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Der versteckte Wasserfall

Im Landesinneren von Mexiko kann man unberührte und spektakuläre Naturwunder finden. So auch im mexikanischen Bundesstaat San Luis Potosi. In der Nähe der Stadt Valles befindet sich das Naturschutzgebiet Huasteca.

Von Athene Pi Permantier |
    28 Kilometer vor der mexikanischen Stadt Valles biegen wir im Auto auf eine schotterige Landstraße ab. Auf einem Schild steht: Tamul zehn Kilometer, wir scheinen dem Wasserfall schon sehr nahe gekommen zu sein. Ein Bewohner nähert sich dem Wagen, um uns etwas mitzuteilen. Er bietet an uns in seinem Jeep mitzunehmen, weil die Straße sehr steinig sei. In unserem Kleinwagen wäre der Weg schwer zu bewältigen, sagt er. Mein Begleiter und Reiseführer Aldo Perez lehnt dankend ab und ich frage ihn warum.

    "Wenn du willst, nehmen sie dich in einem Jeep mit Vierradantrieb mit, damit dein Auto nicht beschädigt wird. Aber ich war schon einmal hier und weiß, dass mein Auto durchkommt."

    Wir fahren durch einen kleinen Ort und befinden uns bald inmitten von Zuckerrohrplantagen. Der steinige Weg scheint kein Ende zu nehmen. Im Schneckentempo fährt unser Kleinwagen über die Steine. Plötzlich begrenzt ein Zaun die Weiterfahrt und ich schaue Aldo fragend an:

    "Dieses Grundstück ist privat, es gehört also einer Person. Normalerweise würden sie hier niemanden durchlassen. Aber diese Besitzer berechnen zehn Pesos und wir können durchfahren."

    Unsere Weiterfahrt hängt also nur von der Laune der Bewohner des Privatgeländes ab! Wir haben Glück, schon kommt eine Frau mit einem kleinen Kind auf dem Arm an den Zaun und kassiert die zehn Pesos, umgerechnet 60 Cent für die Durchquerung des Privatgeländes. Sie öffnet die Pforten und verscheucht einige Pferde von der Schotterstraße, damit wir weiterfahren können.

    Die letzten Meter fahren wir am Fluss entlang, bevor wir an eine grüne Lichtung gelangen. Das Wasser ist klar, leuchtet uns türkis entgegen und gibt schon einen Vorgeschmack auf den Wasserfall. Den Rest des Weges müssen wir zu Fuß zurücklegen, denn hier endet die Straße.

    "Dann packen wir jetzt hier mal unser Picknick zusammen – wir haben nämlich ein Picknick mitgenommen und laufen los. Mal gucken, wie das wird. Ich habe ja schon ein bisschen Angst, denn wir müssen jetzt über diesen Fluss drüber und die Brücken, die können Sie sich so vorstellen, dass die wirklich nur so aus einem Baumstumpf bestehen, den da mal eben jemand über das Wasser gelegt hat."

    Ungefähr 20 Meter müssen wir überwinden. An den meisten Stellen ist das Wasser zum Glück lediglich zehn Zentimeter, an anderen allerdings über einen Meter tief. Besonders vertrauenserweckend sind die Brücken nicht.

    Geschafft, jetzt müssen wir nur noch einen Kilometer am Fluss entlang laufen. Hier gibt es nur einen schmalen Trampelpfad. Der Flusslauf ist gesäumt von grünen Bäumen und bunten Blumen. Unterwegs verrät Aldo, warum wir von oben an den Wasserfall gekommen sind und nicht – wie die meisten Touristen – ein Ruderboot genommen haben, um uns dem Wasserfall über den Fluss von unten zu nähern.

    "Ich möchte den oberen Weg nehmen, weil wir so den Wasserfall von oben bestaunen können. Wir können dort oben schwimmen und außerdem können wir über einen kleinen Weg nach unten klettern und können den Wasserfall auch von unten anschauen."

    So haben wir beide Perspektiven in einem Ausflug vereint. Voll bepackt folgen wir dem Trampelpfad, immer parallel zum Fluss, einen Meter vom Wasser entfernt. Schließlich wird der Fluss breiter, das Wasser verteilt sich jetzt auf ganz viele kleine Becken, die ein bisschen wie Naturschwimmbecken aussehen. Wir sind fast angekommen, auf einer kleinen Lichtung neben einem solchen Becken legen wir unser Gepäck ab und schauen uns um. Bis jetzt kann ich den 105 Meter hohen Wasserfall nur erahnen und hören. Ein großes Tal tut sich vor uns auf.

    "Zuerst würde ich gerne mal einen Panoramaausblick auf den ganzen Wasserfall wagen. Aldo por donde bajamos para ver asi la cascada enterita?"

    Auf die Frage nach dem Weg nach unten deutet Aldo mit dem Finger auf einen Trampelpfad bergab:

    "Dort können wir nach unten klettern. Da gibt es auch einige Schilder, auf denen 'Vorsicht' steht. Einige Menschen haben dort eine Leiter und Seile angebracht, an denen man sich festhalten kann."

    Auf geht's! Behutsam klettern wir die verrostete Leiter aus Metall hinab, die durch die Mittagssonne aufgeheizt wurde. Unten angekommen atmen wir einmal tief durch und vor uns erstreckt sich ein kleiner Sandstrand. Ich laufe dem Wasser entgegen und wage einen ersten Blick auf den gigantischen Wasserfall. Er befindet sich in einem Tal zwischen riesigen Steinfelsen. Das Wasser prasselt in alle Richtungen hinab und fällt auf uns wie ein warmer Sommerregen – ein umwerfendes Panorama! Weit und breit kein Mensch, nur wir und die Natur. Nachdem wir die Eindrücke ein paar Minuten genossen haben, bekomme ich Lust zu baden. Also heißt es wieder nach oben steigen und dort in einem der vielen kleinen Becken schwimmen, denn hier unten ist die Strömung zu stark! Oben angekommen ist uns durch das Klettern noch wärmer geworden und ich bitte meinen Reiseführer Aldo, zuerst ins Wasser zu gehen und die Temperatur zu testen.

    "Es ist schon ein bisschen kalt, aber ich kann reingehen. Ich weiß natürlich nicht, ob du willst."

    "Gut, ich bin ja ein starkes Mädchen. Aldo hat mir grade gesagt, das Wasser ist sehr kalt. Aber jetzt wo ich schon mal hier bin an diesem paradiesischen Ort und oben an einem Wasserfall schwimmen kann, da werde ich das natürlich auch machen."

    "Ja, ein bisschen kalt, ein bisschen."

    Nach einem kühlen Bad macht sich der Hunger bei uns beiden breit.

    Wir packen unser Picknick aus, essen uns satt und genießen die Aussicht und die Ruhe. Bevor wir uns auf den Heimweg begeben, fasst Aldo zusammen, warum der Wasserfall Tamul in der Huasteca für ihn ein ganz besonderer Geheimtipp in Mexiko ist.

    "Für mich ist es hier, wie im Paradies, denn es gibt fast keine Menschen hier, die Farbe des Wassers ist wunderschön und die Aussicht ist beeindruckend. Ich glaube der Berg dort gegenüber ist 200 Meter hoch. Unten bahnt sich der Fluss durch das Tal, von oben haben wir eine weite Aussicht und außerdem gibt es hier lauter Naturbecken zum Schwimmen."

    Auf dem Heimweg sprechen wir wenig und versuchen die wunderschönen Bilder fest in unserer Erinnerung zu behalten.