Ramani Narayan ist ein freundlich lächelnder Herr mittleren Alters mit Brille und Glatze, der ein gewaltiges Zahlenmeer zusammengetragen hat. Er wollte herausfinden, wie viel Plastikmüll in den Ozean gelangt. Auf seinem Rechner zeigt er auf Grafiken und Datenreihen, die den Verbrauch in den Küstenstaaten der Welt, die Recyclingraten und die jeweiligen Müllentsorgungssysteme zeigen. Zwischen 5 und 15 Millionen Tonnen Kunststoff gelangen seinen Berechnungen zufolge jedes Jahr in die Ozeane.
"Das Science-Paper, das wir dazu veröffentlicht haben, zeigt eindeutig, dass der Löwenanteil dieses Mülls von unsachgemäß betriebenen Mülldeponien in Ländern stammt, deren Abfallentsorgungsinfrastruktur entweder nicht gut ist, oder gar nicht existiert."
China führe die Liste der größten Plastikmüllemittenten an, sagt der Professor für Chemieingenieurswesen an der Michigan State University in East Lansing. Es folgten zahlreiche Entwicklungs- und Schwellenländer. Dort wird zwar, verglichen mit reichen Industrienationen, kaum Müll produziert, der wenige aber, der anfällt, landet fast komplett im Meer. Aufgrund hoher Recyclingraten und einer funktionierenden Abfallentsorgung folgt Europa dagegen erst auf Platz 18 der Liste. Von dort gelangen aber immer noch jedes Jahr zwischen 50.000 und 120.000 Tonnen Plastikmüll ins Meer. Diese Zahlen ähneln jenen, die Simon Hann von der britischen Umweltberatungsfirma Eunomia in einer Studie im Auftrag der Europäischen Kommission abgeschätzt hat. Das Problem, sagt er, sei in Europa vor allem das Mikroplastik, das durch den Abrieb von Autoreifen, aus Waschmaschinen oder Kosmetikprodukten ins Meer gelange.
"Wir reden da von Milliarden kleiner bis kleinster Plastikpartikel. Sobald die in die Meeresumwelt gelangen, kann jedes einzelne von ihnen von den Organismen im Meer aufgenommen werden. Das Problem ist also viel größer, als die reine Tonnenangabe vermuten lässt."
Ein weiteres großes Problem sind verloren gegangene oder über Bord geworfene Fischernetze. In diesen Geisternetzen verfangen sich noch nach Jahrzehnten Fische, Vögel, Schildkröten und Meeressäuger und verenden qualvoll. Auch diese Netze zerreiben sich nach und nach und entlassen Mikroplastikpartikel in den Ozean. Das alles will Guđlaugur Sverisson verhindern. Der Schifffahrtsingenieur arbeitet für den Isländischen Recycling Fonds und hat ein System entwickelt, dass die Fischereiindustrie seines Landes zwingt, ihre Geisternetze einzufangen und zu recyceln.
"Ich glaube, wir sind die einzige Nation, die ein solches, von der Regierung vorgeschriebenes System hat, um verloren gegangene Netze wieder zu finden und ordnungsgemäß zu entsorgen. Wenn die Industrie dabei nicht mitspielt, drohen ihr Strafen."
Der Isländische Recycling Fonds kontrolliert, was mit welchem Netz passiert, wie viele also auf den Schiffen im Einsatz sind, und wie viele später wiederverwertet werden. Und er hat den Einsatz von Stellnetzen eingeschränkt, die in der Vergangenheit oft verloren gingen. Heute dürfen sie nicht mehr über Nacht im Meer gelassen oder vor Stürmen ausgebracht werden. Das Recycling der Netze sei nicht nur ökologisch sinnvoll, sondern auch finanziell reizvoll für die mit Abstand größte Fischereiindustrie Europas, sagt Guđlaugur Sverisson.
"Die Netze und Fanggeräte bestehen aus Polyamid, Polyethylen und Polypropylen, also sehr weit verbreiteten Kunststoffen. Und gerade Polyamid ist heiß begehrt, es ist ein sehr sauberer Kunststoff, der sich gut recyceln lässt. Genauso wie Polyethylen. Die Fischereiindustrie kann es also an Recyclingfirmen verkaufen. Der größte Teil der alten isländischen Netze wird heute in Litauen wiederverwertet. Und die Firmen dort verkaufen das Plastik dann an die deutsche Automobilindustrie. Es kann also sein, dass Sie ein Auto fahren, mit einem Stückchen isländischen Fischnetzes darin."