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Der Weihnachtsmann in den unterschiedlichen Kulturen

Der Weihnachtsmann ist der Nikolaus oder Santa Claus, aber nicht nur: Es gibt ihn auch als Shou Xing oder Tscham oder Zam in anderen Kulturen. Und diese Figuren haben auffallend viel gemeinsam.

Von Thomas Kleinspehn | 20.12.2012
    Ob er nun Santa Claus, Nikolaus oder Weihnachtsmann heißt: Er gehört zur Konsumkultur dazu wie Coca Cola und doch trägt er zugleich die Muster der traditionellen Kulturen vergangener Jahrhunderte in sich. In der westlichen Welt scheinen weiße Weihnachten, das Christentum und der Konsum untrennbar miteinander verschmolzen. Aber ein Blick weiter nach Osten, über die russische Steppe hinaus in die Mongolei oder nach China, zeigt dass diese enge Verknüpfung keineswegs so ausschließlich ist, wie man das im Westen ganz leichtfertig glaubt. Ein bisschen fremd sehen der weiße Alte oder Shou Xing schon aus. Aber die Muster, Symbole und Themen sind der westlichen Figur sehr ähnlich. Der Weihnachtsmann gehört zu keiner spezifischen Kultur, auch nicht zur Konsumkultur, meint deshalb Thomas Hauschild. Der Ethnologe an der Universität Halle und Experte für populäre Rituale in vielfältigen Regionen hat sich auf die Spuren des Weihnachtsmanns begeben und Überraschendes entdeckt.

    "Das hat mich doch sehr fasziniert, dass so eine Figur, die wir so sehr für unsere eigene halten, die auch mich geprägt hat und die ich auch an meine Kinder weitergebe, dass die so ferne Wurzeln haben können. Das hat mich dann begeistert. Und dann ist etwas ganz anderes hinzugetreten, dass hier in den letzten Jahren, fast unbemerkt von der Öffentlichkeit, der Streit schwelt um Figuren wie Weihnachtsmann und um Krippenspiele und um die Frage, ob es überhaupt Weihnachtsdekoration in Kitas geben soll. Aus dem einfachen Grund, dass da die Belegschaft oft zu 50 Prozent aus Kindern besteht, die aus muslimischen Familien kommen oder auch ganz andere kulturelle Hintergründe haben. Und das hat Weihnachten ein bisschen zur Disposition gestellt, ohne dass es uns allen so richtig bewusst geworden ist."

    Die Reise in die Welten der Weihnachtsmänner, Nikoläuse und weißen Alten ist vielfältig, manchmal unübersichtlich und befremdlich. Doch Hausschild gelingt es, den Leser immer wieder auch in bekannte Gefilde zu bringen. In einem hinreißenden Einstieg kann der Leser den Autor selbst als Weihnachtsmann begleiten, wie er eine Kita aufsucht: die Verkleidung, die eigene Aufregung, die Spiegelung in den Kindergesichtern, die er durch seine Pappmaske hindurch sieht. Und in den Augen von Yasemin, Serkan oder Ramiz entdeckt er, wie wenig diese Figur doch eigentlich mit dem Christentum zu tun hat. Das mindert aber die Faszination keineswegs. So kann sich Hauschild auf die Suche nach den Mustern begeben, die stets auch eine Suche nach sich selbst ist. Immer wieder erlebt der Leser einzelne Forschungsschritte mit, wird selbst aus fernen Ländern wieder zurückgeholt nach Berlin, wo der Ethnologe in Bildern, Videos oder zufällig gefundenen Objekten Entdeckungen macht, die ihn abermals in die Ferne treiben. Spuren des Weihnachtsmanns scheinen überall.

    Rhythmisches Trommelschlagen und Trompeten kündigen ihn an. Langsam tritt er hinter dem Vorhang hervor: der weiße Mann mit einer spitz nach oben zulaufenden Maske, lange weiße Haare und ein wallender weißer Bart. Zugleich ist dieser "Weiße Alte", der Tscham oder Zam, in der Mongolei oder ähnlich in China noch wie ein Kind, pausbäckig und knuffig. Das hat er gemein mit vielen Weihnachtsmännern im Westen.

    "Einmal ist es so, dass im eurasiatischen Raum, das auch eine Figur ist, die in staatlich organisierten Massengesellschaften auftritt und die die Familie als Kleinfamilie betrifft und die einen pädagogischen Anspruch hat und einen Prozess der Anpassung in dem Rahmen durchmacht. Diese Figur ist schon phänomenal und die hat ein östliches Gegenstück oder mehrere. Shou Xing, der Gott des langen Lebens und der guten Gesundheit in China und der weiße Alte in der mongolischen populären Kultur, der heute noch eine riesen Rolle da spielt. Und diese Figuren haben alle gemeinsam, dass sie einerseits ganz klar einen alten Mann darstellen, dass sie bei Maskenbräuchen oder in ähnlichen Situationen benutzt werden und massenhaft abgebildet werden, um Winterfeste darzustellen und dass dieser Alte nicht nur gebefreudig ist und sich gern mit Kindern befasst, sondern dass er selbst auf merkwürdige Weise jung aussieht. Und diesem Kindchenschema entspricht dieses Bild eines Kindes mit den großen Augen und der hohen Stirn, das uns so von unten her anguckt. Und dieses Bild ist reinkopiert in das Bild eines alten Mannes mit langem Bart und weißen Haaren und riesigen, lang ausgewachsenen Augenbrauen usw. Das ist schon ne rasante Mischung."

    Und der Kern dieser rasanten Mischung findet der Ethnologe in Kulturen, die wenig miteinander zu tun haben. Es ist nicht nur die Figur selbst, sondern vor allem auch der Kontext, in dem sie auftritt. Ganz weit weg vom Warenfetisch unserer Tage entdeckt Hauschild in West und Ost nicht nur den Bezug zur Familie, sondern ebenfalls die Funktionen des Weihnachtsmanns im Übergang zum Winter. In traditionellen Kulturen rücken ganz notwendig das Schlachten und die Vorratshaltung in den Vordergrund. Essen und Trinken müssen über den Winter gesichert werden, die Familie versorgt. Dazu gehört aber auch das Teilen mit den Nachbarn oder mit den Schwächeren. So werden der Weihnachtsmann oder der weiße Mann zur Figur des Winters und des Übergangs: Schenken an die Schwächeren auf der Schwelle zum Winter und Schenken der Erwachsenen an die noch unselbstständigen Kinder. Aus der Sicht von Hauschild spielt dabei in der Umkehrung die Angst vor der Sterblichkeit, die im Winter besonders groß ist, und die Fantasie vom langen Leben eine wichtige Rolle. In die Volkskultur verwoben wird das Geben allerdings auch zu einer pädagogischen Maßnahme. Beim Weihnachtsmann gehören die Gabe und die Rute, Genuss und Strafe zusammen. In der Gegenwart verringert sich zwar die Dimension der Strafe, verschwindet aber nicht ganz.

    "Ich vermute, dass solange die ökonomische Basis hält, dieses – was sich ja für uns Deutsche als Wirtschaftswunder in den 40er- und 50er-Jahren nach und nach angebahnt hat – solange das hält, wird der bedrohliche Aspekt der schwächere bleiben und der Verinnerlichungsprozess eine große Rolle spielen. Die Verinnerlichung ist die Reduzierung auf eine gute Figur, die Wegnahme immer stärker von büßerischen, strafenden Aspekten aus dieser Vorstellungswelt der weihnachtlichen Riten."

    Der Weihnachtsmann, der Weiße Mann und andere Wintergötter, sie scheinen zusammen zu gehören, will man Hausschilds Analyse folgen. In Blenden und Rückblenden zwischen Borkum und Ulan Bataar in der Mongolei treffen sich die traditionellen Figuren in seinem Buch. Eine faszinierende Wanderung durch die winterliche Riten und Vorstellungen in der nördlichen Hemisphäre. Manchmal verliert man ein bisschen die Übersicht, wenn sich der Autor allzu sehr in die kleinsten Details der Figuren und Bräuche verliert. Doch spätestens dann, wenn der vertraute westliche Weihnachtsmann wieder auf seinem Schlitten am Horizont und mit ihm der Autor als Forscher auftauchen, wird klar, wie viel wir selbst diese Figur verinnerlicht haben und sofort wissen, worum es geht, wenn da einer sein charakteristisches Lachen ausstößt.

    Buchinfos:
    Thomas Hauschild: "Weihnachtsmann. Die wahre Geschichte", Frankfurt, S. Fischer, 2012, 19,99 Euro