Christoph Ingenhoven: Es ist schwer verständlich, wie Menschen heute behaupten können, das sei sozusagen das meist geliebte Bauwerk Südwestdeutschlands, während sie es haben einfach 40 Jahre furchtbar verkommen lassen. Sie müssen sich das Ding mal anschauen!
Karin Fischer: Das sagte Christoph Ingenhoven, einer der beteiligten Architekten des Bahnprojekts "Stuttgart 21", über den Hauptbahnhof, das Hauptwerk von Paul Bonatz, das 1913 bis 1927 entstand. Na dann schauen wir uns das Ding mal an! Ab morgen widmet das Deutsche Architekturmuseum jenem Mann eine große Retrospektive, der über Jahrzehnte ein wichtiger Baumeister in Deutschland war. Lange war sein Name nicht mehr im Gespräch, bis die Stuttgarter beschlossen, für ein Bauwerk, das die Bahn tatsächlich verkommen ließ und das viele als ein hässliches "hässliches Trum" beschreiben würden, auf die Straße zu gehen. Die Frage ging an Wolfgang Voigt, den stellvertretenden Direktor des Deutschen Architekturmuseums und Kurator der Frankfurter Ausstellung. Kann Ihre Schau den Architekten in dieser Hinsicht denn rehabilitieren?
Wolfgang Voigt: Es ist richtig, dass der Bahnhof in den letzten Jahren nicht gut gepflegt wurde, aber er ist nichtsdestotrotz eine ganz hervorragende großstädtische Architektur der frühen Moderne in Deutschland und er hat die Stadt Stuttgart genauso wie der Weissenhof in die Moderne katapultiert. Das kann man schon sagen.
Fischer: Sie zeigen mehrere Hundert Exponate und Modelle. Erklären Sie, wie Sie das große Werk ordnen und einordnen? Was ist Paul Bonatzs Bedeutung in der deutschen Architekturgeschichte und wie machen Sie sie anschaulich?
Voigt: Wir zeigen Originalzeichnungen und Modelle vor allen Dingen. Wir lassen uns immer Modelle von Hochschulen bauen. Da haben wir viele der Brücken, der Staustufen, also diese herrlichen technischen Bauten, ebenso wie natürlich ein riesengroßes Modell des Hauptbahnhofes. Und – ganz besonderer Leckerbissen – das Märklin-Modell. Der Stuttgarter Hauptbahnhof hat ja in den 30er- und 40er- und 50er-Jahren auch in vielen Kinderzimmern gestanden bei der Modelleisenbahn.
Fischer: Bonatz ist angesiedelt zwischen Klassizismus und einer Moderne, die sich aber irgendwie nicht ganz zu trauen scheint. Aus was für Einflüssen hat sich sein Werk eigentlich gespeist?
Voigt: Bonatz kommt einerseits aus einem regionalen Traditionalismus. Er entwickelt sich dann aber doch zu einem moderaten Modernen. Aber darüber hinaus gibt es – und das ist das spannende Neue, was wir herausgefunden haben – orientalische Einflüsse auf den Hauptbahnhof. Wenn Sie sich die große und die kleine Schalterhalle ansehen, diese Fassaden, das sind quadratische Fronten mit großen halbrunden Öffnungen. Das ist nichts anderes als eine Moscheefassade aus Kairo. Wir wissen das, weil wir Skizzen aufgefunden haben von seinem Ägypten-Besuch 1913. Da hat er sich ganz offensichtlich sehr für diese interessiert und hat sie festgehalten.
Fischer: Vielleicht machen Sie noch mal an einem Beispiel anschaulich, was Sie mit regionalem Traditionalismus meinen.
Voigt: Das kann man sehr gut festmachen an den Bauten der Neckar-Kanalisierung in den 20er-Jahren. Die begann mit der Staustufe in Heidelberg, direkt bei der Altstadt unter der Heidelberger Schlossruine, und da musste sich Bonatz erst mal durchsetzen gegen die konservativen Traditionalisten, die natürlich ein bildhaftes Anknüpfen an die Geschichte wollten mit einer burgartigen altstädtischen Architektur, also Zinnen und Turmspitzen auf den Pfeilern im Fluss, und das wollte Bonatz überhaupt nicht. Das sind also schöne, kubische, nach vorne zugespitzte Volumen und mit flachen Dächern. Aber die regionale Anpassung funktioniert dort über das Material. Da nimmt er dann denselben schönen rötlichen Sandstein wie beim Heidelberger Schloss.
Fischer: Die Fährnisse seines Lebens wollten es, dass er in seinem späteren Leben in die Türkei umsiedelte und dort auch noch mal enormen Einfluss gewann, als Baumeister nämlich und als Lehrer.
Voigt: Es gibt diese aktive Spätphase in seinem Leben und Werk. Er hat eben als alter Herr noch mal die Chance, in der Türkei so richtig aufzudrehen, und da ist er immerhin für zehn Jahre, von 1944 bis _54, und ist dort in dieser Zeit einer der einflussreichsten Architekten. Das kann man schon sagen. Er sitzt in allen Jurys, er baut einige wichtige Sachen, darunter das Opernhaus von Ankara, und er ist ein ganz wichtiger Architekturlehrer.
Fischer: Das war Wolfgang Voigt, der stellvertretende Direktor des Deutschen Architekturmuseums in Frankfurt am Main, über Paul Bonatz.
Karin Fischer: Das sagte Christoph Ingenhoven, einer der beteiligten Architekten des Bahnprojekts "Stuttgart 21", über den Hauptbahnhof, das Hauptwerk von Paul Bonatz, das 1913 bis 1927 entstand. Na dann schauen wir uns das Ding mal an! Ab morgen widmet das Deutsche Architekturmuseum jenem Mann eine große Retrospektive, der über Jahrzehnte ein wichtiger Baumeister in Deutschland war. Lange war sein Name nicht mehr im Gespräch, bis die Stuttgarter beschlossen, für ein Bauwerk, das die Bahn tatsächlich verkommen ließ und das viele als ein hässliches "hässliches Trum" beschreiben würden, auf die Straße zu gehen. Die Frage ging an Wolfgang Voigt, den stellvertretenden Direktor des Deutschen Architekturmuseums und Kurator der Frankfurter Ausstellung. Kann Ihre Schau den Architekten in dieser Hinsicht denn rehabilitieren?
Wolfgang Voigt: Es ist richtig, dass der Bahnhof in den letzten Jahren nicht gut gepflegt wurde, aber er ist nichtsdestotrotz eine ganz hervorragende großstädtische Architektur der frühen Moderne in Deutschland und er hat die Stadt Stuttgart genauso wie der Weissenhof in die Moderne katapultiert. Das kann man schon sagen.
Fischer: Sie zeigen mehrere Hundert Exponate und Modelle. Erklären Sie, wie Sie das große Werk ordnen und einordnen? Was ist Paul Bonatzs Bedeutung in der deutschen Architekturgeschichte und wie machen Sie sie anschaulich?
Voigt: Wir zeigen Originalzeichnungen und Modelle vor allen Dingen. Wir lassen uns immer Modelle von Hochschulen bauen. Da haben wir viele der Brücken, der Staustufen, also diese herrlichen technischen Bauten, ebenso wie natürlich ein riesengroßes Modell des Hauptbahnhofes. Und – ganz besonderer Leckerbissen – das Märklin-Modell. Der Stuttgarter Hauptbahnhof hat ja in den 30er- und 40er- und 50er-Jahren auch in vielen Kinderzimmern gestanden bei der Modelleisenbahn.
Fischer: Bonatz ist angesiedelt zwischen Klassizismus und einer Moderne, die sich aber irgendwie nicht ganz zu trauen scheint. Aus was für Einflüssen hat sich sein Werk eigentlich gespeist?
Voigt: Bonatz kommt einerseits aus einem regionalen Traditionalismus. Er entwickelt sich dann aber doch zu einem moderaten Modernen. Aber darüber hinaus gibt es – und das ist das spannende Neue, was wir herausgefunden haben – orientalische Einflüsse auf den Hauptbahnhof. Wenn Sie sich die große und die kleine Schalterhalle ansehen, diese Fassaden, das sind quadratische Fronten mit großen halbrunden Öffnungen. Das ist nichts anderes als eine Moscheefassade aus Kairo. Wir wissen das, weil wir Skizzen aufgefunden haben von seinem Ägypten-Besuch 1913. Da hat er sich ganz offensichtlich sehr für diese interessiert und hat sie festgehalten.
Fischer: Vielleicht machen Sie noch mal an einem Beispiel anschaulich, was Sie mit regionalem Traditionalismus meinen.
Voigt: Das kann man sehr gut festmachen an den Bauten der Neckar-Kanalisierung in den 20er-Jahren. Die begann mit der Staustufe in Heidelberg, direkt bei der Altstadt unter der Heidelberger Schlossruine, und da musste sich Bonatz erst mal durchsetzen gegen die konservativen Traditionalisten, die natürlich ein bildhaftes Anknüpfen an die Geschichte wollten mit einer burgartigen altstädtischen Architektur, also Zinnen und Turmspitzen auf den Pfeilern im Fluss, und das wollte Bonatz überhaupt nicht. Das sind also schöne, kubische, nach vorne zugespitzte Volumen und mit flachen Dächern. Aber die regionale Anpassung funktioniert dort über das Material. Da nimmt er dann denselben schönen rötlichen Sandstein wie beim Heidelberger Schloss.
Fischer: Die Fährnisse seines Lebens wollten es, dass er in seinem späteren Leben in die Türkei umsiedelte und dort auch noch mal enormen Einfluss gewann, als Baumeister nämlich und als Lehrer.
Voigt: Es gibt diese aktive Spätphase in seinem Leben und Werk. Er hat eben als alter Herr noch mal die Chance, in der Türkei so richtig aufzudrehen, und da ist er immerhin für zehn Jahre, von 1944 bis _54, und ist dort in dieser Zeit einer der einflussreichsten Architekten. Das kann man schon sagen. Er sitzt in allen Jurys, er baut einige wichtige Sachen, darunter das Opernhaus von Ankara, und er ist ein ganz wichtiger Architekturlehrer.
Fischer: Das war Wolfgang Voigt, der stellvertretende Direktor des Deutschen Architekturmuseums in Frankfurt am Main, über Paul Bonatz.