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Der Ur-Brecht

Am 28. Juli 1929 wurde Bertolt Brechts "Lehrstück" unter der Regie des Autors in der Baden Badener Stadthalle uraufgeführt, löste einen Skandal aus und wurde in dieser Form nie wieder gespielt. Ein Jahr später schrieb Brecht es zum "Badener Lehrstück vom Einverständnis" um. Der Text der stark abweichenden, ursprünglichen Fassung blieb nur auf einer bei der Aufführung verwendeten Partitur von Paul Hindemith erhalten. Anlässlich von Bertolt Brechts 50. Todestag am 14. August wird Frank-Patrick Steckel dieses Ur-"Lehrstück" für das Radio umsetzen.

Von Frank Olbert | 08.07.2006
    Steckel machte sich erstmals einen Namen, als er 1970 gemeinsam mit Peter Stein Brechts und Gorkis "Die Mutter" mit Therese Giese in der Hauptrolle inszenierte. 1975 wurde seine erste westdeutsche Interpretation von Heiner Müllers "Der Lohndrücker" zum Berliner Theatertreffen eingeladen. Im Jahr 1986 übernahm Steckel die Intendanz des Bochumer Schauspielhauses von Claus Peymann und konnte dessen renommierte Stellung in seiner mehrfach verlängerten Intendantenzeit halten. Seit elf Jahren arbeitet er wieder als freier Regisseur und widmete sich in dieser Zeit auch immer wieder den Urfassungen berühmter Stücke wie Goethes "Faust"oder Tschechows "Möwe", ein Interesse am urspünglichen Text, das sich auch in seinen eigenen Shakespeare- und Molière-Übersetzungen zeigt. Frank-Patrick Steckel habe ich gefragt, was ihn an dieser ersten Fassung.von Brechts "Lehrstück" interessiert hat.
    Frank Olbert: Herr Steckel, was hat Sie an dieser ersten Fassung des "Lehrstücks" interessiert?
    Patrick Steckel: Der Umstand, dass nur die zweite Fassung von 1930 veröffentlicht worden ist und die Tatsache, dass die Kommentare in der großen Berliner und Frankfurter Ausgabe, in der die erste Fassung nicht abgedruckt ist, auf bestimmte Differenzen zwischen der ersten und der zweiten Fassung hinweisen, hat eine Recherche nach dieser ersten Fassung ausgelöst. Dann stellte sich heraus, dass dieser Text nur in der Partitur von Hindemith lesbar war. Wir haben uns mit der Partitur beschäftigt und es stellte sich heraus, dass die erste und die zweite Fassung krass voneinander abweichen.
    Frank Olbert: Krass - was heißt das?
    Patrick Steckel: Die erste Fassung stellt eine für Brecht ungewöhnlich deutliche Kritik an dem Naturbewältigungswahn der Gattung Mensch dar, eine Entwicklung, die uns ja inzwischen in einige Schwierigkeiten zu bringen in der Lage war. Und die zweite Fassung stellt im Grunde nicht anderes dar als die Zurücknahme dieser Kritik.
    Frank Olbert: Wie gehen Sie bei der Realisierung dieses Stücks vor?
    Patrick Steckel: Wir machen eine Radioproduktion und eine konzertante Aufführung im Berliner Ensemble Ende August. Das Problem war, dass ich gern die Musik von Hindemith vervollständigt hätte, weil sich die vorhandene Musik nicht auf den vollständigen Text bezieht, wir aber keine Genehmigung für die Vervollständigung bekamen. Die Hindemith-Erben hatten nichts dagegen, aber die Brecht-Erben. Insofern war der Weg für eine Neuvertonung frei und wir haben dann mit einem sehr renommierten lateinamerikanischen Komponisten namens Carlos Farinas zusammengearbeitet.
    Bertolt Brechts lehrstück in der Regie von Frank-Patrick Steckel stellt der Deutschlandfunk am Dienstag, den 8. August um 20.10 Uhr vor.