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Der Vater von "Gonzo" und "New Journalism"

Koldehoff: Warum er denn nach Vietnam gegangen sei, wurde der Journalist Hunter S. Thompson gefragt. "Dieser Krieg", so antwortete er, "bestimmt unser Leben schon so lange. Diese Gesellschaft musste sich fragen, auf welcher Seite sie steht. Ich hatte dort drüben keine Angst." Die kurze Antwort beschreibt, wie Thompson gearbeitet hat: Nur über das, was er sah oder erlebte, wollte er schreiben – ganz gleich, ob es um Drogen, um einen Boxkampf oder um den Krieg in Vietnam ging. "Method acting" würde das ein Schauspieler nennen, "Gonzo-Journalismus" hieß es bei Thompson. Die Idee, die dahinter steckte, war jene, dass die echte Wahrheit im Bereich zwischen den Fakten und der Fiktion zu finden sei. Denn was Hunter S. Thompson über das Erlebte dann schrieb, das hing irgendwo zwischen Fakten und Fiktion, zwischen Journalismus und Literatur.

Claudius Seidl im Gespräch |
    Hunter S. Thompson ließ sich, als er über die Hell’s Angels schreiben wollte, von der Rockertruppe verprügeln. Er hasste Richard Nixon abgrundtief, feierte mit Champagner dessen Rücktritt nach der Watergate-Affäre und nannte noch vor kurzem George W. Bush einen "bekloppten Kinderpräsidenten, Narren und Versager". Berühmt wurde Hunter S. Thompson neben seinem Hell’s Angels-Buch 1972 mit "Angst und Schrecken in Las Vegas", einer Beschreibung seiner eigenen Drogentrips, der Gegenwelt zum amerikanischen Traum, Hunter S. Thompson hat sich, wie heute bekannt wurde gestern im Alter von 67 Jahren an seinem Wohnort Woody Creek in Colorado erschossen.

    Ich habe Claudius Seidl, den Kulturchef der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, gefragt, als was er Thompsons Texte gelesen hat: Als Beschreibung der Wirklichkeit oder als deren Erfindung.

    Seidl: Natürlich als Beschreibung von Wirklichkeit. Wobei natürlich das Spannende und das Durchgeknallte häufig an seinen Texten das war, dass Gegenstand der Recherche sozusagen sein eigener Kopf war, sein eigenes Handeln. Deswegen war es auch immer so unbestimmt zu sagen, ist er ein Schriftsteller, ist er ein Journalist. So etwas wie "Fear and loathing in Las Vegas" handelt nur von Hunter S. Thompson, ist aber eine Reportage darüber, was die Drogen, was dieser ganzen Irrsinn in Las Vegas mit ihm macht. Dass es auch große Schriftstellerei ist, ist quasi ein Nebeneffekt. Das ist ja auch das sehr, sehr angenehme an Hunter S. Thompson, dass er nicht plötzlich so wie Tom Woolf, der auch einst ein phantastischer Journalist war, unbedingt jetzt ins seriöse Fach wechseln wollte.

    Koldehoff: Man kann ja manchmal den Eindruck haben, wenn man liest, wie manche seiner Stoffe überhaupt zu Texten wurden, also, er geht zum legendären Boxkampf zwischen Muhammad Ali und Frazier und kommt aber eigentlich gar nicht zu dem Kampf, weil er irgendwo, so stand es jedenfalls wunderbar geschrieben, in einem Swimmingpool mit einem Beutel Marihuana endet. Andere Texte, bei denen er sich von Hell’s Angels verprügeln lässt, auch das geschieht ihm alles so. Wie viel war denn wohl recherchiert und kalkuliert an den Texten, die er geschrieben hat und wie viel ist ihm tatsächlich einfach widerfahren?

    Seidl: Ich will mal zu seinen Gunsten annehmen, ich kann es ja auch nicht überprüfen, dass tatsächlich relativ wenig kalkuliert war. Das Erstaunliche war ja, dass man eigentlich nie den Eindruck hat, dass er einfach nur ein Poser ist, dass er einfach nur ein Angeber ist. Ich habe ihm jedenfalls immer geglaubt, dass es für ihn existentielle Erfahrungen waren und nicht einfach Rumgepose, Rollenspiel. Aber vielleicht bin ich naiv?

    Koldehoff: Sie haben jedenfalls in unserem Vorgespräch gesagt, Sie seien ein Fan von Hunter S. Thompson. Was hat Sie an seinen Texten so gefesselt, was war das Besondere?

    Seidl: Im Grunde muss man über zwei Dinge reden. Das eine, Hunter S. Thompson, wie wir ihn kannten und Hunter S. Thompson nachdem die Rum Diaries herausgekommen waren...

    Koldehoff: Der einzige Rumroman, den er jemals geschrieben hat.

    Seidl: Was eine ganz zwiespältige Erfahrung war. Sein erster Roman, geschrieben, glaube ich, in den frühen 60er Jahren und tatsächlich ein Roman, ein sehr, sehr schöner und zarter Roman. Seitdem hat sich meine Wahrnehmung von Hunter S. Thompson ein bisschen verschoben, weil ich dachte, im Grunde muss man ihn als Gescheiterten begreifen. Im Grunde zeigt "The Rum Diary", dass ihn ihm auch die Möglichkeit gesteckt hätte, F. Scott Fitzgerald zu werden und es war eher ein bisschen schade, dass er es nicht geworden ist. Auch die Erfolgsgeschichte des Gonzo-Journalisten habe ich seitdem ein bisschen gelesen als die Geschichte eines gescheiterten Schriftstellers, dessen Wut und Leidenschaft so groß waren, dass er nicht mehr die Disziplin aufbringen konnte, weitere, ähnlich disziplinierte, uneitle Romane zu schreiben wie es "The Rum Diary" ist.

    Koldehoff: Das ist der Romanautor. Wenn wir noch mal zum Journalisten zurückkommen, dann war er einer, für den ganz offenbar die Wut, vielleicht sogar die Verzweiflung ein bestimmendes Moment seines Schreibens gewesen ist. Er hat ganz bewusst gegen Richard Nixon geschrieben, er hat ganz bewusst gegen George W. Bush geschrieben. Ist das ein guter Charakterzug an einem Journalisten, sich von der Wut vereinnahmen zu lassen und das zur treibenden Kraft des Schreibens werden zu lassen?

    Seidl: Ich bin mir nicht ganz sicher, ob er überhaupt eine Wahl hatte. Er hat offenbar sein Land so sehr geliebt, wie das nur in Amerika denkbar ist und entsprechend wütend, verzweifelt, zornig war er angesichts der bestehenden Verhältnisse. Insofern taugt auch Hunter S. Thompson nur bedingt als Vorbild für hiesige Schreiber, für Schriftsteller oder Journalisten, weil, sozusagen, sein durchgeknallter Schreibstil schon, meiner Ansicht nach, durch echte Verzweiflung gedeckt war. Sich die Posen oder auch die Floskeln zu borgen, ohne mit ähnlichem Temperament, ähnlicher Leidenschaft dabei zu sein, wäre sofort ganz glatte Lüge meiner Ansicht nach.