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Der Vater des Automobils

Als sich Gottlieb Daimler Ende des 19. Jahrhunderts daran machte, den ersten schnell laufenden Benzinmotor zu entwickeln, interessierte sich kaum jemand für seine Vision einer allgemeinen Motorisierung. Doch letztlich war der Fortschritt nicht aufzuhalten. 1834 wurde der schwäbische Ingenieur und Erfinder Gottlieb Wilhelm Daimler geboren.

Von Irene Meichsner | 17.03.2009
    "Mein Vater saß nie am Steuer, er überließ dies seinen beiden Söhnen und fuhr nur als Beobachter und Kritiker mit. Überraschend war die Wirkung unserer Motorkutsche auf die Vorübergehenden. Oft blieben diese wie versteinert stehen, meist aber flüchteten sie in den Straßengraben, bekreuzigten sich und schrien entsetzt: Der Leibhaftige! Oder: Da kommt des Teufels Fuhrwerk!"

    Martha Daimler war noch ein Kind, als ihr Vater, Gottlieb Daimler, Mitte der 1880er-Jahre im heutigen Bad Cannstatt seine ersten holprigen Motorfahrzeuge testete.

    "Fahrten hinaus auf das Land konnten sogar lebensgefährlich werden. Kam man in ein Dorf, um am Marktbrunnen für die Kühlung des Motors Wasser zu schöpfen, so konnte es passieren, dass von allen Seiten die Bauern mit Heugabeln und Dreschflegeln herbeistürzten, um der Teufelsbrut, wie sie uns nannten, zu Leibe zu rücken. Eine weitere Schwierigkeit waren die Pferde, denen das pferdelose und fauchende Fahrzeug ungewohnt war. Jedes Mal musste einer von uns absteigen, dem Gespann entgegen gehen und mit freundlichem Tonfall das Pferd am Zügel vorbeiführen - vorausgesetzt, dass es nicht samt Wagen und Bauer schon vorher querfeldein Reißaus genommen hatte."

    Dass diese knatternden Automobile jemals die alten Pferdefuhrwerke ersetzen könnten, schien den meisten Menschen unvorstellbar. Doch Daimler war davon fest überzeugt. Sein Biograf Werner Walz schreibt dazu:

    "Er sah buchstäblich seinen Motor, den Daimler-Motor, alles bewegen, was zu Lande zu Wasser und in der Luft sich bewegen sollte. Der Motor konnte Kutschen bewegen, schneller und billiger als die Pferde im Stall, er konnte Schiffe durch die Flüsse stromaufwärts fahren und Luftschiffe am Himmel eine beliebige Richtung auch gegen den Wind steuern lassen."

    Gottlieb Wilhelm Daimler kam am 17. März 1834 in Schorndorf bei Stuttgart als Sohn eines Bäckers zur Welt. Er studierte Maschinenbau und sammelte praktische Erfahrungen im In- und Ausland. In Reutlingen lernte er Wilhelm Maybach kennen, den man später den "König der Konstrukteure" nannte. Beide gingen 1872 zur Gasmotorenfabrik Deutz nach Köln, wo sich Daimler als Technischer Direktor mit dem "Otto-Motor" befasste. Dieser Motor taugte allerdings nur für den stationären Betrieb. Der Motor, von dem Daimler träumte, musste kleiner und leichter sein. Bei Nicolaus Otto, dem Firmenchef, stieß er damit auf taube Ohren. Schließlich zog sich Daimler 1882 in die schwäbische Heimat zurück.

    "In Cannstadt bot sich ihm Gelegenheit, ein Haus in einem großen Gartengelände zu kaufen. Angrenzend dort an ein Gewächshaus, ließ er eine Werkstatt bauen. Bei verhängten Fenstern, nur bei Oberlicht, begann jetzt ein unermüdliches Entwerfen, Arbeiten und Probieren."

    Wilhelm Maybach, der Daimler in die Selbständigkeit folgte, hatte die entscheidenden Ideen:

    "Zur Erzielung eines rascheren Ganges wandte ich anstelle der damaligen Flammenzündung die Zündung mittels Glührohr an und als Vergaser einen von mir erfundenen Schwimmervergaser."

    1883 bekam Daimler ein Patent auf seinen kleinen, "schnell laufenden" Benzinmotor. Zwei Jahre später begannen die ersten heimlichen Probefahrten im Cannstatter Garten - erst mit einem hölzernen Motorrad, dann mit einer motorisierten Kutsche, mit der sich die Familie sogar auf die Straße wagte.

    "Wir Mädels bekamen bei diesen Gelegenheiten ein feines Ohr für den Takt des Motors. Fing er an, unregelmäßig zu laufen, und das war in der ersten Zeit nicht selten, so hieß das für uns: absteigen, reparieren helfen und schwarze Hände."

    Was Daimler anfangs gar nicht wusste: In Mannheim baute Karl Benz ganz ähnliche Motoren. Beide Männer hatten dasselbe Problem.

    "Weder für Daimlers erste Benzinkutsche noch für Benz' Patent-Motorwagen interessierte sich, als sie geboren waren, auch nur ein ernsthafter Käufer."

    1886 präsentierte Daimler das erste Motorboot. Und ein Jahr später eine motorisierte Miniatur-Straßenbahn. 1890 gründete er die "Daimler-Motoren-Gesellschaft", die 1926, lange nach seinem Tod, mit der Firma von Karl Benz zur "Daimler-Benz AG" fusionierte. Die letzten Lebensjahre waren überschattet von Streitigkeiten mit den Finanzpartnern über die strategischen Ziele.

    Am 6. März 1900 starb Gottlieb Daimler in Cannstatt im Alter von 66 Jahren. Den Siegeszug des Automobils sah er kommen, hat ihn aber selbst nicht mehr erlebt.