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Der Wegbereiter des Islam-Punk

Vor zehn Jahren hat Michael M. Knight mit seinem Buch "Taqwacores", der Geschichte einer muslimischen Punk-WG in den USA, eine liberal-islamische Jugendbewegung ausgelöst. Ihm sei es damals vor allem darum gegangen, den Islam so zu beschreiben, wie er ihn sich wünschte, sagt Knight.

Michael M. Knight im Gespräch mit Susanne Luerweg | 20.03.2012
    Susanne Luerweg: Der "Ich-Erzähler" in dem Buch sagt ganz zu Beginn: Punk und Islam - die haben viel mehr gemeinsam, als man denkt. Was genau haben die denn gemeinsam?

    Michael Muhammend Knight: Ich glaube alle Gemeinschaften oder Ideologien fahren die gleichen Argumentationsketten auf, wenn es darum geht zu behaupten, man habe die Tradition gepachtet. Da sind sich Moslems und Punks ähnlich: Es gibt jede Menge Streit darüber, wer den wahren Islam vertritt und wer ihn verrät. Das machen Punks auch. Sie sagen auch: Du bist nicht authentisch! Punk war nur echt zwischen 1977 und 1980. Und du fügst jetzt Dinge hinzu, die nicht passen. Du korrumpierst Punk. Sehen Sie, das passiert in beiden Traditionen.

    Luerweg: Die WG, die es in ihrem Buch gibt, ist ziemlich schräg. Es gibt ein Loch in der Wand, das gen Mekka zeigt. Die Menschen trinken, rauchen, kiffen, haben Sex vor der Ehe. Weiter vom Islam kann man gar nicht entfernt sein. Aber alle behaupten, sie seien Moslems.

    Knight: Das passiert doch auch im Christentum. Es gibt Menschen, die von sich sagen, sie seien Christen; und dann machen sie lauter seltsame Dinge, die nicht ins Schema passen. Ich habe das Gefühl, dass viele nicht verstehen, dass Moslems genauso vielschichtig sind wie Menschen anderer Religionen.

    Luerweg: Aber würden Sie nicht sagen, dass die Charaktere in Ihrem Buch schon sehr fantasievoll wirken? Schon sehr liberal. Haben Sie sich da Ihren ultimativen liberalen Islam kreiert mit diesen Leuten?

    Knight: Ich wollte einfach einen Raum, in dem ich zu meinen Bedingungen eine aufrichtige Beziehung zum Islam aufbauen konnte. Aber wenn Sie einen Blick in die Geschichte des Islams werfen, dann wird deutlich, dass es schon immer Menschen gab, die Gras rauchen. Auch schon bevor sie Amerika kannten. Wir tun immer so, als sei der Islam ein Monolith. Ist er aber nicht. Ich habe in Pakistan eine Pilgerstätte besucht, wo ein Moslemheiliger mit seinem hinduistischen Freund begraben war. Die Pilgerstätte war über 500 Jahre alt. Viele der besonders wichtigen Pilgerstätten in Pakistan waren gleichzeitig Treffpunkte der örtlichen Drogendealer. Es gibt einfach sehr verschiedene Ausprägungen innerhalb einer Religion. Wir sind in der Regel bereit, das zuzugeben, nur wenn es um den Islam geht, dann hat sich in vielen Köpfen festgesetzt, dass alle Moslems das Gleiche tun. Und es gibt Moslems, die es genau so am liebsten hätten.

    Luerweg: In einem Interview mit dem Sender National Public Radio (NPR) haben Sie gesagt, dass man nirgendwo so gut Moslem sein kann, wie in den USA.

    Knight: Derzeit ist die Stimmung gegenüber Moslems in Amerika sehr feindselig. Aber anderseits muss man schon sagen, dass wir in Amerika einen großen Freiraum haben, den Islam für uns zu definieren. Und es gibt viele Möglichkeiten, dass sich die verschiedenen Glaubensausrichtungen treffen und austauschen können. In einer Form, die woanders nicht möglich wäre. Also es gibt Licht und Schatten. Vor- und Nachteile.

    Luerweg: Eigentlich haben Sie "The Taqwacores" geschrieben, um sich vom Islam abzuwenden. Das ist aber gar nicht so. Sie sind immer noch Moslem.

    Knight: Als ich das Buch geschrieben habe, war mir nicht klar, dass es durchaus möglich ist gleichzeitig komplex, verwirrt und Moslem zu sein. Ich habe mich damals sehr einsam gefühlt, und der Islam erschien mir damals so restriktiv und einengend. Ich habe in diesem Buch einen Islam beschrieben, wie ich ihn mir wünschte, und habe diese Wunschvorstellung in die Welt geworfen. Dann habe ich gemerkt, dass es noch andere Leute da draußen gibt, die sich das gleiche wünschten. Sie wollten auch solche Erfahrungen machen, und sie wollten einen Raum, in dem sie ihre Verwirrung ausleben durften. Wir haben uns darin gegenseitig unterstützt.

    Luerweg: Sie haben im Grund genommen eine Jugendbewegung ausgelöst. Wie fühlt sich das an?

    Knight:Wissen Sie, als ich das Buch geschrieben habe, hatte ich das Gefühl, ich schreibe Science Fiction. Ich dachte, ich schreibe so was Ähnliches wie Star Wars. Und die Tatsache, dass sich dies nun alles so verselbstständigt hat, Realität geworden ist, erschreckt mich manchmal. Ich habe manchmal das Gefühl, ein seltsamer Zauber hat sich über mich gelegt. Sogar wenn ich im Kino sitze und in Filmen echte Menschen meine Worte und Ideen formulieren, bin ich manchmal kurz davor auszuflippen.

    Luerweg: Das ist ja wirklich richtig Realität geworden: Sie haben sich diese Muslim Punk Gruppen ausgedacht; und sie sind jetzt in Filmen zu sehen, in einer Dokumentation und in einem Spielfilm. Das stelle ich mir auch ein wenig Furcht einflößend vor.

    Knight: Ja, das ist wirklich Furcht einflößend. Ich denke ab einem gewissen Punkt gleicht das Buch einem soziologischen Experiment. Es gab ja moslemische Kids, die Punks waren, aber sie waren isoliert und lebten wie auf einer einsamen Insel. Sie führten ein Doppelleben: Moslem auf der einen Seite, Punk auf der anderen. Und das Buch gab dem ganzen einen Namen: Taqwacore. Und als es endlich einen Namen für das Phänomen gab, kamen all diese Kids aus den hintersten Ecken hervor und riefen: " Oh, Taqwacore", das bin ja ich. Und ich erinnere mich daran, dass mich einige sogar baten sie mit echten Taqwacore Bands bekannt zu machen. Und ich antwortete dann: "Es gibt so etwas nicht, ich habe es erfunden. Und sie entgegneten: Aber ich bin Taqwacore." Es wurde wahr, weil es einen Namen hatte.

    Luerweg: Jetzt ist es da! Und wie verfolgen Sie das? Sind Sie immer noch Teil dieser Szene?

    Knight: Nun, Punk ist schon was für junge Leute, und ich werde leider immer älter. Inzwischen bin ich ein ehrwürdiger Islamwissenschaftler. Ich besuche Forschungskonferenzen, und Kollegen sagen: "Oh, ich dachte, Sie würden eine Nietenjacke tragen und hätten eine Irokesenfrisur." Wissen Sie, es verfolgt mich, es lässt mich nie ganz los. Aber ich habe dieses Buch vor gut zehn Jahren geschrieben. Ich habe es in dem Bewusstsein geschrieben, dass etwas nicht in Ordnung war. Aber ich wusste nicht, wie ich es ändern sollte. Jetzt versuche ich mir das nötige Rüstzeug anzueignen. Ich bin inzwischen eine Art Streber. Ich gehe ziemlich häufig in die Bibliothek.

    Luerweg: Was war zuerst in Ihrem Leben – Punk oder Islam?

    Knight: Islam war als Erstes in meinem Leben. Der Punk trat in mein Leben, als ich desillusioniert von der Religion war, aber Angst hatte es zuzugeben. Ich konnte mich nicht wirklich mitteilen, und es waren dann Punker, die mir sagten: "Du musst dich nicht für dich entschuldigen. Hab keine Angst, du selbst zu sein." Ich war wirklich beseelt dadurch. Ich wollte danach einen Islam mit genau diesem Punkgeist.

    Luerweg: In ihrem Buch beten Männer und Frauen zusammen, und es gibt eine weibliche Hauptfigur, die ist sehr viel wilder, als jeder Mann in ihrer Geschichte. Das scheint mir aber sehr weit weg von der Realität. Wie würden Sie das sehen?

    Knight: Wissen Sie, ich habe jede Menge komplizierte, muslimische Frauen kennengelernt. Und wenn ich eins gelernt habe, dann dies: Man kann das Verhalten eines Menschen nicht an seiner Kopfbedeckung ablesen. Das wollte ich mit dem Buch zum Ausdruck bringen. Man weiß nie, wer jemand wirklich ist.

    Luerweg: Wie sieht ihr Leben heute aus? Sie schreiben Bücher, Sie sind in Harvard, Sie haben es gerade schon einmal kurz erwähnt , Sie sind Nerd und gar kein Punk mehr?

    Knight: Ich habe Harvard abgeschlossen und schreibe derzeit meine Doktorarbeit in North Carolina. Ich spreche immer noch die Wahrheit, oder versuche es zumindest. Ich versuche immer noch, mutig zu sein. Das ist manchmal schwierig. Aber ich finde, es ist mehr Punk, als eine Flasche gegen die Wand zu schmeißen oder seine Faust in die Höhe zu recken. Es gibt einfach verschiedene Formen, ein Punk zu sein. Ich bin scheinbar inzwischen eher so der Langeweiler-Punk, aber ich hoffe, dass ich erfüllt von ihm bin: vom wahren Geist des Punk.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.