Zagatta: So schnell hat noch kaum eine Regierung das Vertrauen der Wähler verspielt, aber jetzt hofft vor allem die SPD auf einen Stimmungswandel, den Kanzler Schröder mit seiner gestrigen Rede einleiten sollte. Zu glücken scheint das allerdings nicht so recht, jedenfalls nicht, wenn man sich die Zeitungskommentare heute anschaut, etwa wenn die "Frankfurter Rundschau" ein realistisches Bild vermisst, was sich die Regierung wann zutraut. Die "Welt" schreibt, statt Grundsatzrede viel Polemik, und da dürfte es der Regierung auch nur ein schwacher Trost sein, dass die Union, wie heute in der "Stuttgarter Zeitung" bescheinigt wird, außer Streitlust auch nichts zu bieten hat. Letzterem zumindest wird Franz Müntefering zustimmen, der Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, mit dem wir jetzt verbunden sind. Guten Morgen Herr Müntefering!
Müntefering: Guten Morgen Herr Zagatta.
Zagatta: Herr Müntefering, auf die vernichtende Kritik an der Regierungspolitik hat der Kanzler ja gestern mit der Botschaft reagiert, Strukturreformen sind doch notwendig. An Änderungen im Renten- und Gesundheitssystem führt kein Weg vorbei, was allerdings außer der SPD vorher ja auch niemand bestritten hat. Warum haben Sie für diese Einsicht denn so lange gebraucht?
Müntefering: Das hat auch in der SPD niemand bestritten. Wir haben ja eine Koalitionsvereinbarung gemacht auf der Grundlage unserer Regierungsprogrammatik, die wir im Wahlkampf vorgetragen haben, und da ist ganz klar: wir haben Erneuerungsbedarf im Lande. Damit haben wir allerdings auch begonnen in der letzten Legislaturperiode. Ich erinnere an das, was wir im Bereich Alterssicherung getan haben, und das ist fortzusetzen. Das ist überhaupt keine Frage. Wer den Sozialstaat erhalten will, muss ihn reformieren.
Zagatta: Aber Ihr Generalsekretär Olaf Scholz hat ja gerade noch erklärt, in diesem Jahrzehnt gebe es keinen Bedarf für eine Rentenreform. Wie erklären Sie sich denn den massiven Vertrauensverlust auch bei Ihren Wählern, dass Sie in den Umfragen jetzt so schlecht dastehen?
Müntefering: Manches wird, wenn Sie jetzt auf Olaf Scholz abheben, auch offensichtlich absichtlich falsch verstanden. Es ist ganz klar, dass wir eine Kommission unter Leitung von Herrn Rürup haben werden, die sich Gedanken macht über die nachhaltige Finanzierung. Wenn man über Alterssicherung spricht, das geht ja in Jahrzehnte hinein und natürlich wird darüber zu sprechen sein. Die nächsten Reformen werden auch vorbereitet.
Zagatta: Aber das dauert ja auch wieder. Sie regieren doch schon vier Jahre. Warum muss man da jetzt noch eine Kommission einsetzen?
Müntefering: Wir haben ja die Riester-Rente gemacht und diese zusätzliche private kapitalgedeckte Altersvorsorge ist eine große historische Leistung. Ich bin sicher, die Menschen werden sich mehr und mehr dieser Sachen auch annehmen. Da ist eine Basis gelegt, aber jetzt geht es auf der Grundlage der demographischen Entwicklung weiter und die nächsten Schritte werden vorbereitet.
Zagatta: Wie erklären Sie sich dann, dass sich die Wähler von Ihnen getäuscht fühlen und Sie in dem Umfragen so schlecht dastehen?
Müntefering: Na ja, wir haben aufgrund des niedrigen Wachstums natürlich weniger Geld in der Kasse des Finanzministers, weniger Geld in den Kassen der sozialen Sicherungssysteme. Was wir jetzt im Augenblick machen ist, den Wachstumspfad realistisch auf 1,5 Prozent herunterholen für das nächste Jahr und daraus die Konsequenzen ziehen. Wir schaffen im Augenblick die Grundlage, die Basis für eine Politik der Reformen und der Investitionen im nächsten Jahr.
Zagatta: Aber der Wähler versteht das nicht?
Müntefering: Ja, dann müssen wir es erklären. Das war ja gestern einer der Zwecke der Debatte, die wir geführt haben. Ich finde, wir sind da auch ein Stück weiter gekommen.
Zagatta: Herr Müntefering, dann erklären Sie uns doch, warum Sie, warum die SPD in Umfragen abstürzt und Ihr Koalitionspartner, die Grünen, nicht. Im Gegenteil: die legen zu.
Müntefering: Ja, weil wir mit unseren Personen auch in ganz besonderer Weise für diese Abschnitte in der Finanzpolitik stehen, für alles, was damit zusammenhängt. Hans Eichels Politik an dieser Stelle ist aber richtig. Er sorgt für Solidität und das führt dazu, dass wir im nächsten Jahr auch das nötige Geld wieder haben für die Investitionen in der Infrastruktur, aber auch in Wissenschaft und Bildung, dass wir die Unterstützung des Aufbaus von Ganztagsschulen beginnen können. Was wir im Augenblick machen ist eine Basis dafür schaffen, dass der Staat handlungsfähig bleibt, Bund, Länder und Gemeinden ihren Ausgaben nachkommen und sie erfüllen können. Da geht es um viele, viele Details. Ich verstehe, dass da manches noch erklärt, noch erläutert werden muss, aber die Zielrichtung unserer Politik, die ist unbestritten richtig und dazu gibt es keine Alternative, die vernünftig wäre.
Zagatta: Wieso halten die Wähler Ihren Koalitionspartner offensichtlich für ehrlicher, dass der von diesem Vertrauensverlust nicht betroffen ist?
Müntefering: Weil die Grünen-Minister in den Auseinandersetzungen, um die es jetzt im Augenblick geht, sehr viel weniger drin sind als wir mit unseren Fachministern.
Zagatta: Machen Ihnen diese schlechten Umfragewerte Sorgen, dass die Menschen sich jetzt von Ihnen getäuscht fühlen, oder sehen Sie das als vorübergehende Stimmung, die man nicht so ernst nehmen muss?
Müntefering: Sorgen macht einem das schon. Natürlich möchte man immer die Zustimmung der Menschen haben, zumal wenn man sich so sehr im Recht fühlt, wie wir das bei der Politik, die wir machen, tun. Ich glaube aber, dass man es erklären kann. Es ist vielleicht ein bisschen viel, was jetzt auf einmal nach der Bundestagswahl begonnen werden musste, weil keine Zeit zu verlieren war, aber ich bin sicher auf der Strecke wird erkennbar, das war der richtige Ansatz, denn er führt zu der Chance, im nächsten Jahr die Reformen, die nötig sind, fortzusetzen und auch die nötige finanzielle Basis dafür zu haben.
Zagatta: Aber was passiert denn im Januar, wenn die Menschen ihre Gehaltszettel sehen? Können Sie dann die Landtagswahlen in Hessen und Niedersachsen gleich abschreiben?
Müntefering: Nein, den Zusammenhang sehe ich nicht. Ich bin ganz sicher, dass die Menschen wissen, dass wir, wenn wir weiter in diesem Lande vernünftige Politik machen wollen, jetzt im Augenblick Konsequenzen ziehen müssen. Längst nicht alle sind betroffen von den Maßnahmen, um die es jetzt im Augenblick geht. Viele haben sogar auch Vorteile von dem, was im Augenblick entschieden wird. Sie wissen, dass im Jahre 2004 die Steuerreform kommt, die 5 Milliarden und im Jahre 2005 die 15 Milliarden, die Steuerreform, die auf 2004 verschoben ist, weil in 2003 das Geld für die Fluthilfe gebraucht wird. Ich glaube, dass das insgesamt von den Menschen so auch gesehen und verstanden wird.
Zagatta: Aber die Union hat jetzt ja die Chance und will das auch machen, im Untersuchungsausschuss das Thema Wählerbetrug am Kochen zu halten. Ist es da für Sie ein Erfolg, wenn Sie der Union jetzt in diesem Ausschuss nachweisen können, dass die in diesem Wahlkampf und in früheren ja auch gelogen hat?
Müntefering: Ich glaube wird sind im Parlament, in der Politik insgesamt gut beraten, wenn wir uns nicht kaprizieren auf solche Art Überlegungen. Das ist ein Ausschuss. Der soll zur Diffamierung unserer Politik eingerichtet werden. Ich glaube nicht, dass die Union damit gewinnen wird, denn da können natürlich Beweise auf den Tisch gelegt werden, was da alles wie gelaufen ist. Im August diesen Jahres, als Hans Eichel längst eine Haushaltssperre eingerichtet hat, hat Stoiber noch versprochen, für das kommende Jahr 22 Milliarden Euro zusätzlich auszugeben, Geld, was erkennbar nicht vorhanden war. Natürlich wissen die Länder mindestens so früh wie der Bund, wie es denn mit den Steuereinnahmen aussieht. Das heißt was soll eigentlich heraus kommen? - Deshalb geht es mir vor allen Dingen darum, dass noch mal klargestellt wird, dass solche Ausschüsse, die zur Diffamierung eingerichtet sind, vor allen Dingen nicht die Legitimität von freien und demokratischen Wahlen in Frage stellen können, und ein Teil der Argumente bei der Union läuft auf den Versuch hinaus. Ich finde sie sind nicht gut beraten, dass sie diesen Ausschuss erzwingen.
Zagatta: Wie wird sich denn die SPD in diesem Ausschuss verhalten? Sie haben ja auch schon angekündigt, das Versprechen Helmut Kohls von den blühenden Landschaften in Ostdeutschland dann zum Thema zu machen. Wollen Sie den Altkanzler dann auch vorladen?
Müntefering: Nein, das habe ich auch nicht angekündigt. Das ist nicht richtig.
Zagatta: Ich meine die SPD. Stimmen aus der SPD haben angekündigt, dass dies zum Thema gemacht werden soll.
Müntefering: Das kann sein, dass der eine oder andere eine solche Idee gehabt hat. Nein, nein! Wir wollen dort solide und natürlich in der Sache deutlich bleiben, aber das wird sich ganz eindeutig ausrichten auf diese Bundestagswahl, auf diesen Wahlkampf. Wir werden allerdings nicht zulassen, dass nur sozialdemokratische Zeugen dort gehört werden, sondern da werden andere mit anzuhören sein und ganz sicher auch Herr Koch, der ja der eigentliche Initiator der ganzen Sache ist. Einer der in solcher Weise schon bewiesen hat, deutlich gemacht hat, wie wenig vertrauenswürdig er ist, dass der glaubt, er müsste eine solche "Wahrheitskommission" nun erfinden, das zeigt schon, von welcher Qualität dieser Vorstoß der Union ist.
Zagatta: Das könnte aber den Wahlkampf, den Ausgang der Wahlen im Februar durchaus beeinflussen. In Niedersachsen hat sich Ministerpräsident Gabriel ja ganz vehement stark gemacht für die Vermögenssteuer und das auch in Absprache mit Gerhard Schröder. Jetzt hat Gerhard Schröder nach wochenlanger Diskussion gestern nein gesagt zu dieser Vermögenssteuer. Lässt er seinen Freund Gabriel da jetzt nicht ganz schön im Regen stehen?
Müntefering: Nein. Ich sehe da auch gar keine neue Situation. Es ist unverändert so, dass wir von der Bundesebene aus in Abstimmung mit Gerhard Schröder immer gesagt haben, wir suchen nicht die Reaktivierung der Vermögenssteuer. Wir wollen sie nicht. Dass aber die Länder, weil das ja eine Ländersteuer ist, dort initiativ werden können, ist auch völlig unbestritten gewesen. Nachdem Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen nun begonnen haben, darüber nachzudenken, stellt sich die Frage: gibt es eine Mehrheit für die Vermögenssteuer in der Länderkammer, im Bundesrat. Das ist der Punkt, um den es im Augenblick geht. Das ist noch nicht zu erkennen, dass eine solche Mehrheit zu Stande käme. Warten wir ab, ob das gelingt.
Zagatta: Das ist auch keine Kakophonie, wenn die Ministerpräsidenten dieses fordern und Gerhard Schröder gestern gesagt hat, eine Vermögenssteuer für Betriebe kommt ohnehin nicht in Frage?
Müntefering: Nein, das sehe ich nicht als ein Problem an, denn die Länder müssen sich natürlich wie für sich und für ihre Gemeinden auch überlegen, wo sie das nötige Geld her haben. Sie sehen große Aufgaben im Bildungsbereich und sie sagen, wenn die besonders vermögenden - und sie haben ja sehr hohe Freibeträge eingesetzt - zeitweise dazu beitragen, dass wir die Aufgaben im Bildungsbereich besser finanzieren können als bisher, dann kann das nur vernünftig sein. Noch einmal: es geht darum, ob die Länderkammer, ob die Länder insgesamt wollen, dass man so etwas macht, ja oder nein.
Zagatta: Der Kanzler hat in dieser Woche ja auch das Wort Kakophonie ausdrücklich in den Mund genommen und hat seine eigene Partei damit kritisiert. Sie wahrscheinlich auch, Herr Müntefering?
Müntefering: Das kann schon sein, dass da alle gemeint sind. Das müssen wir ja auch alle annehmen, denn das ist klar: Wenn man gemeinsam Politik machen will, dann muss man versuchen, abgestimmt zu handeln und auch zu sprechen. Das muss keine Friedhofsruhe sein. Man darf auch diskutieren über Dinge und muss dann nach einem nötigen Dialog die gemeinsame Linie finden. Ich sehe da kein Problem. Wir sind uns in der Grundlinie unserer Politik einig. Wir müssen vieles erneuern in diesem Lande und der Streit geht darum, wie man das mache. Das muss mit der nötigen sozialen Sensibilität passieren.
Zagatta: Aber Herr Müntefering, darf man in der Vorweihnachtszeit und in dieser wirtschaftlichen Situation von privatem Konsumverzicht sprechen?
Müntefering: Ich kenne keinen, der von privatem Konsumverzicht gesprochen hat, sondern ich habe deutlich gemacht, dass der Staat handlungsfähig bleiben muss. Wenn man nun ganz ehrlich ist, wenn man Beiträge erhöht, wenn man in bestimmten Bereichen Steuervergünstigungen abbaut, dann bedeutet das natürlich immer, dass in den privaten Taschen weniger zur Verfügung steht. Ich glaube aber, dass es gerechtfertigt ist, denn nur ganz reiche können sich einen armen Staat leisten. Deshalb wollen wir auch, dass mit Kontrollmitteilungen und dass im Bereich der Körperschaftssteuer die großen Unternehmen auch wieder in die Kasse zahlen müssen. Die, die in den letzten Jahren besonders gut weggekommen sind, die wollen wir auch wieder heranholen und dazu bringen, dass sie Steuern zahlen.
Zagatta: Franz Müntefering, der Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion. - Herr Müntefering, danke schön für das Gespräch!
Link: Interview als RealAudio
Müntefering: Guten Morgen Herr Zagatta.
Zagatta: Herr Müntefering, auf die vernichtende Kritik an der Regierungspolitik hat der Kanzler ja gestern mit der Botschaft reagiert, Strukturreformen sind doch notwendig. An Änderungen im Renten- und Gesundheitssystem führt kein Weg vorbei, was allerdings außer der SPD vorher ja auch niemand bestritten hat. Warum haben Sie für diese Einsicht denn so lange gebraucht?
Müntefering: Das hat auch in der SPD niemand bestritten. Wir haben ja eine Koalitionsvereinbarung gemacht auf der Grundlage unserer Regierungsprogrammatik, die wir im Wahlkampf vorgetragen haben, und da ist ganz klar: wir haben Erneuerungsbedarf im Lande. Damit haben wir allerdings auch begonnen in der letzten Legislaturperiode. Ich erinnere an das, was wir im Bereich Alterssicherung getan haben, und das ist fortzusetzen. Das ist überhaupt keine Frage. Wer den Sozialstaat erhalten will, muss ihn reformieren.
Zagatta: Aber Ihr Generalsekretär Olaf Scholz hat ja gerade noch erklärt, in diesem Jahrzehnt gebe es keinen Bedarf für eine Rentenreform. Wie erklären Sie sich denn den massiven Vertrauensverlust auch bei Ihren Wählern, dass Sie in den Umfragen jetzt so schlecht dastehen?
Müntefering: Manches wird, wenn Sie jetzt auf Olaf Scholz abheben, auch offensichtlich absichtlich falsch verstanden. Es ist ganz klar, dass wir eine Kommission unter Leitung von Herrn Rürup haben werden, die sich Gedanken macht über die nachhaltige Finanzierung. Wenn man über Alterssicherung spricht, das geht ja in Jahrzehnte hinein und natürlich wird darüber zu sprechen sein. Die nächsten Reformen werden auch vorbereitet.
Zagatta: Aber das dauert ja auch wieder. Sie regieren doch schon vier Jahre. Warum muss man da jetzt noch eine Kommission einsetzen?
Müntefering: Wir haben ja die Riester-Rente gemacht und diese zusätzliche private kapitalgedeckte Altersvorsorge ist eine große historische Leistung. Ich bin sicher, die Menschen werden sich mehr und mehr dieser Sachen auch annehmen. Da ist eine Basis gelegt, aber jetzt geht es auf der Grundlage der demographischen Entwicklung weiter und die nächsten Schritte werden vorbereitet.
Zagatta: Wie erklären Sie sich dann, dass sich die Wähler von Ihnen getäuscht fühlen und Sie in dem Umfragen so schlecht dastehen?
Müntefering: Na ja, wir haben aufgrund des niedrigen Wachstums natürlich weniger Geld in der Kasse des Finanzministers, weniger Geld in den Kassen der sozialen Sicherungssysteme. Was wir jetzt im Augenblick machen ist, den Wachstumspfad realistisch auf 1,5 Prozent herunterholen für das nächste Jahr und daraus die Konsequenzen ziehen. Wir schaffen im Augenblick die Grundlage, die Basis für eine Politik der Reformen und der Investitionen im nächsten Jahr.
Zagatta: Aber der Wähler versteht das nicht?
Müntefering: Ja, dann müssen wir es erklären. Das war ja gestern einer der Zwecke der Debatte, die wir geführt haben. Ich finde, wir sind da auch ein Stück weiter gekommen.
Zagatta: Herr Müntefering, dann erklären Sie uns doch, warum Sie, warum die SPD in Umfragen abstürzt und Ihr Koalitionspartner, die Grünen, nicht. Im Gegenteil: die legen zu.
Müntefering: Ja, weil wir mit unseren Personen auch in ganz besonderer Weise für diese Abschnitte in der Finanzpolitik stehen, für alles, was damit zusammenhängt. Hans Eichels Politik an dieser Stelle ist aber richtig. Er sorgt für Solidität und das führt dazu, dass wir im nächsten Jahr auch das nötige Geld wieder haben für die Investitionen in der Infrastruktur, aber auch in Wissenschaft und Bildung, dass wir die Unterstützung des Aufbaus von Ganztagsschulen beginnen können. Was wir im Augenblick machen ist eine Basis dafür schaffen, dass der Staat handlungsfähig bleibt, Bund, Länder und Gemeinden ihren Ausgaben nachkommen und sie erfüllen können. Da geht es um viele, viele Details. Ich verstehe, dass da manches noch erklärt, noch erläutert werden muss, aber die Zielrichtung unserer Politik, die ist unbestritten richtig und dazu gibt es keine Alternative, die vernünftig wäre.
Zagatta: Wieso halten die Wähler Ihren Koalitionspartner offensichtlich für ehrlicher, dass der von diesem Vertrauensverlust nicht betroffen ist?
Müntefering: Weil die Grünen-Minister in den Auseinandersetzungen, um die es jetzt im Augenblick geht, sehr viel weniger drin sind als wir mit unseren Fachministern.
Zagatta: Machen Ihnen diese schlechten Umfragewerte Sorgen, dass die Menschen sich jetzt von Ihnen getäuscht fühlen, oder sehen Sie das als vorübergehende Stimmung, die man nicht so ernst nehmen muss?
Müntefering: Sorgen macht einem das schon. Natürlich möchte man immer die Zustimmung der Menschen haben, zumal wenn man sich so sehr im Recht fühlt, wie wir das bei der Politik, die wir machen, tun. Ich glaube aber, dass man es erklären kann. Es ist vielleicht ein bisschen viel, was jetzt auf einmal nach der Bundestagswahl begonnen werden musste, weil keine Zeit zu verlieren war, aber ich bin sicher auf der Strecke wird erkennbar, das war der richtige Ansatz, denn er führt zu der Chance, im nächsten Jahr die Reformen, die nötig sind, fortzusetzen und auch die nötige finanzielle Basis dafür zu haben.
Zagatta: Aber was passiert denn im Januar, wenn die Menschen ihre Gehaltszettel sehen? Können Sie dann die Landtagswahlen in Hessen und Niedersachsen gleich abschreiben?
Müntefering: Nein, den Zusammenhang sehe ich nicht. Ich bin ganz sicher, dass die Menschen wissen, dass wir, wenn wir weiter in diesem Lande vernünftige Politik machen wollen, jetzt im Augenblick Konsequenzen ziehen müssen. Längst nicht alle sind betroffen von den Maßnahmen, um die es jetzt im Augenblick geht. Viele haben sogar auch Vorteile von dem, was im Augenblick entschieden wird. Sie wissen, dass im Jahre 2004 die Steuerreform kommt, die 5 Milliarden und im Jahre 2005 die 15 Milliarden, die Steuerreform, die auf 2004 verschoben ist, weil in 2003 das Geld für die Fluthilfe gebraucht wird. Ich glaube, dass das insgesamt von den Menschen so auch gesehen und verstanden wird.
Zagatta: Aber die Union hat jetzt ja die Chance und will das auch machen, im Untersuchungsausschuss das Thema Wählerbetrug am Kochen zu halten. Ist es da für Sie ein Erfolg, wenn Sie der Union jetzt in diesem Ausschuss nachweisen können, dass die in diesem Wahlkampf und in früheren ja auch gelogen hat?
Müntefering: Ich glaube wird sind im Parlament, in der Politik insgesamt gut beraten, wenn wir uns nicht kaprizieren auf solche Art Überlegungen. Das ist ein Ausschuss. Der soll zur Diffamierung unserer Politik eingerichtet werden. Ich glaube nicht, dass die Union damit gewinnen wird, denn da können natürlich Beweise auf den Tisch gelegt werden, was da alles wie gelaufen ist. Im August diesen Jahres, als Hans Eichel längst eine Haushaltssperre eingerichtet hat, hat Stoiber noch versprochen, für das kommende Jahr 22 Milliarden Euro zusätzlich auszugeben, Geld, was erkennbar nicht vorhanden war. Natürlich wissen die Länder mindestens so früh wie der Bund, wie es denn mit den Steuereinnahmen aussieht. Das heißt was soll eigentlich heraus kommen? - Deshalb geht es mir vor allen Dingen darum, dass noch mal klargestellt wird, dass solche Ausschüsse, die zur Diffamierung eingerichtet sind, vor allen Dingen nicht die Legitimität von freien und demokratischen Wahlen in Frage stellen können, und ein Teil der Argumente bei der Union läuft auf den Versuch hinaus. Ich finde sie sind nicht gut beraten, dass sie diesen Ausschuss erzwingen.
Zagatta: Wie wird sich denn die SPD in diesem Ausschuss verhalten? Sie haben ja auch schon angekündigt, das Versprechen Helmut Kohls von den blühenden Landschaften in Ostdeutschland dann zum Thema zu machen. Wollen Sie den Altkanzler dann auch vorladen?
Müntefering: Nein, das habe ich auch nicht angekündigt. Das ist nicht richtig.
Zagatta: Ich meine die SPD. Stimmen aus der SPD haben angekündigt, dass dies zum Thema gemacht werden soll.
Müntefering: Das kann sein, dass der eine oder andere eine solche Idee gehabt hat. Nein, nein! Wir wollen dort solide und natürlich in der Sache deutlich bleiben, aber das wird sich ganz eindeutig ausrichten auf diese Bundestagswahl, auf diesen Wahlkampf. Wir werden allerdings nicht zulassen, dass nur sozialdemokratische Zeugen dort gehört werden, sondern da werden andere mit anzuhören sein und ganz sicher auch Herr Koch, der ja der eigentliche Initiator der ganzen Sache ist. Einer der in solcher Weise schon bewiesen hat, deutlich gemacht hat, wie wenig vertrauenswürdig er ist, dass der glaubt, er müsste eine solche "Wahrheitskommission" nun erfinden, das zeigt schon, von welcher Qualität dieser Vorstoß der Union ist.
Zagatta: Das könnte aber den Wahlkampf, den Ausgang der Wahlen im Februar durchaus beeinflussen. In Niedersachsen hat sich Ministerpräsident Gabriel ja ganz vehement stark gemacht für die Vermögenssteuer und das auch in Absprache mit Gerhard Schröder. Jetzt hat Gerhard Schröder nach wochenlanger Diskussion gestern nein gesagt zu dieser Vermögenssteuer. Lässt er seinen Freund Gabriel da jetzt nicht ganz schön im Regen stehen?
Müntefering: Nein. Ich sehe da auch gar keine neue Situation. Es ist unverändert so, dass wir von der Bundesebene aus in Abstimmung mit Gerhard Schröder immer gesagt haben, wir suchen nicht die Reaktivierung der Vermögenssteuer. Wir wollen sie nicht. Dass aber die Länder, weil das ja eine Ländersteuer ist, dort initiativ werden können, ist auch völlig unbestritten gewesen. Nachdem Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen nun begonnen haben, darüber nachzudenken, stellt sich die Frage: gibt es eine Mehrheit für die Vermögenssteuer in der Länderkammer, im Bundesrat. Das ist der Punkt, um den es im Augenblick geht. Das ist noch nicht zu erkennen, dass eine solche Mehrheit zu Stande käme. Warten wir ab, ob das gelingt.
Zagatta: Das ist auch keine Kakophonie, wenn die Ministerpräsidenten dieses fordern und Gerhard Schröder gestern gesagt hat, eine Vermögenssteuer für Betriebe kommt ohnehin nicht in Frage?
Müntefering: Nein, das sehe ich nicht als ein Problem an, denn die Länder müssen sich natürlich wie für sich und für ihre Gemeinden auch überlegen, wo sie das nötige Geld her haben. Sie sehen große Aufgaben im Bildungsbereich und sie sagen, wenn die besonders vermögenden - und sie haben ja sehr hohe Freibeträge eingesetzt - zeitweise dazu beitragen, dass wir die Aufgaben im Bildungsbereich besser finanzieren können als bisher, dann kann das nur vernünftig sein. Noch einmal: es geht darum, ob die Länderkammer, ob die Länder insgesamt wollen, dass man so etwas macht, ja oder nein.
Zagatta: Der Kanzler hat in dieser Woche ja auch das Wort Kakophonie ausdrücklich in den Mund genommen und hat seine eigene Partei damit kritisiert. Sie wahrscheinlich auch, Herr Müntefering?
Müntefering: Das kann schon sein, dass da alle gemeint sind. Das müssen wir ja auch alle annehmen, denn das ist klar: Wenn man gemeinsam Politik machen will, dann muss man versuchen, abgestimmt zu handeln und auch zu sprechen. Das muss keine Friedhofsruhe sein. Man darf auch diskutieren über Dinge und muss dann nach einem nötigen Dialog die gemeinsame Linie finden. Ich sehe da kein Problem. Wir sind uns in der Grundlinie unserer Politik einig. Wir müssen vieles erneuern in diesem Lande und der Streit geht darum, wie man das mache. Das muss mit der nötigen sozialen Sensibilität passieren.
Zagatta: Aber Herr Müntefering, darf man in der Vorweihnachtszeit und in dieser wirtschaftlichen Situation von privatem Konsumverzicht sprechen?
Müntefering: Ich kenne keinen, der von privatem Konsumverzicht gesprochen hat, sondern ich habe deutlich gemacht, dass der Staat handlungsfähig bleiben muss. Wenn man nun ganz ehrlich ist, wenn man Beiträge erhöht, wenn man in bestimmten Bereichen Steuervergünstigungen abbaut, dann bedeutet das natürlich immer, dass in den privaten Taschen weniger zur Verfügung steht. Ich glaube aber, dass es gerechtfertigt ist, denn nur ganz reiche können sich einen armen Staat leisten. Deshalb wollen wir auch, dass mit Kontrollmitteilungen und dass im Bereich der Körperschaftssteuer die großen Unternehmen auch wieder in die Kasse zahlen müssen. Die, die in den letzten Jahren besonders gut weggekommen sind, die wollen wir auch wieder heranholen und dazu bringen, dass sie Steuern zahlen.
Zagatta: Franz Müntefering, der Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion. - Herr Müntefering, danke schön für das Gespräch!
Link: Interview als RealAudio
