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Der Weg ist das Ziel

Eigentlich sagt man ja wahrscheinlich draußen, ja die Jungens haben ja Zeit genug hier, prinzipiell ist das wohl auch erstmal richtig. Aber man hat halt andere Probleme als die Leute draussen.

Von Andrea Lueg |
    Andreas Schulte studiert BWL und ist ein sogenannter Langstrafiger, wie alle Häftlinge, die im Studienzentrum der JVA Geldern studieren.

    Ich wusste vorher also nicht das man im Gefängnis studieren konnte, und da dacht ich mir, o das ist ja interessant, ich hatte sowieso schon so ein Faible für Wirtschaft, ich find das sehr interessant, die Zusammenhänge der Märkte kennen zu lernen und auch zu begreifen und da dachte ich mir komm, probieren wir es mal.

    Fünfzehn Jahre muss er hinter Gittern verbringen – zu Recht, wie er selber sagt. Jeden morgen um sechs fängt der Tag für ihn und die anderen Häftlinge an. Und zwar nicht auf dem Campus, sondern auf einem ziemlich trostloser Gang mit Gittern und verschlossenen Türen.

    Acht halb neun fang ich so persönlich an in die Kurseinheiten reinzukucken.

    Sämtliche Lehreinheiten werden als schriftliches Material geschickt, von den Häftlingen bearbeitet und zurückgeschickt. Demnächst wird es auch eine Computerverbindung zur Fernuni geben. Die Klausuren beaufsichtigt der pädagogische Dienst der JVA. Möglichst selten, so hat es der Knast mit der Uni vereinbart, fahren Inhaftierte unter Aufsicht nach Hagen, zum Beispiel um an praktischen Übungen teilzunehmen.

    Andreas Schulte musste erstmal das Abitur nachmachen und sich dann in Hagen einschreiben. Eine Voraussetzung zum Studium im Knast. Eine weitere ist, dass man sich gut führt.

    Der Chef lässt sich die Akte schicken, kuckt da rein und wenn der ordentlich war dann sagt der jawoll der kann kommen, kann hier als Vollzeitstudent studieren, wird von der Arbeit freigestellt und bekommt eine Ausbildungsbeihilfe.

    Dirk Nedden ist der pädagogische Leiter im Gelderner Knast – früher war er Grundschullehrer. Er kennt die Geschichten aller Studenten hier:

    Queerbeet, vom Straftatbestand Diebstahl bis Mord und alles was dazwischen liegt, Bankraub und so weiter.

    Unter den Studierenden, erzählt er, sind viele, die Beziehungstaten begangen haben, die zuvor völlig unauffällig waren. Das Studium bietet für sie zumindest eine Chance, auch nach einer sehr langen Haftstrafe von 10 oder 15 Jahren in der Gesellschaft wieder einen Platz zu finden. Immerhin kennt Nedden ein paar Erfolgsgeschichten.

    Wir haben in zwei Fällen, die sehr lange Strafen hatten, BWL-Leute zwei Stück, die sind beim Steuerberater angefangen und von einem weiß ich jetzt wo wir noch ein bisschen Kontakt haben, der ist jetzt Kompagnon vom Wirtschaftsprüfer.

    Andreas Schulte ist ein guter Student, das Vordiplom hat er schon in der Tasche. Aber einfach ist das Lernen trotz der vielen Zeit im Knast keineswegs.

    Ich sag mal so, drei vier Stunden am Tag wirklich exzessiv etwas zu lernen ist möglich, aber alles was da rüber geht, überstrapaziert mich.

    Denn die Häftlinge sind abgeschnitten von der Welt draußen. Ihre Taten sind immer präsent, Ablenkung ist rar und die Gedanken kreisen ständig um die gleichen Dinge.

    Man steht ja eigentlich unter psychischem Druck und damit muss man erstmal fertig werden, sei es aufgrund der Problematik wenn man eine Familie hat, dass da jemand verstorben ist, dass man Ärger mit seiner Frau oder Verlobten hat, dann hier die Vollzug- Angelegenheiten, wenn es um Lockerungen geht und das in Verbindung mit dem was man getan hat, warum man hier sitzt, das ist ne große Belastung und damit muss man erstmal fertig werden.

    Andreas Schulte ist das reinste Muskelpaket. Kein Wunder, denn der Sport ist im Knast fast der einzige Ausgleich zum Lernpensum und zu den quälenden Gedanken. Das Studium hat ihm viel gebracht. Disziplin, Durchhaltewillen und Selbstbewusstsein zum Beispiel. Er guckt verhalten optimistisch in die Zukunft.

    Ich denke mal ich bin realistisch genug, ich bin jetzt 34, wenn ich mein Diplom habe bin ich 35/36 Jahre alt, ich hab keine Berufserfahrung in diesem Bereich, es wird schwer, allerdings ich hab auch einen handwerklichen Beruf gelernt, plus die kaufmännische Ausbildung sehe ich der Zukunft eigentlich gelassen entgegen, finde mit Sicherheit irgendwo einen Job, jetzt nicht als Diplom-Kaufmann unbedingt, aber irgendwo in dem Bereich werde ich schon einen finden.

    Doch auch dass seine Familie stolz auf ihn ist, die anderen Häftlinge Respekt zollen und wie er erzählt, sogar sein Staatsanwalt den Hut zog, zählt für Schulte. Am wichtigsten ist aber vielleicht, wie er seine Leistung selbst sieht:

    Kann ich ganz klar sagen, bin ich stolz drauf.