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Der Vollmond-Fluch

In zwei Jahren wird sie 100 Jahre alt: die Allgemeine Relativitätstheorie von Albert Einstein. Eine mächtige Theorie, mit der sich die Entwicklung Universum seit dem Urknall beschreiben lässt, die aber auch für die Positionsdatenbestimmung bei der Satellitennavigation gebraucht wird.

Von Jan Lublinski |
    Trotz oder gerade wegen dieser Erfolge versuchen Physiker herauszufinden, wo die Grenzen der Relativitätstheorie liegen. Sie tun dies unter anderem mit Laserstrahlen, die sie auf den Mond schicken. Doch diese Experimente haben nun einen Dämpfer erhalten. Denn die Spiegel auf dem Mond, welche seit den 60er-Jahren die Laserstrahlen zurück zur Erde reflektieren, verstauben.

    Die Astronauten des Apollo-Programms hüpften in den 60er-Jahren nicht nur über den Mond, sie taten auch etwas für die Grundlagenforschung: Sie hinterließen dort oben Spezial-Spiegel, etwa so groß wie Reisekoffer. Seither zielen Physiker mit Laserstrahlen auf diese Spiegel und sammeln zweieinhalb Sekunden später das dort oben reflektierte Licht mit Teleskopen unten auf der Erde wieder ein.

    Allerdings gelangt von einem sehr intensiven Lichtpuls, der auf den Mond geschickt wird, nur eine Handvoll Lichtteilchen wieder zurück zu den Wissenschaftlern. Diese aber reicht aus, um mit einer Atomuhr den Abstand zwischen Mond und Erde auf einen Millimeter genau zu bestimmen. Ein Rekord in Sachen Präzisionsmesstechnik, der mit einem Experiment in Sunspot, New Mexico, inzwischen regelmäßig gelingt. James Battat vom MIT in Boston arbeitet dort, häufig auch nachts:

    "Die Apparatur funktioniert sehr gut. Wenn wir einmal keine Signale zurückbekommen, dann hängt das damit zusammen, dass das Wetter sehr schlecht ist. Früher gab es immer wieder Nächte, bei denen wir uns am Kopf gekratzt haben, weil wir nicht wussten, warum wir kein Signal sehen. Inzwischen aber haben wir einen sehr gleichmäßigen Betrieb erreicht. Wir sehen immer einige Lichtteilchen, wenn das Wetter gut ist."

    Die Physiker haben die Abstandsmessung zwischen Erde und Mond soweit perfektioniert, dass sie zu einem der besten Tests für die Allgemeine Relativitätstheorie geworden ist. Jener Theorie also mit der sich - unter anderem - die Bewegungen von Himmelskörpern in unserem Sonnensystem sehr genau berechnen lassen, darunter auch die Bewegungen von Erde und Mond.

    Tom Murphy von der University of California in San Diego, der das Laser-Experiment leitet, ist also auf der Suche nach den Grenzen des Geltungsbereiches jener Formeln, die Albert Einstein vor fast 100 Jahren aufgeschrieben hat. Aber Murphy hat dabei ein Problem, das ihm immer in Vollmondnächten zu schaffen macht:
    "Ich war zunächst sehr verwirrt. Es passierte uns regelmäßig, dass wir in Vollmondnächten nicht die Signalstärke messen konnten, die wir erwarteten. Ich kannte unsere Apparatur genau und konnte ausrechen, wie viele Lichtteilchen eigentlich vom Mond zurückkommen müssten. In Vollmondnächten aber konnten wir nur zehn Mal weniger messen als erwartet. Einer meiner Mitarbeiter hörte nicht auf, von einem Vollmond-Fluch zu sprechen."

    Dann kam Tom Murphy auf die Idee, dass sich die Spiegel vielleicht erwärmten, wenn die Sonne sie in Vollmondnächten besonders intensiv beleuchtete. Bei den Spiegeln handelt es sich um sogenannte Retroreflektoren aus Glas, die das Licht immer zurück in die Richtung werfen, aus der es gekommen ist. Bei einer ungleichmäßigen Erwärmung des Glases aber wäre diese Funktion beeinträchtigt. Möglicherweise haben heranfliegende Staub-Partikel die Spiegeloberfläche angekratzt. Oder es haben sich Staubteilchen auf der Oberfläche angesammelt, die das Sonnenlicht absorbieren:

    "Wir haben bei schlechtem Wetter Probleme mit der Qualität des Signals. Und die beiden anderen Stationen, die auch mit Lasern auf die Mond-Spiegel zielen, haben bei Vollmond Schwierigkeiten überhaupt etwas zu messen. Uns gelingt es im Moment noch, den Abstand zwischen Erde und Mond auf einen Millimeter genau zu bestimmen. Aber wir wissen nicht, wie es in Zukunft weiter gehen wird. Wenn sich die Lage weiter verschlechtert, werden zunächst die beiden anderen Stationen in Texas und Frankreich betroffen sein, denn sie können am wenigsten Lichtteilchen einfangen. Es gibt ja überhaupt nur drei Forschergruppen, die regelmäßig diese Art von Experiment betreiben."

    Ersatzteil-Lieferungen für die Physiker wird es bis auf Weiteres auch nicht geben. Die Weltraumbehörde NASA hat die Mond-Mission, die noch unter George W. Bush geplant war, langst abgeblasen.

    Tom Murphy hofft darauf darauf, in Zukunft den Abstand vom Mars zur Erde mit sogenannten aktiven Transpondern messen zu können. Diese Geräte wären in der Lage, eigenständig Signallaufzeiten zu bestimmen und zurückzufunken. Damit könnten noch genauere Messungen möglich werden. Doch soweit ist es noch lange nicht. Bis auf Weiteres werden Murphy und Kollegen mit dem Vollmondfluch leben müssen.