Dienstag, 14. Mai 2024

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Der vergessene Kontinent

Die deutschen Afrika-Wissenschaften befinden sich mitten in einer kontroversen Debatte über ihren Zustand und ihre Zukunft. Wie andere Regionalwissenschaften stehen sie vor der Frage, wie sie sich in Zeiten schrumpfender Hochschul-Etats behaupten können. Ausgelöst und angeheizt durch mehrere Veröffentlichungen in Fachzeitschriften und Feuilletons wird über die Ausrichtung und die Schwerpunkte der Afrika-Wissenschaften diskutiert, und über die Anforderungen, die an sie gestellt werden. Helmut Bley, Historiker von der Uni Hannover, bringt es auf den Punkt:

Victoria Eglau | 23.02.2004
    Die einen meinen, sie müssten sich mehr der Grundlagenforschung zuwenden, und die Theorie-Entwicklung fördern. Die anderen erwarten Gegenwartsbezug und Anwendung bis zur Politikberatung müsse im Vordergrund stehen.

    Afrika-Wissenschaften setzen sich zusammen aus verschiedenen Disziplinen. Traditionell aus Sprach- und Literaturwissenschaften und Ethnologie, aber auch Geschichte, Politologie und Soziologie gehören dazu. Interne Kritiker halten die deutschen Afrika-Wissenschaften für zu realitätsfern und meinen, dass angebliche Orchideenfächer wie die Ethnologie ein zu starkes Gewicht hätten. Doch den Vorwurf, ihre Zunft würde sich mit abseitigen Mikrothemen beschäftigen, hält die Mainzer Afrika-Ethnologin Carola Lenz für ganz und gar ungerechtfertigt:

    Ich denke, dass unser spezifischer Beitrag liegt in einer sehr fundierten Fähigkeit zu Mikro-Analysen, aber im größeren Kontext. Das heißt, heute macht bei uns eigentlich auch keiner mehr eine Dorfstudie, ohne zu gucken, dass dieses Dorf also eingebettet ist in einen regionalen, und oft auch in einen globalen Zusammenhang. Trotzdem ist es eine Fähigkeit zum genauen Hingucken, zum Alltags-nahen Forschen, die unser Fach auszeichnet.

    In Zeiten der Krise scheinen sich die Gräben zwischen den verschiedenen Afrika-Wissenschaften zu vertiefen. Und, sie stehen nicht nur in einem Spannungsfeld zueinander, sondern auch zu ihrer jeweiligen sogenannten Mutterwissenschaft. Einer eigenen Afrika-Wissenschaft, die losgelöst von den Mutterdisziplinen existiert, erteilt der Politologe Hans Jürgen Puhle von der Universität Frankfurt am Main eine klare Absage. Seine These ist,

    dass die auf Afrika oder andere Südkontinente konzentrierte Forschung fest in ihren Mutterdisziplinen verankert sein und bleiben muss, und dass sie auch die besten Leute anziehen muss. Dass man nicht sagt: das sind die, die da am Katzentisch irgendwo sitzen, weil sie in der Hauptdisziplin nicht reüssiert hätten.

    Sogar der Name Afrika-Wissenschaften ist Puhle ein Dorn im Auge, er will lieber unverbindlich von Afrika-Studien oder Afrika-Forschung sprechen. Dass sich angesichts der allgemeinen Sparzwänge die Mutterwissenschaften aus den Afrika- und anderen Regionalwissenschaften zurückziehen könnten, quasi zurück ins Kerngeschäft, fürchtet der Historiker Helmut Bley:

    Und das ist die deutsche Provinz und ihre überwältigende Bedeutung für den Rest der Welt Forderung eins: Die Welt, und auch Afrika, muss in den großen Disziplinen integriert bleiben oder werden. Forderung zwei: Die großen Regionen der Welt, und auch die Nachbarregion Afrika, brauchen ihre Zentren in Universitäten und in außeruniversitären Zentren (...) Forderung drei: Aber es droht auch hier die Provinzialität, wenn nicht die Vernetzung der Afrika-Forschung zu den anderen großen Regionen der Welt hergestellt wird.

    Besser vernetzt werden müssten auch die Afrika-Wissenschaften untereinander, ist
    die Sprachwissenschaftlerin Brigitte Reineke von der Berliner Humboldt-Uni überzeugt. Gerade jetzt müsse das Motto lauten: Aufeinander zugehen.

    Ich glaube, dass jede in den Afrikawissenschaften verankerte Disziplin, ob es nun Linguistik, Literaturwissenschaft, Geschichte, Soziologie und so weiter ist, und ihre Vertreter sehr häufig an die Grenzen ihrer eigenen Erkenntnisfähig gestoßen ist, und erkannt hat, dass nur durch Forschungen auch aus dem Blickwinkel anderer gesellschaftlicher Disziplinen es möglich ist, den tatsächlichen Zusammenhängen näher zu kommen.