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Der Wert der Therapie

Medizin. - Mehrere Tausend Euro im Monat kostet nach dem aktuellen Stand von Wissenschaft und Forschung eine Therapie für Nierenkrebs. Ob sie das Leben der Patienten verlängert oder nur das Leiden, kann allerdings niemand sagen. Immer mehr hochmoderne Medikamente drängen zu stolzen Preisen auf den Markt, doch ihr Nutzen scheint nur unzulänglich erforscht zu werden. Die Kriterien, nach denen Fortschritte in der Krebstherapie beurteilt werden, sind in die Diskussion geraten.

Von Martina Keller | 25.01.2013
    "Ich werde jetzt meine Untersuchung haben, und ist natürlich erst mal ein Hoffen da: Hoffentlich wirkt es, hoffentlich wirkt es möglichst lang, wenn es denn schon wirkt. Aber: Ich weiß nicht, ob es wirkt."

    Wolfgang Behling hat Nierenkrebs, im fortgeschrittenen Stadium. Seine Hoffnung - und die vieler Krebskranker - ist die "gezielte Therapie". Das sind teure Medikamente. Behlings Medikament Afinitor beispielsweise kostet die Krankenkasse rund 4000 Euro im Monat.

    "Wenn eine Firma mit einer Heilungschance für eine Krebserkrankung daherkommt, egal welche, würden die meisten Menschen sagen, das ist viel Geld wert."

    Tito Fojo ist Senior Researcher am Nationalen Krebsinstitut der USA.

    "Wenn ein Medikament das Leben nur zwei Wochen verlängert, würden die meisten sagen, das ist nicht viel Geld wert, es ist etwas wert, aber nicht viel Geld. …. Das Problem ist: Manchmal zahlen wir eine Menge Geld für Medikamente, die wirklich nicht sehr wirksam sind."

    Eine Forschergruppe aus Toronto hat das jetzt am Beispiel von Brustkrebstherapien belegt. In 54 von 168 analysierten Studien, also in jeder dritten, brachte die getestete Behandlung den Patientinnen keinen echten Vorteil. Dennoch wurden die Ergebnisse positiv dargestellt. Krebsforscher Fojo hat zudem einen Trend beobachtet: Viele Krebsmittel werden auf dünner Datengrundlage zugelassen. Denn Hersteller legen ihre Studien häufig auf ein schnell überprüfbares Zwischenziel aus: das so genannte progressionsfreie Überleben.

    "Das ist eine von vielen Möglichkeiten, Krebsmedikamente zu bewerten. Sie besagt, wie lange es dauert, bis der Krebs des Patienten bis zu einem bestimmten Punkt fortgeschritten ist. Am liebsten hätten wir natürlich, dass ein Tumor überhaupt nicht mehr wächst oder sogar verschwindet, aber in der Mehrzahl der Fälle ist das schwer zu erreichen. Also will man das Wachstum des Tumors solange wie möglich hinausschieben. Aber ist das Hinausschieben ein echter Nutzen? Das ist es nur dann, wenn am Ende die Gesamtüberlebenszeit verlängert wurde. Wenn nicht, ist es nur eine Messweise, die man gewählt hat, aber nichts, was dem Patienten viel bringt. Wenn aber ein Mittel weder das Leben eines Patienten verlängert noch sein Befinden verbessert hat, was soll das dann überhaupt aussagen?"

    Für Afinitor wurde bewiesen: Es schiebt das Fortschreiten der Erkrankung um drei Monate hinaus. Ob der Patient dadurch auch länger lebt, hat Hersteller Novartis nicht untersucht, entgegen dem Rat des wissenschaftlichen Komitees der Europäischen Arzneimittelagentur EMA. Dennoch wurde das Mittel zugelassen. Die EMA hält einen klinischen Nutzen für "reasonably likely" - ziemlich wahrscheinlich. Sie nimmt also Unsicherheit in Kauf – und hält sich offenbar nicht an ihre eigenen Standards. Wolfgang Behling zieht nach knapp fünf Monaten Afinitor-Einnahme Bilanz.

    "Zu Beginn der Einnahme von dem Afinitor hatte ich ja nun sehr starke Nebenwirkungen, mit Ausschlag am ganzen Körper, mit Juckreiz, dass ich nicht schlafen konnte. Bedingt durch das Nichtschlafen war man sehr aggressiv. Für mich stellt sich das im Nachhinein eigentlich so dar, dass die Nebenwirkungen, die man erfahren musste, nicht im Einklang mit dem Nutzen des Präparats steht, für mich persönlich jetzt, bei anderen mag das vielleicht ganz anders aussehen. Wenn ich dann die Nebenwirkungen, wie ich das gerade sagte, dagegen stelle, waren es vielleicht verschenkte fünf Monate, aber das ist eine Mutmaßung, das ist einfach ein Gefühl."

    Hinweis: Zum Thema Wirksamkeit neuer Krebsmedikamente sendet der Deutschlandfunk am kommenden Sonntag, 27.01., 16:30 Uhr, in der Sendung "Wissenschaft im Brennpunkt" ein Feature.