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Der verschenkte "Caravaggio"

Die Kritikerin Wiebke Hüster hat sich enttäuscht gezeigt von der Umsetzung des Tanzstücks "Caravaggio" von Mauro Bigonzetti in Berlin. Alle Erwartungen an einen

Moderation: Rainer Berthold Schossig |
    barock sinnlichen Tanzabend seien dem Publikum vorenthalten worden. Ein solch "inhaltsleerer" Abend grenze schon an einen Skandal, sagte Hüster.

    Rainer Berthold Schossig: Caravaggio ist der Maler des Brutalen und des Schönen, seine Figuren sind realistisch, sein Ausdruck lebenswahr. Und die von ihm gemalten Wesen sind wie tänzerisch erstarrt in ihrer Hingabe, ihrer Lust, ihrem Schmerz. So der russische Tänzer und Berliner Staatsballett-Chef Vladimir Malakhov über den manieristischen Maler Michelangelo Merisi alias Caravaggio. Jetzt tanzt Malakhov das turbulente Leben und Werk Caravaggios. Mit Malakhov in der Titelrolle, hatte gestern das Tanzstück "Caravaggio" von Mauro Bigonzetti Uraufführung an der Staatsoper Unter den Linden. Frage an Wiebke Hüster, Caravaggio als abendfüllendes Tanztheater, geht man nach den Bildern dieses draufgängerischen Malers, dann könnte das ja ein aufregend barocker sinnlicher Abend geworden sein?

    Wiebke Hüster: Ja, es war nur leider nichts dergleichen. Bigonzetti hat das ganz zurückgefahren und hat versucht sehr abstrakt mit diesem Thema umzugehen, hat im zweiten Akt dann durchgängig einen güldenen Bilderrahmen oberhalb der Szene schweben und in dem tauchen aber fast nie Figuren auf. Es wird einem eigentlich alles, was man da erwartet, vorenthalten. Caravaggio holt sich seine Modelle aus dem Prekariat und die sind dann die Vorbilder die Heiligen, dieser wirklich provozierende Realismus, den er da aufgebracht hat im Frühbarock. Da muss dann doch irgendwas draus machen können. Nein, die sterben alle bloß in Schönheit.

    Schossig: Der italienische Choreograf Mauro Bigonzetti, Sie haben ihn erwähnt, der kommt ja aus der Emilia-Romagna. Der hat dort eine doch wichtige Tanztruppe und hat sich diese Choreografie ausgedacht. Wie italienisch beziehungsweise wie kitschig ging es denn nun gestern Unter den Linden auf der Tanzbühne zu?

    Hüster: Kitschig ging es vor allen Dingen auf der Bewegungsebene zu. Man muss wirklich sagen, nach diesem Abend steht es fest, Bigonzetti ist ein Eklektizist. Sie müssen sich vorstellen, das gibt es so eine Mischung aus so einem etwas angestaubten Modern Dance, wo man Contract und Release, diese mächtigen Oberkörperbewegungen dauernd unterbringt, mit den Armen wird permanent bedeutungsvoll herumgefuchtelt, ohne dass man wüsste, was das eigentlich bedeuten soll. Dann werden permanent eigentlich die Ellenbogen so durchgestreckt, die Arme so durchgedrückt, was auch die Linie so bricht. Das Gleiche gilt für die Handgelenke, ganz oft knicken die Handgelenke so ab und dann strömt natürlich die Energie gar nicht weiter. Diese falsche Spannung, möchte ich es mal nennen, die wird eben auf der Verständnisebene, auf der inhaltlichen Ebene nie eingelöst. Man weiß nie, wohin fließt eigentlich dieser Druck, woher kommt dieses Leiden, warum macht Malakhov eigentlich die ganze Zeit dabei auch noch so ein tragisches Gesicht.

    Schossig: Apropos Malakhov. Frau Hüster, im Zentrum stand er gestern als Caravaggio, dieser russische Tänzer. Er ist ja seit 2002 in Berlin Tanzchef. Er ist über 40 und gerade von einer Knieoperation genesen, wie man hörte, die ihn sechs Monate pausieren ließ. Wie hat Malakhov denn diese schwierige, für ihn auch körperlich ja nicht ganz leichte Aufgabe bewältigt?

    Hüster: Ich finde, dass er keine sehr glückliche Figur abgibt, und das ist eigentlich auch das Traurige an diesem Abend. Bigonzetti und seine Kostümdesignerin haben sich entschieden, Malakhov den ganzen Abend über in nichts als einem hautfarbenen Slip auftreten zu lassen. Und das ist wirklich die erste Fehlentscheidung des Abends. Das Ensemble, das nur im ersten Akt auftreten darf und irgendwie die Bevölkerung Mailands oder auch Roms wahlweise darstellt, die dürfen durchaus Kleider und Hosen tragen. Aber die Protagonisten, Malakhov und seine engste Entourage geht eben halb nackt. Malakhov posiert eigentlich die meiste Zeit und er ist leider auch kein guter Schauspieler. Er hat mit Polina Semjonowa Duette, in denen er sie mehr oder weniger dreht und hält, während sie irgendwelche großen Posen da vorführt. Das ist zu wenig.

    Schossig: Große Posen, Posieren, sagen Sie, falsche Entscheidungen, was den Rahmen, aber auch was die Tanzqualität und das Fließen der Energieströme des Tanzens betrifft. Muss man sich Gedanken über die positive Zukunft des Berliner Staatsballetts machen?

    Hüster: Mit diesen neuesten Skandal, möchte man fast schon sagen, weil es wirklich so inhaltsleer war und so gar nichts, da setzt sich eigentlich nur eine unglückliche Repertoirepolitik fort, die Malakhov betreibt. Er hat einfach, was die Wahl zeitgenössischer Choreografen angeht, keine glückliche Hand. Und dieser Misserfolg wird sicherlich auch darunter abgebucht, dass man dann sagt, oh, das Haus, ein großes Haus mit einer großen Kompagnie, die übrigens gar nicht zum Einsatz kommt in diesem Stück, ist ein Risiko eingegangen, hat den Mut zu zeitgenössischen Stücken bewiesen. Leider sind sie damit gescheitert, man konnte es ja nicht wissen. Doch, man hätte es vielleicht in diesem Fall wissen können. Das zeigt sich übrigens auch besonders ärgerlich auf der musikalischen Ebene. Bruno Moretti, ein langer Weggefährte von Bigonzetti, hat hier eine Komposition geschaffen nach Claudio Monteverdi. Und wann immer Monteverdi original-unberührt erklingt, ist das natürlich sehr berührend und sehr schön. Aber die Bearbeitung ist genauso beliebig und wahllos hatte er da die Musiken zusammengestopft und zusammengeschnitten, dass man wirklich von einer Stimmung in die nächste plumpst und gar nicht weiß, warum eigentlich.

    Schossig: Der verschenkte "Caravaggio". Soweit eine enttäuschte Wiebke Hüster über den gestrigen Ballettabend an der Staatsoper Unter den Linden in Berlin.