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Der virtuelle Arbeitsmarkt

Man hatte das Problem die richtigen Mitarbeiter zum richtigen Zeitpunkt zu finden und dazu war kein Mittel zu teuer. Da gab es Firmen, die haben für die Vermittlung eines entsprechend gesuchten Mitarbeiters einen Z3 gestiftet oder haben sich ganz kreativ Dinge überlegt, die man sich vorher oder auch jetzt nicht mehr vorstellen kann.

Von Christian Sachsinger | 17.10.2004
    Henning Kather, studierter Betriebswirt aus Deutschland, erinnert sich gerne an jene Zeit, in der er im amerikanischen Silicon Valley sein Glück suchte und fand. Anfang der 90er Jahre begann für die Internetbranche jener sagenhafte Aufstieg, bei dem plötzlich nichts mehr unmöglich zu sein schien. Private Kapital-Geber und Banken ließen Millionen für simple Geschäftsideen springen. High-Tech-Firmen schossen wie Pilze aus dem Boden. Geld und auch Arbeit gab es im Überfluss. Wer nur ein bisschen Interesse für die neuen Technologien zeigte, konnte sich vor Jobangeboten kaum retten. Es war die Zeit der Headhunter, die Computer-Experten in Firmen aufspürten und für die Konkurrenz abwarben. In den Unternehmen musste man sich deshalb dauernd den Kopf darüber zerbrechen, wie man die eigenen Mitarbeiter bei der Stange halten konnte.

    Es gab Volleyballplätze, Poolbilliard, jede Art von Spiel, die die Ingenieure machen konnten, wenn sie zwischen ihren nächtelangen Arbeiten eine Pause brauchten. Daneben gab es Sachen wie einen Laundry-Service, wo man seine schmutzigen Hemden reingeworfen hatte und am nächsten Tag lagen die frisch gebügelt auf dem Schreibtisch.

    Solche und ähnliche Gepflogenheiten gab es aber nicht nur in Kalifornien, sondern auch bei uns. Eines der deutschen High-Tech-Zentren: München. Hier haben Großkonzerne wie Siemens, Microsoft und Intel ihre Zentralen und von hier aus starteten damals viele junge Internetfirmen. IT-Experten und solche, die es werden wollten, pilgerten in Scharen nach München. Hier gab es Arbeit und vielleicht eine rosige Zukunft. Der Arbeitsmarkt für Computerfachleute war leergefegt. Die Firmen boten selbst Studienabbrechern Einstiegsgehälter im 6-stelligen D-Mark-Bereich. Geld war kein Problem und München so begehrt, dass mit den Gehältern auch Mieten und Immobilienpreise nach oben schnellten – die bayerische Landeshauptstadt wurde zum Isarvalley.

    Oktober 2004: Der Internetboom ist längst Vergangenheit, die Erinnerungen an die Jobwunderzeit beginnen zu verblassen.

    Nirgendwo wird das so deutlich, wie auf der Münchner Computermesse Systems. Klaus Dittrich, Organisator der Messe, formuliert seine bescheidenen Ziele für die diesjährige Veranstaltung:

    Wir haben uns entschieden, das Angebot auf sechs Hallen zu konzentrieren, nicht mehr sieben oder acht. Im Jahre 2000 hatten wir alle 14 Hallen belegt und es gab sogar Überlegungen Zelte anzumieten.

    Die Krise der letzten Jahre hat die meisten High-Tech-Firmen vom Markt gefegt. Die Münchner Messegesellschaft, die den Ansturm der Aussteller und Besucher vor einigen Jahren kaum bewältigen konnte, muss sich inzwischen gut überlegen, wie sie Leute in die Hallen locken kann. Auf der Suche nach Besuchern hat man die osteuropäischen Länder entdeckt ... und versucht jetzt nachzuhelfen, um die fernen Gäste nach Bayern zu bringen.

    Da die Reisekosten noch immer eine Hürde sind, nach München zu kommen haben wir 20 Busse organisiert, der weitest entfernte kommt aus Lettland.

    Auch mit den deutschen Messebesuchern wird sehr sorgsam umgegangen. Interessierte, die sich in der Computerwelt noch nicht so heimisch fühlen, sollen auf keinen Fall verschreckt werden. Deshalb wünscht sich die Messeleitung inzwischen eine andere Wortwahl.

    Man muss sich auch einer anderen Sprache bedienen, nicht das IT-Chinesisch, wo wir uns bemühen nicht mehr von Costumer Relationship Management, sondern von Kundenbeziehungen zu reden, also all die Kürzel und Anglizismen rauszulassen, so dass es auch der Nicht-IT-Profi versteht.

    Die Systems ist ein Spiegel für die gesamte Branche und so wie auf der Computermesse haben sich auch auf dem Arbeitsmarkt die Verhältnisse völlig ins Gegenteil verkehrt. Nicht mehr die Angebotsseite, sondern die Nachfrageseite – also die Seite der Arbeitgeber - hat jetzt das Sagen. Mittlerweile wird nicht mehr abgeworben, sondern entlassen. Beispiel Siemens: Beim Münchner Elektronikkonzern hat es die Sparte ICN besonders hart getroffen. Hier werden Netzwerke für Unternehmen erstellt, Basisstationen für Mobilfunkgesellschaften aufgebaut und Telefonanlagen produziert. Die Geschäfte liefen in letzter Zeit immer schlechter. ICN mit früher einmal 54 000 Mitarbeitern ist vom Hoffnungsträger zum Sorgenkind des Konzerns geworden. Mathias Bellmann, Personalchef.

    Unser Unternehmensbereich, der erfolgsverwöhnt war bis ins Jahr 2000 hinein, hat weltweit 20 000 Arbeitsplätze verloren, letztlich ist ein solcher Arbeitsplatzabbau eines ursprünglich 54 000 Mitarbeiter starken Unternehmens eine sehr, sehr schmerzliche Angelegenheit. Das hat alle Funktionsbereiche und alle Fertigungsbereiche betroffen. Von der Entwicklung über die Fertigung bis hin zur Logistik und zum Vertrieb.

    Wie auf dem gesamten Arbeitsmarkt hat sich auch unter den IT-Fachkräften Arbeitslosigkeit ausgebreitet. Und auch in der einstigen Hoffnungsbranche, in der auch angelernte Computerfachkräfte problemlos unterkamen, gibt es jetzt viele hoffnungslose Fälle:

    Mein Name ist Hans Jürgen Posl, bin von Beruf gelernter Kaufmann, habe jedoch bemerkt, dass ich nicht verkaufen kann. Ich habe eine Umschulung bekommen, die nannte sich kaufmännischer PC-Sachbearbeiter. Ich habe die Computer kennen gelernt, das war die Zeit von Windows 3.1. Bei Matrox habe ich die Kunden betreut, die Probleme mit der Graphikkarte hatten, sei es mit der Hard- oder mit der Software, das habe ich ein Jahr gemacht bis dann auch Einsparungen gemacht wurden im Support.

    Meine Name ist Eva Felber, ich bin Quereinsteigerin in der IT-Branche, komme ursprünglich aus Rumänien, aus Siebenbürgen. Lebe seit zwölf Jahren sehr gemütlich und sehr gerne in München. In die IT-Branche bin ich durch eine Empfehlung gekommen. Als Systembetreuerin wurde ich eingestellt. Das heißt, es war ein existierender Programmablauf, Hochleistungsdrucker wurden mit diesem Programm gesteuert und die Daten dann täglich bearbeitet. Meine Aufgabe war, diese Programme in Ordnung zu halten, Änderungen einzubringen. Diese Programme musste ich dann lernen. In Programmierung habe ich Weiterbildungskurse gemacht, und diese Abläufe waren dann mein Job. Wir sind gekündigt worden nach einem Jahr, weil der Dienstleister seine Absichten geändert hat und jedem gekündigt hat und die Niederlassung aufgelöst hat, das war 2001, September

    Ich zähl nicht mehr mit. Ich habe früher pro Woche zwei Dinger losgeschickt, E-mail-Berwerbungen, telefonische Bewerbungen und alles, es sind mindestens 70, es sind wahrscheinlich 100.

    Ich habe mich sehr intensiv um eine neue Stelle beworben und habe so um die 80 bis 100 Bewerbungen habe ich weggeschickt. Mit der Zeit wird es schlimmer und schlimmer sich gerade zu halten, sich selber sagen zu können, ich bin etwas wert. Ich bin immer noch sehr positiv eingestellt. Ich will einfach nicht aufgeben. Es ist zwar schwierig sich immer wieder aufzuraffen und nach jedem zurückgeschickten großen Bewerbungsumschlag wieder neu anzufangen, aber es muss sein.


    Ich habe die Hoffnung verloren und zwar restlos.


    Quereinsteiger wie Eva Felber und Hans Jürgen Posl tun sich auf dem Arbeitsmarkt inzwischen extrem schwer. Arbeitslosigkeit ist auch in der Informations- und Kommunikationsbranche ein dominierendes Thema geworden.

    Ein paar Zahlen der Bundesagentur für Arbeit verdeutlichen, wie es um die Chancen auf einen Job als PC-Fachkraft, 3D Designer, oder Datenbankentwickler bestellt ist:
    Ende 2000 kamen bei den Arbeitsämtern statistisch gesehen auf 100 Bewerber für einen Job in der IT-Branche gut 150 freie Stellen. Inzwischen buhlen die 100 Bewerber um nur noch neun Jobs. Und in dieser Situation hat auch der Nachwuchs Probleme einen Einstieg zu finden. Kai Deininger, Europachef der Jobbörse Monster:

    Wir haben ein Projekt für Ericsonn, wo 80 Praktikantenstellen ausgeschrieben wurden, aber 20 000 Bewerbungen kamen. Das drückt auch die Situation aus. Es gibt Praktikapositionen, aber es gibt auch ein ganze Menge Bewerber.


    Keine sechs-stelligen Einstiegsgehälter mehr, keine Firmenautos für Berufsanfänger. Statt dessen viel Konkurrenz unter den Bewerbern. Der IT-Arbeitsmarkt wird eingeholt von der Realität.

    Dennoch ist die Lage nicht hoffnungslos. Zwar ist auf der einen Seite die Arbeitslosigkeit gestiegen. Auf der anderen Seite entstehen aber trotz Krise immer wieder neue Arbeitsplätze. Wo werden also IT-Experten noch oder wieder gebraucht?

    ... an jenen Stellen, an denen es in Puncto Computertechnologie noch Aufholbedarf gibt. Ein Beispiel: Vor ein paar Jahren erzählte der damalige Vorsitzende des Bundesverbandes der deutschen Industrie, Hans Olaf Henkel, über die deutschen Behörden gerne folgende Geschichte:

    Ich saß im Bonner Kanzleramt im Vorzimmer und wartetet auf Gerhard Schröder. Und als ich so da saß, machte es plötzlich Plopp.... ja was war das.... die Rohrpost, die hatten dort noch immer keinen Computer.

    Inzwischen haben auch die Beamten das Thema Internet entdeckt. Stichproben bei den Arbeitsämtern ergaben ein interessantes Ergebnis: Jedes 4. Stellenangebote für IT-Fachkräfte kommt aus dem öffentlichen Dienst, also aus Behörden, Kammern, Sozialeinrichtungen, Polizei, Schulen, Hochschulen und Forschungsinstituten. Um zu sparen, müssen im öffentlichen Dienst viele Abläufe besser organisiert werden. So können die Bürger mittlerweile ihre Steuererklärung via Internet ausfüllen und die Ministerien kommunizieren längst nicht mehr per Rohrpost, sondern über’s interne Netzwerk. Die Ämter brauchen also Experten, um spezielle Software zu entwickeln oder Dienststellen zu vernetzen.

    Neue IT-Jobs entstehen auch in der Automobilindustrie.

    Eine Produktionshalle von BMW. Hier in München stellt der Autobauer einen Teil der 3er-Serie her. Mehrere hundert Fahrzeugen laufen Tag für Tag vom Band. Die Massenproduktion ist eine große logistische Herausforderung. Jede Türe, jedes Rad muss zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort sein. Ohne Computer wäre ein reibungsloser Ablauf nicht mehr denkbar.

    Auch beim Verkauf sind inzwischen Programme gefragt. Inga Jürgens, studierte Wirtschaftsinformatikerin, tüftelt bei BMW an Lösungen, die dem Kunden ein neues Auto schmackhaft machen sollen:

    Wenn sie heute ins Internet gehen und sagen, ich möchte meinen Traum 330 konfigurieren, dann gehen sie hin und haben irgendeine Vorstellung davon, welche Karosse solls sein, solls ein Coupé sein Und wir haben eine Carkonfigurator entwickelt, wo sie sich mit Preisen durch den ganzen Prozess durchklicken können. Sie können einen Wagen komplett zusammenstellen, können das ausdrucken, abspeichern oder zum Händler schicken.

    Um neue Wege und Ansätze geht es auch bei der BMW-Tochter Car IT. In einem Großraumbüro sitzen gut 20 Mitarbeiter und betrachten das Thema Auto durch die Brille des Informatikers. Eine Denkfabrik also. Ulrich Weinmann, Leiter der Car IT.

    Wenn man sieht, dass 90 Prozent der Innovationen über die Software getrieben werden ,dann sieht man die Notwendigkeit, neue Strukturen zu schaffen und Mitarbeiter zu gewinnen und Ideen aufzugreifen und das versuchen wir hier in der Firma umzusetzen. Wir haben vielfältige Informationen im Fahrzeug und die Frage ist, wie präsentieren sich diese Informationen dem Fahrer, diese Schnittstelle Mensch-Maschine, welche Hinweise gibt es. Wir kennen den Bordmonitor, es gibt jetzt neuerdings ein Head-Up-Display, wo Informationen in die Windschutzscheibe eingeblendet werden und hier beschäftigen wir uns mit neuen Konzepten, wie diese Anzeigetechnologie zusammen mit Spracheingabe eine saubere Möglichkeit bietet, wie der Fahrer das Fahrzeug steuern kann.

    Ein Betätigungsfeld für kreative Köpfe mit fundiertem Informatik-Wissen. Insgesamt beschäftigt BMW an den unterschiedlichsten Stellen rund 2000 Mitarbeiter mit Tätigkeiten rund um Computer und Software. Der Autobauer zählt damit zu den wichtigen Arbeitgebern auf dem IT-Arbeitsmarkt.

    Die meisten Informatiker und Spezialisten kommen aber noch immer in der IT-Branche selbst unter. Das heißt, sie arbeiten in Dienstleistungsfirmen, die für andere Unternehmen zum Beispiel Internetseiten entwerfen, Computernetze aufbauen, diese warten oder auch nur überwachen. Wie können Computerviren erkannt und beseitigt werden, wie kann sich ein Unternehmen vor Spam, also Werbemüll schützen, und wie lassen sich Hackerangriffe abwehren? Für Antworten auf diese Fragen werden immer mehr Fachleute gebraucht.

    Um die Sicherheit kümmert sich zum Beispiel das Security Management Center der Firma Integralis. Die Mitarbeiter der Überwachungszentrale könnte man als Cybersheriffs bezeichnen. Sie passen rund um die Uhr auf, dass sich niemand an den Datennetzen großer Konzerne zu schaffen macht. Karl-Heinz Reindl, gelernter Elektromeister, ist seit fünf Jahren bei Integralis und nennt sich Senior Security Engineer, das ist so etwas wie der Hauptkommissar im Team:

    Nächtens werden Angriffe gefahren auf einen Server, ein Hacker versucht dort rein zukommen, mit den bekannten Moduls und Techniken. Diese Meldungen laufen auf und entweder greifen wir ein und sperren den aus, wir können das, wir haben die Rechte dazu vom Kunden. Oder wenn der Kunde das wünscht, wird er aus dem Bett geklingelt und er reagiert selbst.

    Zu den Kunden von Integralis zählen Versicherungen und Banken genauso wie Industriebetriebe und Krankenhäuser. IT-Sicherheit wird umso wichtiger, je mehr sich die Unternehmen auf Computernetze stützen und verlassen. Karl-Heinz Reindl und seine Leute passen in drei Schichten 24 Stunden lang auf die digitalen Pforten ihrer Kunden auf. Anstrengend ist vor allem der Nachtdienst:

    Die schwierigste Zeit ist zwischen drei und fünf, man steht auf und geht raus und bringt den Kreislauf wieder in Gang und ein Operator ist ja da, der immer draufschaut. Nachtdienst ist mit Sicherheit der härteste Dienst. Aber der Früh- und der Spätdienst haben sehr viele Vorteile, was auch von den Leuten geschätzt wird. Oft wird durch Blockbildung sieben Tage gearbeitet (?) und dann hat man fünf Tage frei.

    Die fachlichen Anforderungen sind dabei hoch. Ein Cybersheriff muss sich selbstverständlich gut in den Netzwerktechniken auskennen, er muss genau wissen, wie das Internet funktioniert, sich in allen Betriebsystemen perfekt zurechtfinden und vor allem fließend Englisch sprechen, denn die Kunden sitzen nicht nur in München oder Berlin, sondern genauso in Hong Kong oder San Francisco. Es wird zwar viel verlangt von den Bewerbern, die bei Integralis arbeiten möchten - ein Informatik-Studium ist allerdings nicht zwingend erforderlich.

    Wir haben Akademiker genauso wie Handwerker. Wir haben Bierbrauer im Einsatz und einen Lehrer haben wir auch hier und so sind also aus allen Branchen hier eingestiegen. Und ihr großes Plus ist die Bereitschaft sich weiterzubilden und sich einzuarbeiten und man kann sich ja vorstellen Bierbrauer und IT-Security hat zunächst einmal nicht viel gemeinsam.

    Es gibt sie also noch, die IT-Jobs für Quereinsteiger, wenngleich nicht mehr so oft. Bei den allermeisten Stellenangeboten ist eine solide Ausbildung inzwischen Grundvoraussetzung, um bei einem Auswahlverfahren in die nächste Runde zu kommen. In einer breit angelegten Untersuchung des Weiterbildungsunternehmens CDI wurden Quereinsteiger nur noch in rund zehn Prozent aller Stellenzeigen aufgefordert sich zu melden.

    Beste Chancen haben die Absolventen der Informatikfakultäten. Neben der klassischen Informatik gibt es inzwischen eine Reihe kombinierter Studiengänge, wie Ingenieursinformatik, Medieninformatik, Medizininformatik, Bioinformatik oder Wirtschaftsinformatik.

    An der Technischen Universität München sind insbesondere die Hörsäle der Fakultät Wirtschaftsinformatik gut besucht. Über 20 000 Studenten sind hier immatrikuliert. Nur in der klassischen Informatik gibt es noch mehr Einschreibungen, nämlich fast 80 000. Der Andrang hat zwar in den letzten Jahren etwas nachgelassen, dennoch bewerben sich an der TU noch immer so viele Abiturienten, dass ausgesiebt werden muss. Professor Helmut Krcmar vom Lehrstuhl für Wirtschaftsinformatik beschreibt das sogenannte "Eignungsfeststellungsverfahren".

    Wir erwarten, dass die Studenten uns neben dem reinen Abiturzeugnis auf einer Seite beschreiben, warum sie das Fach und dann ausgerechnet an der TU München studieren wollen. Dann betrachten wir dieses Schreiben. Es ist ganz spannend, dass manche Studenten nicht mehr als vier Zeilen hinkriegen, wo sie doch eine ganze Seite hätten und dann wird entschieden, ob man in Grenzfällen die Personen interviewt, ein halbstündiges Gespräch mit zwei Personen, die nicht ein fachliches Interview führen, sondern über Motivationsfragen oder Erwartungsfragen und dann wird entschieden, ob er hinein passt oder nicht.

    Dadurch soll auch vermieden werden, dass die Studenten mit falschen Vorstellungen antreten. Viele steigen schon nach dem ersten oder zweiten Semester wieder aus. Sie sind darüber enttäuscht, dass sie nicht richtig Programmieren lernen und statt dessen viel Mathematik pauken müssen. Dazu kommen in der Wirtschaftsinformatik die ebenfalls oft sehr trockenen Grundlagen der Wirtschaftswissenschaften. Katja Peters, Studentin im 3. Semester:

    Das Studium hier ist sehr anspruchsvoll. Dadurch, dass es ein Hybridstudium ist, hat man auch verschiedene Ansätze, so dass man wie ein BWLer denken muss und wie ein Informatiker und man ist später im Berufsleben der Dolmetscher zwischen beiden.

    Wer durchhält darf sich zumindest über gute Studienbedingungen freuen. Ein modernes Gebäude, kleine übersichtliche Hörsäle und viel Technik:

    Sie stehen jetzt hier in der Informatikhalle, mit weit über 100 Rechnern, die es den Studierenden erlaubt ihre Aufgaben, Übungen zu erledigen, (...) Teil der Infrastruktur.

    Seit fünf Jahren existiert neben dem Studium auch die Möglichkeit sich zum IT-Experten ausbilden zu lassen. Den IT-Lehrling gibt es in vier Varianten, darunter den Fachinformatriker oder den Informatikkaufmann. Obwohl kein bestimmter Schulabschluss vorausgesetzt wird, sind die allermeisten IT-Lehrlinge Abiturienten oder Realschulabsolventen, denn die Anforderungen sind sehr hoch.

    Lisa Dominik, Informatikkaufrau, hatte ihr Interesse für Autos mit der Ausbildung verknüpft und ist bei BMW untergekommen. Als Abiturientin konnte sie die Lehrzeit von drei auf zwei Jahre verkürzen und hatte deshalb ein besonders straffes Programm.

    Wir durchlaufen den ganzen IT-Bereich, da ist man immer drei bis vier Monate in einer Abteilung. Ich war jetzt in drei Abteilungen. Einkauf war gleich die erste Abteilung. Wir haben so Internetaktionen, nicht mehr über Lieferanten, sondern übers Internet und das war sehr interessant zu sehen, was früher so persönlich lief, wie das jetzt über’s Internet läuft. Da wurde man in die Abteilung integriert und das
    macht schon Spaß, wenn man da ein vollwertiges Mitglied ist.


    Allerdings läuft es nicht immer so gut wie bei Lisa Dominik. Die IT-Ausbildung verlangt den Unternehmen einiges ab. Die Vorgaben, was die Lehrlinge lernen müssen, sind sehr umfangreich. Und gerade kleine Firmen fühlen sich manchmal überfordert. Ralf Risch vom Ausbildungsdienstleister SignumIT ist auch als Prüfer bei der IHK zugelassen. Manche Lehrlinge, berichtet er, würden noch nicht einmal die wichtigsten Grundlagen beherrschen, weil ihre Unternehmen sie nicht unterstützen.

    Wir haben schon des öfteren festgestellt in den Ausschüssen, dass Azubis als billige Arbeitskräfte missbraucht werden. (...) Wir haben als Ausschuss die Möglichkeit, das Berichtsheft zu kontrollieren um zu sehen: Was hat der Azubi in den drei Jahren gemacht? Und wir hatten einen Fall, in dem ein Fachinformatiker Anwendungsentwicklung drei Jahre lang fast nichts anderes getan hat als Karteikartenrückläufer in eine Datenbank einzugeben.
    Wer eine fundierte Ausbildung bekommt, hat - genauso wie ein Hochschulabsolvent - auch in diesen eher schwierigen Zeiten gute Chancen auf einen Job. Zumal sich die IT-Branche inzwischen schon wieder über einen Mangel an Experten beschwert. Obwohl die Arbeitsämter für ihre Bewerber kaum Stellen finden, registriert der Branchenverband Bitkom eine deutliche Lücke. Angeblich findet jedes sechste Unternehmen nicht die Spezialisten, die es braucht. Auch bei der Messeleitung in München spürt man eine gewisse Tendenz nach oben. Noch einmal Geschäftsführer Klaus Dittrich:

    Nachdem ich ja auch für Personal und IT auch in der Messe München zuständig bin, wir haben eine IT-Abteilung mit 35 Beschäftigten, da gibt es immer wieder mal Abwerbungsangebote. Das ist ein Indiz dafür, dass der Markt in Bewegung gekommen ist. Umgekehrt, dort wo wir selbst Stellen zu besetzen haben, merken wir, die Auswahl ist nicht mehr ganz so groß wie vor Monaten. Und man muss, wenn man spezifische Qualifikationen sucht, doch intensiver suchen bzw. dann auch ein bisschen mehr Geld auf den Tisch legen, als das noch vor ein paar Monaten der Fall war.

    Und so lässt es sich in der Branche auch weiterhin gut verdienen. Ein Fachinformatiker bekommt im Schnitt 30 000, ein studierter Kollege, der Diplominformatiker, verdient gut 50 000 Euro. Insgesamt, so hieß es im Vorfeld der Fach-Messe Systems, insgesamt kommt die Hightechbranche in Westeuropa wieder in Schwung: Für das Jahr 2005 rechnet der Branchenverband Bitcom mit einem Wachstum von drei Prozent. Die Messe beginnt morgen in München und dauert bis Donnerstag. 1300 Aussteller aus aller Welt präsentieren sich, ein idealer Tummelplatz für Jobsuchende aus der High-Tech-Branche.

    Auf Privilegien wie Dienstwagen oder Wäscheservice müssen sie allerdings verzichten – diese Zeiten sind wohl endgültig vorbei.