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Der Weg zu einem neuen Wirtschaftswunder

Die Abrechnung mit dem Neoliberalismus ist seit dem Beginn der Finanzkrise zum Mantra von Heiner Flassbeck geworden. Und mittlerweile findet er damit auch Gehör. Der "Revoluzzer unter den Ökonomen" demonstriert mit seinem neuen Buch Selbstbewusstsein.

Von Conrad Lay | 20.12.2010
    Heiner Flassbeck war Ende der 90er-Jahre ein halbes Jahr lang Staatssekretär im Bundesfinanzministerium unter Oskar Lafontaine. Damals scheiterten Lafontaine und sein Freund Flassbeck bei ihrem Versuch, einen scharfen Kurs gegen die internationalen Finanzmärkte zu fahren. Heiner Flassbeck erinnert sich:

    "Damals hat man gesagt: 'Wir brauchen eine neue internationale Finanzarchitektur'. Nichts ist passiert, absolut nichts. Jetzt sagt man, 'wir brauchen völlig neu regulierte Kapitalmärkte und Geldmärkte', aber auch da ist ganz wenig passiert, nur Showmaßnahmen im Grunde, und das ist das eigentlich Traurige, und das, was mich in diesem Buch umtreibt, ist dieses fundamentale Versagen der Politik, die fundamentale Unfähigkeit, warum auch immer, der Politik, mit solchen Problemen umzugehen, also entweder ist es Lobbyismus, der verhindert, dass die Politiker sich damit auseinandersetzen ernsthaft, oder aber sie haben keine Leute, sie haben keine Stäbe, die sie aufklären, die ihnen das beibringen, die sagen, was man machen kann. Wahrscheinlich ist es wie immer im Leben eine Mischung aus beidem, aber das ist der eigentliche Skandal, und das, fürchte ich, gefährdet in höchstem Maße unsere Demokratie."
    Der Versuch von Flassbeck und Lafontaine vor zwölf Jahren, dem Finanzmarkt Zügel anzulegen, war nur ein kleines, kurzes Aufbegehren - kein Vergleich mit den ähnlich gelagerten Bemühungen, die die Regierungschefs der wichtigsten Industrieländer in den vergangenen Monaten an den Tag legten. Doch auch diese Versuche scheiterten, wie die letzten beiden G20-Gipfel in Detroit und Seoul zeigten. Flassbeck darf sich bestätigt fühlen - Stoff genug für einen Polemiker seines Ranges, munter gegen die herrschende, marktradikale Wirtschaftstheorie, die internationalen Handelsungleichgewichte und insbesondere den ehemaligen Exportweltmeister Deutschland anzuschreiben. Deutschland habe seine Position nur durch ein jahrelanges Lohndumping erreicht, es lebe deutlich unter seinen Verhältnissen, die Binnennachfrage, mit anderen Worten: die Löhne müssten kräftig gesteigert werden. Denn die internationalen Ungleichgewichte könnten nicht von Dauer sein, das habe die Krise gezeigt.

    "Deutschland hat Glück gehabt mit seinem Export, dass es unheimlich viel nach China exportieren konnte, weil die Chinesen ziemlich alles richtig gemacht haben. Das sind alles Glücksfaktoren, alles keine Strategie, alles keine durchdachte Politik. Und das ist das, was das Ganze so gefährlich und explosiv macht."
    Am konkretesten wird Flassbeck beim Thema Banken. Der UN-Direktor tritt für eine strikte Trennung ein: in Geschäftsbanken und sogenannte "Zockerbuden". Erstere sind für das Einlagengeschäft mit dem Publikum sowie das Kreditgeschäft mit Investoren zuständig, letztere für Spekulationen und Wetten aller Art. Nach Flassbecks Ansicht ist es nicht hinzunehmen, dass die Banken das Geld, das sie zur Zeit nahezu zum Nulltarif von den Zentralbanken bekommen, nicht für Kredite an die Realwirtschaft vergeben, sondern damit im "Casino" spekulieren. Als Konsequenz fordert er, Hedgefonds sowie die Teile der Banken, die unter Investmentbanking firmieren, sollten keinen Zugang zur Refinanzierung durch die Zentralbank haben. Auch dürften normale Banken an die sogenannten "Zocker" keine Kredite mehr vergeben.

    "Wir geben - mit hohen Subventionen versehen - das Geld an die Banken, und dann haben die gefälligst dafür zu sorgen, dass damit investiert wird, und wenn sie keine Investoren finden, dann haben sie gefälligst hinter den Investoren herzurennen und welche zu suchen. Und nicht in ihren dicken Stühlen zu sitzen und zu warten, bis mal ein Investor vorbeikommt."
    Das Buch Heiner Flassbecks trägt den Titel "Die Marktwirtschaft des 21. Jahrhunderts". Doch nur in einem kurzen Schlussabschnitt geht er darauf überhaupt ein. Entgegen den Erwartungen, die der Buchtitel wecken könnte, entwirft er kein Gegenprogramm, sondern belässt es bei einigen sehr allgemeinen Überlegungen, dass es eben - volkswirtschaftlich gesehen - auf einen Ausgleich von Angebot und Nachfrage ankomme. Wer die "Marktwirtschaft des 21. Jahrhunderts" im Munde führt, von dem würde man Hinweise zum Verhältnis von Ökonomie und Ökologie, zu einem nachhaltigen Wachstum usw. erwarten, bei Flassbeck findet man darüber wenig. Der Wirtschaftswissenschaftler verspricht: "Ein neues Wirtschaftswunder ist machbar". Die Zutaten dafür ergeben sich für ihn aus einer Analyse des Wirtschaftswunders der 50er-Jahre. Es kam laut Flassbeck zustande, weil die Währungsrelationen stabil waren und die Binnennachfrage relativ hoch war, das heißt die Löhne nicht geringer als die Produktivität waren, im Zweifel sogar höher. Also sollte man, so empfiehlt Flassbeck zum wiederholten Mal, die Löhne wieder steigen lassen, die Nachfrage ankurbeln. Es sind immer wieder ähnliche makroökonomische Konzepte, die Flassbeck anzubieten hat. Konkreter lässt er sich auf die "Marktwirtschaft des 21. Jahrhunderts" nicht ein. Obwohl die Konjunktur in Deutschland wieder anzieht, prophezeit Flassbeck nicht nur eine wirtschaftliche Stagnation, sondern auch das Aufflammen des rechten, nationalistischen Randes. Wenn sich zeige, dass die Globalisierung gescheitert sei, dass die Integrationsbemühungen auf europäischer und internationaler Ebene keinen Erfolg hätten, dann sei es naheliegend, dass viele Wähler nach rechts, in die nationalistische Ecke abwanderten. Zeichen dafür gebe es inzwischen in ganz Europa. Umso wichtiger seien Vorkehrungen gegen eine neuerliche Finanzkrise.

    "Wenn wir da nicht gegen vorgehen, wenn es die nächste Krise gibt und der Staat muss wieder die Banken retten, ja was dann? Dann haben wir noch mal 20 Prozent mehr Defizit, öffentliche Defizite im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt. Jetzt drehen viele Leute schon durch und sagen, die Welt geht unter und es geht so nicht weiter, also was machen wir dann?"
    Insgesamt bietet Flassbeck eine kritische Sicht auf die Stellung Deutschlands in Europa. Seine Warnungen vor einem Scheitern der Globalisierung und einem möglichen Rechtsruck aufgrund der dadurch enttäuschten Hoffnungen sind ernst zu nehmen. Das versprochene Generalprogramm einer "Wirtschaft des 21. Jahrhunderts" liefert der Autor jedoch nicht.

    Conrad Lay war das über Heiner Flassbeck: "Die Marktwirtschaft des 21. Jahrhunderts", erschienen bei Westend, 304 Seiten kosten 22 Euro 95, ISBN: 978-3-938-06054-4.