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Der Weg zum Pazifik

Mit ihrer Expedition waren Meriwether Lewis und William Clark die ersten Weißen, die Nordamerika auf dem Landweg durchquerten. Mehr als 28 Monate waren sie unterwegs. Möglich wurde die Entdeckungsreise nur durch ein Geschäft der USA mit Frankreich.

Von Dieter Wulf |
    "Als sie hier ankamen, hatten sie eine Million Worte aufgeschrieben und waren über sechstausend Kilometer gereist. Sie hatten die größte Wasserscheide der Welt, die Mississippi-Wasserscheide von Ost nach West erforscht. Sie waren erst auf dem Ohio River, dann den Mississippi rauf, den Missouri, querten über Land und kamen dann über den Snake und den Columbia River."

    … erzählt mir William George, Ranger am Fort Clatsop, dem Endpunkt der legendären Expedition von Lewis und Clark, die Geschichte der berühmtesten Entdecker der Vereinigten Staaten. Sie waren die ersten Weißen, die den Kontinent auf dem Landweg durchquerten. Vor über zweihundert Jahren war es eine Reise in einem völlig unerforschten Kontinent. Eine Expedition, heute vielleicht nur noch vergleichbar mit der Reise zum Mond.

    Nach Fort Clatsop, dem Endpunkt der Expedition, komme ich später wieder zurück. Jetzt geht es erst mal zum Ausgangspunkt meiner Reise entlang der Route von Lewis und Clark. Ein paar Hundert Kilometer weiter östlich entlang des Columbia, des wasserreichsten Flusses der amerikanischen Westküste. Dort treffe ich mich mit Steve Thomson in The Dalles, geschrieben ähnlich wie Dallas, Texas. Hier aber sind wir nicht in Texas, sondern in The Dalles.

    "The Dalles ist ein ziemlich ungewöhnlicher Name. Als die Francokanadier hierher kamen, sahen sie diese hohen Felswände auf beiden Seiten des Flusses und das erinnerte sie an die Pflasterstraßen in Frankreich, wo am Straßenrand das Regenwasser reingeleitet wird, das man "le dalles" nennt. Als sie das hier sahen, nannten sie es danach und das wurde dann später amerikanisiert in The Dalles."

    Wir sind im sogenannten Discovery Center von The Dalles, das dem Columbia River aber eben auch Lewis und Clark gewidmet ist. Alles, erklärt mir Steve Thomson, begann 1803 mit dem Kauf von Louisiana.

    "Wir müssen mit Thomas Jefferson anfangen, der Louisiana kauft und der Neugierde, dann dieses Gebiet zu erforschen. Es gab einen Landesteil, der Louisiana hieß und den Franzosen gehörte. 1803 entschied Napoleon dieses Louisiana an die Vereinigten Staaten zu verkaufen, die damit ihr Territorium verdoppelte. Es reichte von den Rocky Mountains nach Osten bis zum Mississippi."

    Ursprünglich hatten die Franzosen dieses Gebiet schon 1682 in Besitz genommen und zu Ehren ihres Sonnenkönigs, Ludwig des XIV., Louisiana genannt. Doch niemand wusste, welche Dimensionen das Land eigentlich hatte. Und da Napoleon für seine Feldzüge Geld brauchte, verkaufte er die Territorien für 15 Millionen Dollar an Präsident Jefferson. Ein Wahnsinnsschnäppchen. Aber auch die Amerikaner wussten damals noch nicht, was ihnen da zugefallen war. Die "Louisiana Purchase", das war weit mehr als der heutige Bundesstaat Louisiana. Ein Gebiet, das heute 13 Bundesstaaten der USA umfasst. Also entsandte man ein Expeditionsteam, um zu erkunden, was man sich da eigentlich eingehandelt hatte.

    "Die Lewis und Clark Expedition begann im Mai 1804 und dauerte bis September 1806. Eine Expedition von zweieinhalb Jahren. Ihre Ziele waren vielfältig. Zum einen sollten sie das Gebiet kartografieren, sie sollten Kontakt mit den Eingeborenen aufnehmen und dann sollten sie erkunden, welche Pflanzen und Tiere es gab. Es war wirklich eine wissenschaftliche Expedition zur Erforschung der Geologie. Das Wesentlichste aber war die Suche nach einem Wasserweg quer durch Nord Amerika. Wäre es möglich den Missouri River rauf zu fahren, dann die Rocky Mountains zu überqueren, um dann auf dem großen Fluss im Westen, den wir heute Columbia nennen, weiter zu reisen und so eine Wasserroute quer durch die USA zu haben?"

    Als Expeditionsleiter bestimmte Präsident Jefferson seinen damals 29-jährigen Privatsekretär Meriwether Lewis. Als Stellvertreter wählte der seinen Armeeausbilder William Clark. Beide wussten, wie man in der Wildnis überlebt. In der Ausstellung im Discovery Center sieht man auf historischen Karten, was man damals, vor Antritt der Reise darüber wusste, wohin die Reise gehen sollte. Diese Karten hatten mit der Realität, wie wir sie heute kennen, wenig zu tun. Aber genau hier, wo heute das Museum steht, machte die Expedition damals Rast.
    Ein paar Kilometer flussaufwärts treffe ich mich am Ufer des breiten mächtigen Columbia mit Lora Camini, einer freundlichen älteren Dame, die hier trotz ihres Alters so um die Siebzig die örtliche Handelskammer leitet.

    "Wir sind jetzt westlich von The Dalles und stehen auf einem Kliff. Ein etwas geschützter Bereich hier zwischen den Felsen, wo Lewis und Clark 1805 campierten auf ihrem Weg Richtung Ozean. Ein sehr wildes, raues Gelände."

    Das Plateau ist etwa zwanzig dreißig Meter oberhalb des Flusses. Die Böschung ist steil und felsig. Einige Schilder weisen darauf hin, dass die Expedition vom fünfundzwanzigsten bis zum achtundzwanzigsten Oktober 1805 genau hier ihr Lager aufgeschlagen hatte, um zu jagen und ihre Kanus zu reparieren. Am 26. Oktober notierte William Clark:

    "Am Abend kamen zwei Häuptlinge und 15 Mann in einem einzelnen Kanu. Es waren die großen Häuptlinge der Stämme, die flussaufwärts leben. Einer von ihnen gab mir eine verzierte Elchhaut und Fleisch vom Reh sowie zwei Brotlaibe, die aus Wurzeln gemacht werden. Wir gaben jedem Häuptling eine kleine Medaille, ein Taschentuch aus roter Seide und ein Messer. Sie blieben die ganze Nacht bei uns. Wir entzündeten für sie ein Feuer und einer unserer Männer spielte auf der Geige, was sie sehr erfreute. Viele meiner Männer tanzten."

    "Hallo, wie geht´s? Willkommen im Fort Dalles Museum"

    Paola Cuttner, die Leiterin des kleinen Geschichtsmuseums, öffnet mir lachend die Tür des alten Holzhauses.

    "Das hier ist Oregons ältestes Geschichtsmuseum. Das Gebäude ist seit 1905 Museum. Vorher war es Teil eines Armeeforts, aber jetzt ist es schon seit Ewigkeiten Museum."

    … meint Paola Cuttner und führt mich durch das kleine, aber wunderbar altmodische Blockhaus.

    "Als Lewis und Clark 1805 hier durchkamen, öffnete sich das Land. 1810 waren schon einige Firmen hier, die Fellhandel betrieben. Dann kamen Entdecker, Künstler, Schriftsteller. Jeder der was Neues sehen wollte, um darüber zu schreiben oder zu porträtieren. Dann kamen bald die Missionare mit Frauen, Kindern und Tieren und die Leute im Osten merkten, dass sie hier nach Oregon kommen konnten, Land bekommen konnten, eine Farm gründen oder ein Geschäft. Dass man nicht nur überleben, sondern sogar Erfolg haben konnte."

    Als die weißen Siedler dann kamen und der "Run" auf das Gelobte Land im Westen begann, mussten sie sich hier entscheiden. Entweder sie montierten ihre Planwagen auf ein Floß, um auf dem Fluss weiter nach Westen zu kommen. Oder sie versuchten, mit den Wagen über die Berge zu kommen. Beides war sehr gefährlich, viele starben. Manche blieben einfach hier. Und als dann 1862 in Oregon auch noch Gold gefunden wurde, war The Dalles für einige Jahre wohl wirklich der Wilde Westen, meint Paola Cuttner.

    "Das war eine wilde Stadt. Fast jeden Tag wurde jemand gekillt. Es heißt, zu der Zeit hätte es nur im Stadtzentrum 23 Kneipen gegeben und das war wirklich nicht groß hier. Kannst Du Dir das vorstellen? 23?"

    Und während im Erdgeschoss Bier ausgeschenkt wurde, erzählt Paola Cuttner lachend, warteten jeweils eine Etage drüber Frauen, um den Goldgräbern ihre Schätze abzujagen. Und um zu unterstreichen, wie wild es hier zugegangen sein muss, erzählt die Museumsdirektorin noch eine Anekdote.

    "Es gibt die Geschichte von dem Marschall, der überlebte, weil eine Kugel von seinem Sheriffstern abprallte. Eine wahre Geschichte. Er kam um die Ecke, jemand schoss auf ihn, die Kugel prallte ab, sodass er überlebte und seine Geschichte erzählen konnte."

    Zusammen mit dem legendären amerikanischen Countrysänger Woody Guthrie, der über den Columbia River etliche Lieder schrieb, fahre ich auf der Uferstraße entlang des Flusses, auf den Spuren von Lewis und Clark, Richtung Pazifik.

    Der Fluss schneidet hier durch die von Kanada bis nach Nordkalifornien reichende Bergkette der Cascade-Mountains und bildet daher eine tiefe Schlucht. Rechts und links bilden über hundert Meter hohe Felswände eine fantastische Kulisse. Immer wieder unterbrochen von imposanten Wasserfällen. Der Beeindruckendste: Multnomah Falls.

    "Das ist der zweithöchste Wasserfall der USA. Der höchste ist Angel Falls am Mount Rainier, aber der wird von Gletschern gespeist. Dieser hier kommt aus Quellen und ist das ganze Jahr zu sehen. Von unten bis ganz oben sind es ungefähr 210 Meter."

    … erklärt mir Bill Pratt, ein etwa achtzigjähriger Rentner, der einmal pro Woche als Freiwilliger hierher kommt, um Touristen diese Naturschönheit zu erklären.
    Neben dem Wasserfall führt ein steiler Pfad im Zickzack-Kurs die Felswand hinauf. An jeder Wendung ergeben sich neue unglaubliche Perspektiven in das Tal des Columbia River. Und dann, oberhalb des Wasserfalls erwartet den Besucher eine Landschaft, die einem dem Atem verschlägt.

    "Wir haben hier die höchste Konzentration an Wasserfällen in Nord Amerika, genau hier in der Gegend. Es gibt einhundertacht registrierte Wasserfälle in einem Gebiet von siebzehnhundert Quadratmeilen. Also hier in der Schlucht in Washington und Oregon. Aber die meisten sind hier auf der Seite in Oregon."

    … erklärt mir Nationalparkranger Lisa Midlam, die ich ein paar Kilometer flussabwärts in der Nähe von Beacon Rock treffe, einem Fels, den auch schon Lewis und Clark beschrieben.
    Der Fels, der wie ein Heuhaufen, so groß wie ein vierstöckiges Hochhaus, am Ufer des Columbia auf den Besucher wartet, wurde vor Jahrtausenden hierher gespült, erklärt mir Lisa Midlam.

    "Das ist der Grund, warum diese Schlucht hier so geformt wurde. Viele Leute nennen es die Missoula Fluten, andere die Bretz Fluten oder Eiszeit Fluten. Das, was diese Schlucht hier geformt hat, waren die mächtigsten Fluten dieser Art, die es auf unserem Planeten je gegeben hat. Hier war auch vorher schon eine Schlucht, aber die war eher v-förmig und diese Eiszeitfluten haben sie dann abgerundet."

    Überall in Oregon und im benachbarten Idaho gibt es solch riesige Felsen, manche liegen mitten in Wüstenlandschaften und niemand konnte sich erklären, wie sie dorthin gekommen sind. Bis der Geologe Harlen Bretz in den 1920er Jahren die Theorie entwickelte, dass sie während der Eiszeit durch riesige Flutwellen dorthin gespült wurden, meint Lisa Midlam.

    "Man vermutet, dass es Hunderte dieser Flutwellen gegeben haben muss. Und wenn sie kamen, dann war das Wasser knapp dreihundert Meter hoch. Also wenn man da oben auf der Klippe stand, die ist 240 Meter hoch, bräuchte man immer noch eine Taucherausrüstung, weil man dann zwanzig Meter unter Wasser gewesen wäre. Und die Geschwindigkeit, mit der das Wasser hier durch die Schlucht schoss, wenn so ein Damm brach, muss ungeheuer gewesen sein."

    Während der Eiszeit vor etwa 15.000 Jahren bildete sich in den Rocky Mountains ein Eisdamm, hinter dem sich diese Wassermassen stauten und dann immer wieder ausbrachen. Mit 130 Stundenkilometern, so die Berechnungen heute, tobte das Wasser dann Richtung Pazifik. Wassermassen, so glauben Forscher, zehnmal so groß wie die aller heute weltweit existierenden Flüsse zusammen.

    Für mich aber geht es jetzt geruhsam weiter Richtung Westen, wo ich in Oregon City mit Sam Drevo verabredet bin.

    "Jetzt geht’s zum Paddeln. Wir fahren den Willamette River rauf bis zu den Schleusen. Ich geb Dir eine Rettungsweste, Paddel und ein Boot, ein paar kurze Sicherheitstipps und los geht’s."

    Sam war jahrelang in der amerikanischen Kajak Nationalmannschaft. 2001 war er sogar mal Weltmeister. Heute hat er hier, am Willamette River eine Kajakschule und mit ihm geht es raus aufs Wasser.

    "Wir paddeln jetzt etwa eine Meile, bis wir am unteren Teil der Willamette Falls sind. Das ist der breiteste Wasserfall der Vereinigten Staaten und nach den Niagarafällen der zweitgrößte, was das Wasservolumen angeht. Also geografisch ziemlich wichtig."

    Während wir uns dem unteren Teil des Wasserfalls im Kajak nähern, erzählt mir Sam, dass hier auch amerikanische Industriegeschichte geschrieben wurde.

    ""Das erste Wasserkraftwerk, das je gebaut wurde, war hier an den Willamette Wasserfällen. Hier wurde in den USA auch das erste Mal Strom mit Überlandleitungen transportiert. Etwa 25 Kilometer, von hier bis nach Portland. Es gab Straßenlaternen in Portland noch bevor es sie in New York City gab, Ende des 19. Jahrhunderts."

    Während wir zurück paddeln, erzählt mir Sam, dass er eigentlich von der Ostküste stammt und sich erst vor ein paar Jahren ganz bewusst entschied hierher zu kommen. Für jeden, der die Natur liebe, sei Oregon einfach das Größte, meint er und kommt ins schwärmen.

    "Ich bin mit unserem Nationalteam in allen 50 Bundesstaaten gewesen, bevor ich mich entschied, wegen all der Natur hierher nach Oregon zu ziehen. Es gibt Berge, Vulkane eine Stunde von hier, wo man Ski fahren kann, aber zur Küste, um zu surfen, braucht man auch nur eine Stunde. Oregon ist ein Natur-Mekka. Wenn man die Landschaft nimmt und dann sieht, wie wenige Leute hier leben, da kann man noch wirkliche Wildnis erleben."

    Zum Pazifik, da will auch ich jetzt hin. Zur letzten Station meiner Reise auf den Spuren von Lewis und Clark. Also auf nach Fort Clatsop, dem Winterquartier des Expeditionskorps. Dort wartet der Ranger William George auf mich.

    "Wir sind hier im Quartier des Kaptains. Das ist der schönste Raum hier. Sie hatten Einzelbetten. Die Mannschaft hatte natürlich auch Betten, aber das waren Stockbetten. Hier gab es viel Raum und Platz. Sie hatten jeder ihren eigenen Tisch, um arbeiten zu können und einen großen Kamin. So konnten sie hier an ihren Reiseberichten arbeiten."

    Ob sie hier oder anderswo überwintern, darüber hatte man demokratisch abgestimmt. Und jeder der 33 Teilnehmer, auch ein Schwarzer, der als Sklave mitreiste und Sacajawea, eine Indianerin und die einzige Frau der Gruppe, hatten gleiches Stimmrecht. Sechzig Jahre vor der Abschaffung der Sklaverei und über hundert Jahre, bevor in den USA Indianer oder Frauen überhaupt wählen durften.

    Vermutlich wussten sie, dass die Gruppe ohne Sacajawea die Reise nicht überlebt hätte. Als 16-Jährige verheiratet mit einem französisch-kanadischen Pelztierjäger, hatte sie sich auf der Reise immer wieder als unersetzliche Dolmetscherin erwiesen. Überhaupt war die Entscheidung, sie und ihr kurz vor Reisebeginn geborenes Baby mitzunehmen, vermutlich die wichtigste Entscheidung, die zum Erfolg, ja zum Überleben beitrug, erklärt mir Roger Wendlick, der sich seit vielen Jahren mit der Lewis-und-Clark-Expedition beschäftigt.

    "Als sie die Rocky Mountains überquert hatten, im September 1805, fragte Lewis einen der Häuptlinge in einem Dorf der Nez Percé. Wir haben nur wenige Indianer gesehen und angegriffen wurden wir auch nicht, warum? Der Häuptling sagte: Wir wussten, dass Ihr kommt. Unsere Leute, nicht nur die Nez Percé, alle Indianer haben Euch überall beobachtet, den ganzen Weg entlang. Wir wussten, dass der weiße Mann kommt. Aber warum griff man sie nicht an? Der Grund ist und das sagte er zu Meriwether Lewis und William Clark schrieb es in seinem Bericht, dass jede Gruppe, die eine Frau dabei hat, nicht kriegerisch ist. Besonders, wenn sie ein Baby dabei haben. So wussten die Indianer, dass die Weißen, die da kamen, nicht aggressiv waren."