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Der Weg ins Arbeitsleben

Daiki Katsutani und seine Freunde haben sich heute Abend zum Karaoke getroffen und wahrscheinlich werden sie noch bis tief in die Nacht singen. Er studiert im vierten und letzten Jahr vor dem Bachelor Abschluss. Morgen wird er zwar zum Seminar gehen, aber anstrengen muss er sich dort nicht mehr. Denn alle nötigen Leistungspunkte für den Abschluss hat er bereits gesammelt, genauso wie seine Kommilitonin Nobuko Sato.

Von Jörg Albrecht |
    Sie hatte schon nach knapp drei Jahren fast alle ihre Punkte zusammen, dennoch ließ die Universität sie nicht früher graduieren. Denn ein Jahr länger studieren bedeutet auch ein Jahr mehr Studiengebühren für die Universitätskasse.

    Also hat sie die letzten Monate vor dem Abschluss genutzt und schon etwas früher mit ihrer ersten Arbeitsstelle begonnen. Prüfungsstress kannte sie nicht:

    Es gibt doch keine Abschlussprüfungen. Ich musste einfach nur eine Klausur des zweiten Semesters bestehen, darum habe ich erst eine Woche vorher mit dem Lernen begonnen. Meine Abschlussarbeit war etwa 20 Seiten lang, aber weil mein Dozent gesagt hat, er würde mir die Punkte auf jeden Fall geben, habe ich die Arbeit nur halbfertig abgegeben.

    Tatsächlich bedeutet das letzte Jahr an der Universität für die meisten nicht Lernen, sondern Jobsuche.

    Viele Studierende färben sich ihre Haare wieder schwarz und kaufen sich neue Anzüge und Kostüme. Denn bei Vorstellungsgesprächen sind japanische Personalchefs eher konservativ.

    Was Behörden betrifft würde ich sagen, dass die Kleidung sehr wichtig ist. Man sollte einen Anzug in grau oder schwarz tragen und für Studentinnen ist es wichtig, dass sie mit ihrer Frisur und Makeup hübsch aussehen.

    Die 24jährige Ai Goto hat letztes Frühjahr ihre erste Arbeitsstelle begonnen. Gleichzeitig mit ihren Kommilitonen, denn traditionell beginnen alle Arbeitsverhältnisse in Japan am 1. April. Sie arbeitet nun bei der "Japan Foundation" in Tokyo. Eine teilstaatliche Organisation, die die kulturellen Beziehungen zwischen Japan und anderen Ländern pflegt. Sie unterhält zum Beispiel das Japanische Kulturinstitut in Köln.

    Anders als bei vielen privaten Firmen, die oft Absolventen bestimmter Universitäten bevorzugen, erhalten bei öffentlichen Arbeitgebern meist alle Bewerber die Möglichkeit am Einstellungstest teilzunehmen.

    Wir erwarten keine besonderen Qualifikationen von unseren Bewerbern, außer einem akademischen Abschluss und die Einhaltung des Höchstalters.

    Dieses Höchstalter liegt bei 28 Jahren, Erfahrungen im vorherigen Arbeitsleben sind nicht gefordert. Bunji Yokomichi ist Assistent der Geschäftsführung und hat Ai Goto für diese Stelle ausgewählt.

    Sie wurde zunächst ganz allgemein in ihr neues Arbeitsfeld eingewiesen und schon nach einer Woche erhielt sie ihren ersten eigenen Arbeitsbereich. Ihr Leben hat sich durch den Job sehr geändert:

    Als Studentin war es wichtig zu sagen, was man denkt, seine eigene Meinung zu haben und sie mit anderen zu teilen. Aber in meinem Büro bin ich nicht mit Studenten, sondern mit meinen Kollegen und meinem Chef zusammen. Und manchmal habe ich das Gefühl, dass ich in Gegenwart von meinem Chef zu oft meine Meinung sage und ihn damit beleidige.

    Noch knapp zwei Jahre wird Ai Goto in der Zentrale in Tokyo bleiben, danach wird sie in eins der 19 internationalen Büros geschickt. So wie die Hälfte der etwa 300 Mitarbeiter. Ihr Gehalt wird zwar weiterhin niedrig bleiben, aber sie erhält als Gegenleistung etwas, das man in Deutschland fast nicht mehr kennt:

    Ja, es gibt noch eine lebenslange Arbeitsplatzgarantie bei uns und in anderen Unternehmen, aber die Arbeitswelt ändert sich drastisch in der letzten Zeit und wer weiß, was die Zukunft bringt. Aber vorläufig wollen wir an dieser Garantie festhalten.