Bei Malern fällt die Beweisführung naturgemäß leicht. Dass Albrecht Dürer schielte, lässt sich nicht nur seinen Selbstportraits entnehmen, sondern auch dem berühmten Abbild seiner Mutter, deren Augenfehlstellung Dürer offensichtlich erbte. Ein Gemeinplatz auch die Kurzsichtigkeit der Impressionisten. Renoir genügte es, unbebrillt ein paar Schritte zurückzutreten, schon nahm er konventionelle Gemälde quasi impressionistisch wahr, und von Çezanne ist der Ausruf überliefert: "Nehmt diese vulgären Dinger weg!", als man ihm eine Brille anbot. Je komplizierter die Fehlstellungen des Auges, desto gravierender die Auswirkungen auf den Bildaufbau. Der Krümmungsfehler der Hornhaut beim Astigmatismus beeinflußt die Komposition, wie Trevor-Roper in seinem mit reichhaltigem Bildmaterial ausgestatten Band demonstriert. Fotografiert man nämlich Bilder von El Greco, Holbein oder Lucas Cranach durch eine korrigierende Linse, verändert sich die Bildwirkung verblüffend: Die Körperproportionen der Abgebildeten - etwa beim berühmten Portrait Heinrichs des Achten - entzerren sich und gewinnen an Natürlichkeit.
Schwieriger wird es bei der Fehlsichtigkeit von Dichtern. Ihre Metaphernsprache folgt nicht zwangsläufig dem Handikap der Augen, wenngleich sich Trevor-Roper um Belege von kurzsichtigen und farbenblinden Autoren bemüht. Nachvollziehbar wird die Veränderung erst beim Totalverlust des Augenlichts: Blinde Autoren schreiben anders als sehende, von Geburt an erblindete anders als diejenigen, die noch eine Vorstellung von der visuellen Welt bewahrt haben. Das Zusammenspiel der Sinne - und die evolutionär gewachsene Dominanz des Auges - beschreibt der britische Augenarzt plastisch und einleuchtend. Nur dort, wo es an spezifische Krankheitsbilder seines Fachbereiches geht, verlässt ihn sein Talent zur Anschaulichkeit. Was jenseits der skurrilen Fallsammlung nach der Lektüre übrigbleibt, hat die Londoner Times schon nach der Erstveröffentlichung mit britischem Understatement auf den Punkt gebracht: Man könne dieses Buch nicht ohne Gewinn für die eigene Konversation lesen. Verblüffen wir also bei der nächsten Party mit dem Aperçu, dass sich Umzugskartons, die man grün anstreicht, subjektiv leichter tragen lassen als schwarze. Die Umstehenden werden dankbar sein.