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Der unermüdliche Kritiker

Ende der 90er-Jahre versenkte die russische Armee atomaren Abfall im Japanischen Meer. Der Militärjournalist Grigori Pasko deckte diesen Umweltskandal auf und wurde deshalb wegen Spionage und Landsverrat verhaftet. Für Pasko begann eine Odyssee durch Straflager und Gefängnisse.

Von Barbara Lehmann |
    Es ist wie in einem schlechten Spionagefilm: Vor zwölf Jahren kehrt an einem grauen Novembertag der russische Marineoffizier und Journalist Grigori Pasko von einer Recherchereise aus dem sonnig-warmen Japan ins schmutzig-kalte Wladiwostok zurück. An der Grenzkontrolle halten ihm zwei Schlägertypen ihre Geheimdienstausweise vor die Nase und stoßen ihn in das vordere von zwei Autos, in denen bereits vier weitere FSB-Agenten auf ihn warten.

    Bei den folgenden brutalen Verhören beschuldigen sie ihn des versuchten Schmuggels geheimer militärischer Dokumente ins Ausland und des Landesverrats. Zwei Prozesse an Militärgerichten folgen, vier Jahre verbringt Grigori Pasko in russischen Gefängnissen und Lagern. Vor seiner Verhaftung hat Pasko die illegale Versenkung atomarer Abfälle im Japanischen Meer durch russische Schiffe gefilmt hatte, was ausschnittweise im japanischen Fernsehen gezeigt wurde.

    Die liberale Presse und der russische Schriftstellerverband PEN-Club adeln ihn zum Dissidenten, Umweltaktivsten und Kremlkritiker, an dem der Geheimdienst ein Exempel statuieren wolle. Auch internationale Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International und Human Rights Watch protestieren und ermöglichen sogar eine Klage Paskos beim Europäischen Gerichtshof in Straßburg. Pasko selbst sitzt währenddessen in einer Einzelzelle - und versucht, schreibend zu überleben.

    "Das russische Gefängnis kann man mit der Armee vergleichen, in der ich 20 Jahre lang gedient habe. Es ähnelt auch der Katorga, dem zaristischen Straflager in Sibirien, das Dostojewskij und Tschechow beschrieben haben. Die Gefängnisse heute unterscheiden sich kaum von denen des stalinistischen Gulags, welche die Schriftsteller Schalamow und Solzhenizyn erdulden mussten. Regimekritiker mussten im zaristischen Russland und unter Stalin unter ähnlichen Bedingungen im Gefängnis sitzen wie wir heute."

    Nach seiner Haft wird Pasko in die Arbeitslosigkeit entlassen - krank, mittellos, ohne seinen militärischen Dienstgrad. Doch in regierungskritischen russischen Kreisen hat er nun einen Namen - ebenso wie bei den westlichen Menschenrechtsorganisationen. Pasko ergreift seine Chance: Er gründet ein Umweltjournal, publiziert Bücher über seine Jahre im Gefängnis, die auch in Deutschland erscheinen. Freimütig kritisiert er die Zustände in der russischen Presse, Justiz und Regierung - und lehnt es ab, in Russland unter Pseudonym zu schreiben. Stattdessen nutzt er seine Popularität und etabliert sich als kritischer Blogger, was seine Bekanntheit noch mal steigert.

    Nebenher arbeitet er für westliche Medien, auch für das deutsche Fernsehen. Dabei kritisiert er die Umweltverletzungen, die er erst jüngst beim Bau der Olympiaanlagen in Sotschi beobachtete. Und er berichtet über die ökologischen Risiken durch die umstrittene Nordstream-Gasleitung, über die er auf eigene Faust einen Film drehte: "Buried at Sea".

    "Die Bezirksstadt Babajewo - durch die drei Pipelines des Nordstream-Projekts Gas nach Deutschland exportieren- ist selbst nur zu 35 Prozent an Gas angeschlossen. Das heißt, die Menschen, die auf drei Gasleitungen sitzen, haben keine Möglichkeit, selbst Gas zu benutzen. Sie heizen ihre Öfen mit Brennholz und holzen dafür die umliegenden Wälder ab. Moskau und St. Petersburg - das ist nicht das provinzielle Russland. In der russischen Provinz herrscht ein anderes Zeitalter."

    Dank seiner Blogs erhält Pasko täglich über E-Mails Zuspruch, Kritik, Anregungen und Informationen. Er trifft sich regelmäßig mit den leitenden Redakteuren der unabhängigen Moskauer Wochenzeitung "Nowaja Gazeta" zum Meinungsaustausch auf gleicher Augenhöhe. Derzeit hält ihn sein neuestes Projekt in Atem: ein gemeinsam mit dem Deutsch-Russischen Austausch gegründetes Büro für Umweltinformation. Dass neulich der Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg seine fast schon vergessene Klage aus dem Jahr 2002 gegen die Justizorgane der russischen Förderation abwies, betrachtet der Rastlose eher als Ansporn.