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Der Weg zu freien Wahlen

Ende 1989 ist die Zukunft der DDR ungewiss. Seit Wochen verhandeln in Ost-Berlin Bürgerrechtler und Vertreter der Staatsmacht am Runden Tisch. Ziel der Opposition: Voraussetzungen für freie Wahlen schaffen. Vor 20 Jahren traten Vertreter der Oppositionsbewegung in die Regierung von Hans Modrow ein.

Von Kirsten Heckmann-Janz | 05.02.2010
    "Anders als in einer breiten Verantwortung kann die DDR jetzt nicht mehr regiert werden," ... ",

    ... begründet Hans Modrow am 5. Februar 1990 vor der Volkskammer seine Entscheidung, acht Vertreter der Opposition als Minister in seine Regierung aufzunehmen.

    ""Es war ja damals in dieser Zeit schon, dass überhaupt keine Gesetze und Vorlagen der Volkskammer behandelt wurden, ohne dass der Runde Tisch grundlegend die Zustimmung gegeben hat",

    erinnert sich Tatjana Böhm an die ersten Wochen des Jahres 1990. Sie vertrat am Runden Tisch den Unabhängigen Frauenverband.

    "Der Runde Tisch hatte Herrn Modrow mehrmals an den Runden Tisch gebeten, er ist erst nicht gekommen, dann ist er gekommen. Die Situation spitzte sich ja auch in dem Sinne zu. Wir können heute uns fast gar nicht mehr erinnern, dass natürlich eine unglaubliche Menge an Informationen über die ökonomische Misswirtschaft gerade im Januar sehr deutlich zu Tage traten."

    Immer noch verließen zigtausend DDR-Bürger das Land in Richtung Westen. Die Wirtschaft stand kurz vor dem Zusammenbruch, Arbeitskräfte, Material und Rohstoffe fehlten. Als sich die ehemalige Blockpartei CDU am 25. Januar aus der Regierung zurückzog, wurde die Lage für Ministerpräsident Modrow noch brisanter.

    Drei Tage später, am 28. Januar, traf sich Hans Modrow mit Vertretern des Runden Tisches, um über die Teilnahme der Opposition an der Regierung zu verhandeln. Nach sieben Stunden gab der Moderator, Oberkirchenrat Martin Ziegler, das Ergebnis vor der Presse bekannt.

    "Eine Wahl zur Volkskammer soll stattfinden, vorgezogen am 18.3. 1990. Zweitens: In einer Regierung der nationalen Verantwortung entsenden alle am Runden Tisch vertretenen Gruppierungen, die noch nicht in der Regierung vertreten sind, je einen Vertreter ohne Ressort."

    Im Vorbeigehen erklärte Hans Modrow den Journalisten, dass nun die Bedingungen für freie, gleiche, geheime Wahlen gesichert seien.

    "Und zugleich eine Phase gemeinsamer Verantwortung, die, glaube ich, auch dazu beitragen wird, Stabilität im Lande zu stärken."

    Die Entscheidung, in der Regierung mitzuarbeiten, war bei den Bürgerrechtlern durchaus umstritten, erinnert sich Tatjana Böhm, die einzige Frau unter den Ministern, sie befürchteten, als Feigenblatt für die Regierung Modrow zu dienen.

    "Er wollte auch eine Legitimation, wenn er dann im Februar, eineinhalb Wochen später, zu Kohl fährt, wo ja dann die ersten Schritte, also, wie geht es weiter mit Deutschland ganz konkret auch in Richtung auf Wiedervereinigung hin, gemacht wurden. Er wollte also mit einer größeren Legitimation nach Bonn fahren."

    Also wählte die Volkskammer am 5. Februar acht Bürgerrechtler zu Ministern ohne Geschäftsbereich, unter anderem Wolfgang Ullmann von Demokratie Jetzt, Sebastian Pflugbeil vom Neuen Forum, Gerd Poppe von der Initiative Frieden und Menschenrechte, Matthias Platzek von der Grünen Partei und Tatjana Böhm.

    "Es war natürlich eine unglaubliche Feindseligkeit. Da war dieser unglaubliche Widerspruch zwischen der alten Volkskammer mit ihren vielen Vertretern, die doch durchaus eben völlig auf der Linie der SED waren und dann kommen diese komischen Leute vom Runden Tisch, die dann immer von Demokratisierung, von Meinungsfreiheit, von bürgerlichen Freiheiten insgesamt sprechen."

    Nur knapp sechs Wochen blieben bis zu den Wahlen. Unter anderem galt es, die gesetzlichen Voraussetzungen wie ein Parteien- und Vereinigungsgesetz zu schaffen.

    "Das ging dann so weiter, dass wir legitim an den Sitzungen des Ministerrats teilgenommen hatten. Wir hatten natürlich ziemlich wenig Information, wir hatten ein Büro und ein Chauffeur mit Lada und eine Sekretärin. Also, wir haben praktisch in unseren Gruppen am Runden Tisch gearbeitet und haben an den Ministerratssitzungen teilgenommen. Hinter den anderen waren natürlich ganze Ministerien und Vorlagen, während wir versucht haben, uns durch diesen bürokratischen Wust durchzuwühlen. Zur selben Zeit lief ja alles gleichzeitig in Ostdeutschland. Es ging ja auch um die Stabilität, die Friedfertigkeit, das ja ein oberstes Gebot der Bürgerbewegungen war, die Friedlichkeit des Übergangs zu demokratischen Wahlen zu sichern."

    Am 18. März 1990 fanden in der DDR die ersten freien und geheimen Wahlen statt. Die "Regierung der nationalen Verantwortung" hatte ihre Schuldigkeit getan.