Schwabing ist Anfang der 60er-Jahre das angesagte Ausgehviertel in München, bevölkert von Künstlern, Studenten und Touristen. Es gibt Kneipen mit Live-Musik, Eiscafés, Pflastermaler und Straßenmusikanten. Wolfram Kunkel ist damals 19 Jahre alt, am Abend des 21. Juni 1962 spielt er mit Freunden Volkslieder aus aller Welt auf der Leopoldstraße, die zugleich Flaniermeile und viel befahrene Verkehrsachse ins Zentrum der Stadt ist.
"Die Leute waren begeistert, es kam Publikum da ohne Ende, bis halt der Fußweg rappelvoll war. Und nach einiger Zeit fuhr eben eine Funkstreife vor und die haben wir erst gar nicht wahrgenommen, weil so viele Leute da standen. Und die bahnten sich dann einen Weg zu uns durch und sagten, wir sollen aufstehen, sofort mitkommen, und die haben auch nachgeholfen, durchaus, und wurden dann in die Funkstreife bugsiert."
Ein Anwohner hatte sich beschwert. Die Zuhörer sind empört über das Eingreifen der Polizei, rufen "Vopo! Vopo!" und "Nazipolizei!" und wollen die Musiker befreien, heben das Polizeiauto hoch und lassen es wieder fallen. Aus einem Hinterreifen wird die Luft herausgelassen.
"Und die haben dann versucht, mit dem kaputten Reifen trotzdem loszufahren, was aber nur dazu geführt hat, dass man da ein paar zig Meter gekommen bist und dann auf der Straße versucht hat, zu wenden. Es war ja ein Mordsverkehr auch, der wurde natürlich auch immer mehr gestört und gestoppt, durch die vielen Leute, die dann da auch uns eigentlich befreien wollten. Und wir wurden dann in eine andere Funkstreife verfrachtet und in die Ettstraße gebracht, auf die Wache."
Wo Wolfram Kunkel die Nacht verbringen muss. Auch an den folgenden Abenden blockieren Tausende junge Leute, Studenten, Lehrlinge, Akademiker die Leopoldstraße. Spontan und unorganisiert. Auf Fotos sieht man gut gelaunte, ordentlich gekleidete junge Männer und Frauen, sie gehen betont langsam über die Straße, tanzen Twist, stellen Caféhausstühle auf Kreuzungen, bis nichts mehr weiter geht. Und die Polizei, die Straße samt Cafés und Kneipen räumt und mit Gummiknüppeln wahllos auf jeden einschlägt, der sich nicht schnell genug davon macht.
"Mann: "Das war das, was der Oberbürgermeister den ‘gebildeten Pöbel’ genannt hat, der hat die Leopoldstraße beherrscht."
Mann: "Prügelstrafe ist die einzige Sprache, die diese Rowdys verstehen!"
Mann: "Die gehören noch viel besser geprügelt!"
Frau: "Also dass es eine Hundsgemeinheit war von dene Lausbuben, uns nicht schlafen lassen, und wissen Sie was die gemacht haben? Die haben fortwährend die Polizei provoziert."
Mann: "Mein Gott, Ordnung muss sein!""
Opfer von Polizeigewalt werden auch Reporter und Fotografen – und völlig unbeteiligte Bürger.
"Wir gingen also quer rüber in Richtung Traudenhofstraße auf die Polizei zu und fragen einen jungen Beamten: ‘Was ist denn hier los? Können wir da rüber gehen, wir wollen unsere Eltern besuchen.’ Pakt der mich gleich hier vorn und schubst mich so zurück. Und dann sag ich: ‘Was fällt Ihnen ein, mich so anzupacken?’ Und die Antwort war gleich einen Gummiknüttel über den Kopf. Hat mein Mann gesagt: ‘Rühren Sie meine Frau nicht an!’ Und es war also ein Mordsdurcheinander. ‘Die ist schwanger, was fällt Ihnen ein!’ Dann hab ich wieder einen über den Kopf gekriegt. Und dann haben sie sich über meinen Mann hergemacht, und dann haben sie ihn zu zehnt oder zwölft, wie viele es waren, ich weiß nicht, haben sie ihn also völlig zusammengeknallt, und haben ihn dann mitgeschleppt und dann haben mich hilfreiche Halbstarke nach Hause gebracht."
Die Schwabinger Krawalle, die für Aufsehen im In- und Ausland sorgten, endeten nach einem Wetterumbruch genauso plötzlich, wie sie begonnen hatten. In den fünf unruhigen Nächten wurden rund 400 Menschen festgenommen, 54 erhielten Geld- und Bewährungsstrafen. Die vielen Anzeigen gegen Polizisten blieben folgenlos, lediglich vier Beamte wurden zu geringen Strafen verurteilt. Aus den Krawallen im Juni 1962 erwuchs, trotz der zahlreichen polizeilichen Übergriffe, keine politische Protestbewegung, dafür war die Zeit noch nicht reif. Und doch waren diese Ereignisse für manche spätere APO-Aktivisten inspirierend, etwa für Dieter Kunzelmann, und das, obwohl er selbst an diesen Abenden zu Hause geblieben war.
"Zum ersten Mal hatte ich erlebt, dass Hunderte von Menschen sich mit gitarrespielenden ‘Gammlern’ solidarisierten und dass es nur eines banalen Anlasses bedarf, Ruhe und Ordnung schnell in ein prächtiges Chaos umschlagen zu lassen. Diese Erfahrung beeindruckte mich so tief, dass ich in den folgenden Jahren keine Gelegenheit ausließ, sie in anderer Form noch einmal erleben zu dürfen."
"Die Leute waren begeistert, es kam Publikum da ohne Ende, bis halt der Fußweg rappelvoll war. Und nach einiger Zeit fuhr eben eine Funkstreife vor und die haben wir erst gar nicht wahrgenommen, weil so viele Leute da standen. Und die bahnten sich dann einen Weg zu uns durch und sagten, wir sollen aufstehen, sofort mitkommen, und die haben auch nachgeholfen, durchaus, und wurden dann in die Funkstreife bugsiert."
Ein Anwohner hatte sich beschwert. Die Zuhörer sind empört über das Eingreifen der Polizei, rufen "Vopo! Vopo!" und "Nazipolizei!" und wollen die Musiker befreien, heben das Polizeiauto hoch und lassen es wieder fallen. Aus einem Hinterreifen wird die Luft herausgelassen.
"Und die haben dann versucht, mit dem kaputten Reifen trotzdem loszufahren, was aber nur dazu geführt hat, dass man da ein paar zig Meter gekommen bist und dann auf der Straße versucht hat, zu wenden. Es war ja ein Mordsverkehr auch, der wurde natürlich auch immer mehr gestört und gestoppt, durch die vielen Leute, die dann da auch uns eigentlich befreien wollten. Und wir wurden dann in eine andere Funkstreife verfrachtet und in die Ettstraße gebracht, auf die Wache."
Wo Wolfram Kunkel die Nacht verbringen muss. Auch an den folgenden Abenden blockieren Tausende junge Leute, Studenten, Lehrlinge, Akademiker die Leopoldstraße. Spontan und unorganisiert. Auf Fotos sieht man gut gelaunte, ordentlich gekleidete junge Männer und Frauen, sie gehen betont langsam über die Straße, tanzen Twist, stellen Caféhausstühle auf Kreuzungen, bis nichts mehr weiter geht. Und die Polizei, die Straße samt Cafés und Kneipen räumt und mit Gummiknüppeln wahllos auf jeden einschlägt, der sich nicht schnell genug davon macht.
"Mann: "Das war das, was der Oberbürgermeister den ‘gebildeten Pöbel’ genannt hat, der hat die Leopoldstraße beherrscht."
Mann: "Prügelstrafe ist die einzige Sprache, die diese Rowdys verstehen!"
Mann: "Die gehören noch viel besser geprügelt!"
Frau: "Also dass es eine Hundsgemeinheit war von dene Lausbuben, uns nicht schlafen lassen, und wissen Sie was die gemacht haben? Die haben fortwährend die Polizei provoziert."
Mann: "Mein Gott, Ordnung muss sein!""
Opfer von Polizeigewalt werden auch Reporter und Fotografen – und völlig unbeteiligte Bürger.
"Wir gingen also quer rüber in Richtung Traudenhofstraße auf die Polizei zu und fragen einen jungen Beamten: ‘Was ist denn hier los? Können wir da rüber gehen, wir wollen unsere Eltern besuchen.’ Pakt der mich gleich hier vorn und schubst mich so zurück. Und dann sag ich: ‘Was fällt Ihnen ein, mich so anzupacken?’ Und die Antwort war gleich einen Gummiknüttel über den Kopf. Hat mein Mann gesagt: ‘Rühren Sie meine Frau nicht an!’ Und es war also ein Mordsdurcheinander. ‘Die ist schwanger, was fällt Ihnen ein!’ Dann hab ich wieder einen über den Kopf gekriegt. Und dann haben sie sich über meinen Mann hergemacht, und dann haben sie ihn zu zehnt oder zwölft, wie viele es waren, ich weiß nicht, haben sie ihn also völlig zusammengeknallt, und haben ihn dann mitgeschleppt und dann haben mich hilfreiche Halbstarke nach Hause gebracht."
Die Schwabinger Krawalle, die für Aufsehen im In- und Ausland sorgten, endeten nach einem Wetterumbruch genauso plötzlich, wie sie begonnen hatten. In den fünf unruhigen Nächten wurden rund 400 Menschen festgenommen, 54 erhielten Geld- und Bewährungsstrafen. Die vielen Anzeigen gegen Polizisten blieben folgenlos, lediglich vier Beamte wurden zu geringen Strafen verurteilt. Aus den Krawallen im Juni 1962 erwuchs, trotz der zahlreichen polizeilichen Übergriffe, keine politische Protestbewegung, dafür war die Zeit noch nicht reif. Und doch waren diese Ereignisse für manche spätere APO-Aktivisten inspirierend, etwa für Dieter Kunzelmann, und das, obwohl er selbst an diesen Abenden zu Hause geblieben war.
"Zum ersten Mal hatte ich erlebt, dass Hunderte von Menschen sich mit gitarrespielenden ‘Gammlern’ solidarisierten und dass es nur eines banalen Anlasses bedarf, Ruhe und Ordnung schnell in ein prächtiges Chaos umschlagen zu lassen. Diese Erfahrung beeindruckte mich so tief, dass ich in den folgenden Jahren keine Gelegenheit ausließ, sie in anderer Form noch einmal erleben zu dürfen."