verborgen bleiben bei einer oberflächlichen Betrachtung.

    Zugegeben, die klaustrophobische Befremdlichkeit dieser Bilder reißt den Betrachter, der Hammershoi heute wieder entdeckt, leicht zu poetisch-hymnischen Wendungen hin. Auch der Zeitgenosse Rainer Maria Rilke war ja schon von Hammershoi fasziniert. Wir können heute Parallelen ziehen bis zur enigmatischen Kunst von René Magritte und Edward Hopper. Der Hamburger Kunsthalle gebührt Dank dafür, dass sie den weithin unbekannten Vilhelm Hammershoi hierzulande endlich vorstellt. Kein Freund kultivierter Malerei wird enttäuscht sein. Freilich wird – im van-Gogh-Jahr – ein so hermetischer Künstler keine Besucherströme anlocken.

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