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Der Wald als Tankstelle

Chemie. - Noch dominieren fossile Brennstoffe den Energiemarkt. Allerdings stehen nachhaltige Verfahren bereits in den Startlöchern. Doch bis Bioraffinerien die in Pflanzen gespeicherte Sonnenenergie wirtschaftlich freisetzen, sind große Hürden zu nehmen, konstatieren Experten auf dem Europäischen Biomasse-Kongress in Berlin. Der Wissenschaftsjournalist Frank Grotelüschen erläutert die Diskussion im Gespräch mit Monika Seynsche.

    Seynsche: Was genau versteht man unter einer Bioraffinerie, Herr Grotelüschen?

    Grotelüschen: Ihre Produkte sind ganz ähnlich wie die einer Erdölraffinerie: das sind Kraftstoffe, Grundmaterialien für Kunststoffe, Kunstfasern oder synthetische Gewebe. Aber darüber hinaus produzieren Bioraffinerien auch Strom und Wärme, und sogar Dünger, Tierfutter. Der Unterschied ist, dass die Basis nicht wie bei einer herkömmlichen Raffinerie fossiles Erdöl ist, sondern Biomasse wie Holz, Stroh, Pflanzenreste, auch organischer Abfall. Das Ganze ist regenerativ Also regenerativ, spart das Treibhausgas Kohlendioxid, ist klimaschonend - und das macht es so interessant.

    Seynsche: Funktioniert eine Bioraffinerie technisch gesehenen ähnlich wie eine Ölraffinerie?

    Grotelüschen: Nein, da ist eine ganz andere Technik die Grundlage: dabei kommt Biotechnologie stark zum Einsatz. Enzyme müssen Holz aufknacken zu kleineren Molekülen, Hefen vergären Zucker zu Alkohol und damit zu Treibstoff. Dafür braucht man auch neue Kraftwerkstechnik. Zum Beispiel muss das Lignin von Holz effizient verbrannt, oder auch Holz in Gas umgewandelt werden, um daraus Kraftstoff zu gewinnen. Das Problem: Nicht alle diese Techniken sind heute ausgereift und wirtschaftlich - sie müssen weiterentwickelt werden. Und man muss die verschiedensten Einzeltechniken miteinander verbinden. Das ist eine Herausforderung. Außerdem ist Biomasse nicht gleich Biomasse. Man hat Holz, stärkehaltige Getreidekörner, ölhaltige Samen - das alles muss in die Bioraffinerie hinein. Aber das Konzept ist schon viel versprechend, denn man kann mit so einer Bioraffinerie theoretisch sämtliche Energie, die in einer Pflanze steckt, herausziehen - Zellulose, Lignin, Zucker, Öl, Stärke, alles das kann man in Energie umwandeln.

    Seynsche: Gibt es dazu schon Pilotanlagen?

    Grotelüschen: Die Einzeltechniken sind zum Teil ja schon etabliert wie etwa die Vergärung von Zucker zu Bioethanol. Jetzt geht es vor allem um Zusammenführung, sagen die Experten. Da gibt es zum Beispiel das EU-Projekt Chrisgas in Schweden. Diese Anlage stellt Kraftstoffe, aber auch Wärme her. Die ersten kommerziellen Anlagen sollen schon in einigen Jahren kommen. Die werden noch nicht so komplex sein und alle diese Produkte erzeugen, von denen ich gesprochen habe - das ist noch Zukunftsmusik.

    Seynsche: Es gibt ja auch erste Pilotprojekte für reine Biokraftstoff-Fabriken – Anlagen, die im Wesentlichen dazu da sind, zum Beispiel Diesel aus Pflanzen zu gewinnen. Sind da die geplanten Bioraffinerien nicht eine Konkurrenz?

    Grotelüschen: Das könnte sein. Es gibt zum Beispiel die Firma Choren in Freiberg, die die erste industrielle Pilotanlage zur Herstellung von Sun-Diesel betreibt. Nachteil dieser Kraftstofffabriken: Sie holen nur 50 Prozent Energie aus der Pflanze – das ist nicht besonders effektiv. Bioraffinerien versprechen 80 Prozent - sie verwenden zum Beispiel Lignin, das sonst ungenutzt bleibt, für die Stromerzeugung. Aber dafür produzieren sie - und das ist ihr Nachteil - weniger Kraftstoff als diese Spezialfabriken, nur gut die Hälfte von einer dezidierten Kraftstofffabrik. Das wird der Markt entscheiden: Will er vor allem Kraftstoff, oder kommt es ihm auf die Gesamteffizienz an? Man kann heute noch nicht sagen, was sich da durchsetzen wird.

    Seynsche: Planen die Fachleute riesige Anlagen wie heute in der Ölindustrie oder doch eher kleine, überschaubare Fabriken?

    Grotelüschen: Das ist ein Streitpunkt hier in Berlin unter den Experten. Große Fabriken haben den Vorteil, dass sie mehr Effizienz versprechen und das braucht man für Wirtschaftlichkeit. Der Nachteil dabei: man hat große Transportwege, denn das was in der Nähe der riesigen Fabriken wächst, reicht nicht, um sie zu betreiben. Da sind die kleinen Anlagen überlegen. Diese Frage ist heute noch nicht entschieden, das wird man abwarten müssen. Es wird vermutlich nicht einen Typus von Bioraffinerie geben, sondern verschiedene mit unterschiedlichen Spezialisierungen, und auch in verschiedenen Größenordnungen.