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Der Vater der 3D-Technologie

Der Experimentalphysiker Charles Wheatstone war ein akademischer Hans Dampf in allen Disziplinen. Vor 175 Jahren präsentierte er der Royal Society eine Erfindung, nach deren Grundprinzip heutige 3D-Fernsehgeräte funktionieren.

Von Arndt Reuning | 21.06.2013
    Eigentlich hatte Charles Wheatstone den Betrieb seines Onkels übernehmen sollen. Der war Musikinstrumentenbauer und besaß ein Geschäft in London. Doch das Kaufmännische lag dem jungen Charles nicht besonders. Viel lieber verbrachte er seine Zeit damit, neue Musikinstrumente zu erfinden. Ein Vorläufermodell der Englischen Konzertina zum Beispiel, die einem Akkordeon ähnelt. Über die Akustik fand der Autodidakt seinen Weg in die Physik, wo er sich dann auch der Optik widmete – speziell dem räumlichen Sehen. Am Beginn seiner Forschungen stand hier eine eigentlich banale Beobachtung: Das linke Auge eines Menschen nimmt die Welt aus einem anderen Blickwinkel wahr als sein rechtes.

    "Das mag man auf einfache Weise überprüfen: indem man nämlich einen dreidimensionalen Körper, einen Würfel beispielsweise, in moderater Distanz vor die Augen hebt und den Kopf vollkommen stillhält. Dann betrachte man den Körper abwechselnd mit jeweils einem Auge, während man das andere schließt",

    schrieb Wheatstone 1838 in einem naturwissenschaftlichen Journal. Jedes Auge nimmt ein leicht unterschiedliches Bild des Würfels wahr. Und aus diesen beiden zweidimensionalen Projektionen berechnet das Gehirn das dreidimensionale Bild des Gegenstandes. Diese Theorie des räumlichen Sehens versuchte der Physiker zu untermauern - durch einen Apparat, mit dem er jedem Auge einzeln die perspektivisch leicht verschobene Zeichnung eines geometrischen Körpers präsentierte. Die Bilder saßen auf einer Holzschiene und konnten getrennt voneinander über zwei Spiegel betrachtet werden. Auf diese Weise entstand der Eindruck, es handele sich um einen dreidimensionalen Gegenstand.

    Am 21. Juni 1838 stellte Wheatstone seine Erfindung der Royal Society in London vor.

    "Da ich nun wiederholt die Gelegenheit haben werde, auf dieses Instrument Bezug zu nehmen, dürfte es sich als nützlich erweisen, ihm einen speziellen Namen zu geben. Daher schlage ich vor, es als Stereoskop zu bezeichnen."

    Dieses Spiegelstereoskop wäre wohl schon bald wieder in der Versenkung verschwunden, wenn nicht ungefähr zur gleichen Zeit eine andere junge Technik ihren Aufschwung erfahren hätte: die Fotografie.

    "Wheatstone ist eigentlich sehr, sehr früh auf die Idee gekommen, diese beiden Verfahren zusammenzubringen: dass er sich zwei Fotografien erstellen lässt, perspektivisch verschieden, eine linke und dann den Fotoapparat ein bisschen auf die Seite schiebt und eine zweite Fotografie macht und diese Bilder dann in seinem Stereoskop betrachtet. Und dadurch wirken diese Bilder dreidimensional."

    Martin Kohler ist Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Stereoskopie und hat sich mit der Geschichte dieser Instrumente beschäftigt. Das ursprüngliche Spiegelstereoskop erwies sich schon bald als recht sperrig. Daher ersetzte Wheatstone die Spiegel durch Linsen, sodass eine Art kompakter Bildkasten entstand. Und eine raffinierte Variante dieses Modells konstruierte sein Landsmann Sir David Brewster.

    "Und der eigentliche Durchbruch kam dann 1851. Da hat er diese Erfindung auf der Weltausstellung in London präsentiert und eigentlich mit einem unheimlich durchschlagenden Erfolg. Das war eigentlich der erste Siegeszug der Stereoskopie, der dreidimensionalen Fotografie."

    In vielen europäischen Städten entstanden im ausgehenden 19. Jahrhundert sogenannte Kaiser-Panoramen. Zylindrische Schaukästen, an denen zwei Dutzend Personen gleichzeitig stereoskopische Bilder betrachten konnten. Im Inneren wurden Dia-Aufnahmen im Kreis um jeweils einen Zuschauerplatz weiter bewegt.

    "So fünfzehn, zwanzig Sekunden sind die stehen geblieben. Danach hat’s einen Gongschlag gemacht. Und dann ist das Bild wieder um ein Bild weiter gewandert, und so konnte man praktisch ganze Serien den Leuten präsentieren. Und die Leute konnten sich diese Serien dreidimensional anschauen. Es sind auch die Schulklassen teilweise hingegangen, um sich ein Bild zu machen, wie es irgendwo anders in der Welt aussieht."

    Erst der Kinematograf konnte die Kaiserpanoramen verdrängen. Also jenes Medium, welches heute mit moderner 3-D-Technik auf eben jenes Prinzip des räumlichen Sehens zurückgreift, das schon Charles Wheatstone mit seinem Stereoskop demonstriert hat.