Freitag, 29. März 2024

Archiv

Der Wald brennt
Das Paradies muss sein Verhalten ändern

Der brennende Regenwald in Brasilien hat viel mit uns in Deutschland zu tun. Brasilianische Bauern könnten die Feuer gelegt haben, um Weideland für Vieh zu schaffen, das für unseren Fleischkonsum bestimmt ist. Obwohl die Menschen heute Zusammenhänge erkennen, ändern sie ihr Verhalten kaum.

Von Jörg Biesler | 27.08.2019
Auf diesem vom Chico Mendes Institut zum Schutz der Artenvielfalt zur Verfügung gestellten Bild beobachtet eine Gruppe die Flammen bei einem Waldbrand im Naturpark Chapada dos Guimaraes.
Brände im Amazonas-Regenwald haben Auswirkungen auf die ganze Welt (dpa-Bildfunk / ICMBio / Christian Niel Berlinck)
Die Geschichte der Menschheit ist weit davon entfernt, der in solchen Fällen gern als Synonym fürs sorglose Paradies aufgerufene Ponyhof zu sein. Ein von Existenzsorgen befreites Leben mit Spiel, Spaß, Spannung und Schokolade für die ganze Familie gibt es bis heute in großen Teilen der Welt nicht. Lediglich ein paar industrialisierte Demokratien haben für ihre Bewohner in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ein fast durchweg komfortables Lebensumfeld geschaffen und ihnen auch noch ausreichend Muße gegeben, um über ihr Leben, die Gesellschaft und die Welt bei einem guten Glas Wein nachsinnen zu können.
Das ist erstmal ohne Einschränkung eine große Leistung, denn sie ermöglicht mindestens ansatzweise dem Menschen das zu sein, wofür wir ihn gern halten: Ein freies, vernunftbegabtes Wesen, das nicht dazu da ist, allein sein Leben zu erhalten, sondern mit allerlei Mitteln, mit Farben, Wörtern und Tönen über sich selbst nachzudenken. Allerdings führt all das Nachdenken und das aus ihm und wissenschaftlichen Studien gewonnene Wissen nicht unbedingt dazu, reflektiert zu handeln. Seit etwa 50 Jahren wissen wir, dass unsere komfortable, konsumorientierte Lebensweise sich leider nicht auf sämtliche Weltregionen ausdehnen lässt - so viel Welt, wie man dafür bräuchte, gibt es gar nicht.
Klima-Änderungen machten aus Bauern wieder Jäger
Die Erfahrung, dass es so nicht weitergehen kann, haben Menschen immer wieder gemacht. Es gab mehrfach regionale und auch globale Veränderungen, die einen radikalen Wandel der Lebensweise nötig machten. Eine Änderung des Klimas war stets der bestimmende Faktor. Wo über Jahrhunderte der Ackerbau florierte und aus Dörfern Städte wurden mit Luxus und Vergnügen, da genügten kleine Schwankungen im Wetter, weniger Regen, höhere Temperaturen, um die Menschen zu zwingen, die Städte aufzugeben und in kleineren, weit verteilten Gruppen wieder als Sammler und Jäger ums Überleben zu kämpfen. Oft übrigens vergeblich!
Was uns von ihnen unterscheidet ist, dass wir es kommen sehen und sogar wissen, dass diesmal unsere Lebensweise großen Einfluss hat auf die bedrohlichen Klimaveränderungen. Der brennende Regenwald, den vielleicht Bauern angezündet haben, um Weideland zu gewinnen, ist eine weitere, echte Bedrohung für das Weltklima. Man muss etwas gegen die Brände tun! Und da ist es gut, dass die G7-Staaten finanzielle und technische Hilfe anbieten.
Weniger Regenwald, weniger Sauerstoff
Wenn Emmanuel Macron sagt "Unser Haus brennt", dann weist er ganz richtig auf die weltweiten Zusammenhänge hin. Dass nämlich weniger Regenwald auch weniger Sauerstoff bedeutet für uns in Europa. Den Zusammenhang aber, dass es auch Europas Feuer sind, die da im Regenwald brennen, weil Weideland geschaffen wird für unseren Fleischkonsum - diesen Zusammenhang sehen wir, aber es folgt daraus kaum etwas. Unser Haus brennt zwar - aber nur weit weg irgendwo im Küchentrakt. Das klingt wie "Helft mal beim Löschen", aber das ist kein Grund, sich Sorgen ums Abendessen zu machen.
Klar, es ist schwer, sein Verhalten zu ändern. Vor allem, wenn die Folgen erst in der Zukunft spürbar werden und gar nicht klar ist, ob das eigene Tun überhaupt bremsende Wirkung hat, weil schließlich der größte Teil der Menschheit noch auf dem Weg ist zu unserer paradiesischen Lebensweise mit entsprechenden Klimafolgen. Und weil es schon wahnsinnig anstrengend ist, unseren Ponyhof-Alltag halbwegs hinzukriegen. In der Vergangenheit, so viel kann man sagen, führte das zu Sammeln und Jagen.