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Der Westwall als Artenschutzgebiet

Hitler ließ Ende der Dreißigerjahre zwischen Basel und Kleve den so genannten Westwall bauen, um die Westgrenze des Dritten Reichs uneinnehmbar zu machen. Nach dem zweiten Weltkrieg sprengten die Alliierten die meisten Bunker. Die Ruinen werden derzeit im Auftrag des zuständigen Bundesfinanzministeriums zertrümmert und untergepflügt. Doch das einstige Bollwerk hat sich in den letzten 60 Jahren zum Biotop entwickelt.

Von Anke Petermann | 01.04.2005
    "Achten Sie bitte darauf, hier sind überall die Stahl-Stücke ... "

    Walter Stutterich vom Bund für Umwelt und Naturschutz kennt die versteckten Bunkerruinen im Pfälzer Wald. Hoch über Oberotterbach nahe der französischen Grenze schließt ein so genannter "Beobachter" unauffällig mit der Hangkante aus Buntsandstein ab. Ein niedergetretener Zaun zeugt davon, dass das Bundesfinanzministerium den Bunker mit seiner gesprengten Decke als Sicherheitsrisiko einstuft. Blick von oben in die Betonkrater, die mal Bunkerräume waren:

    "Ich erkenne jetzt hier auf Anhieb sechs verschiedene Moose, zwei Farne, das ist gegenüber dem Buntsandstein schon viel. Der Buntsandstein ist ja sehr kalkarm, mineralienarm, und hier kommen eben aus dem angemixten Mörtel andere Mineralien dazu, und das macht das Ganze für den Naturschutz so interessant. "

    Noch ist die ganze Vielfalt der Flora auf dem ehemals größten Betonriegel der Welt gar nicht erforscht, ebenso wenig wie die vielen Tierarten, die hier am Westwall ihre Öko-Nischen und Ersatz-Lebensräume finden.

    Um so bitterer für Naturschützer, wenn im Auftrag des Bundesfinanzministeriums der Bagger samt hydraulischem Meißel anrückt, um Bunker samt Biotop in fußballgroße Stückchen zu zerkleinern und mit Erde zu bedecken - zur "Gefahrenabwehr", wie es heißt. So geschehen unlängst in der Eifel nördlich von Aachen. BUND-Mann Sebastian Schöne ist zuständig für den Westwall in Nordrhein-Westfalen:

    "Der Reiz an diesen Bunkern ist ja diese Vielfalt von Hohlräumen, Spalten und Ritzen, dass sich da viele Insekten verstecken können. Dass da Wildkatzen Unterschlupf finden und Fledermäuse, dass dort Amphibien vorkommen und Reptilien. Diese Vielfalt, die haben wir in der intensiv genutzten Agrarlandschaft nicht. "

    Und deshalb protestierte der BUND scharf gegen die Aachener Abrissaktion. Nach einer Gesprächsrunde aller beteiligten Behörden im Düsseldorfer Umweltministerium einigte man sich auf ein zweijähriges Abriss-Moratorium für Bunker und Panzersperren der so genannten "Höckerlinie" im nordrhein-westfälischen Teil der Eifel. Zeit, die der BUND nutzen will, um die Stahlbeton-Bauten zu kartieren und Erkenntnisse über ihre ökologische Bedeutung zusammenzutragen. Das alles gehört zum Projekt "Grüner Wall im Westen", das der BUND Nordrhein-Westfalen Ende letzten Jahres ins Leben rief. Vorbild ist das so genannte "Grüne Band" von Naturschutzflächen an der ehemaligen innerdeutschen Grenze:

    "Unser Ziel ist, einen Biotopverbund zu errichten an der westdeutschen Grenze. Das Projektgebiet ist zunächst auf NRW reduziert, soll sich aber mittelfristig von Kleve bis nach Basel erstrecken. "

    Und die BUND-Landesverbände in Rheinland-Pfalz, im Saarland und in Baden-Württemberg machen mit. Um an Einzelbeispielen vorzuführen, wie man Bunker als Oasen für bedrohte Arten erhalten kann, wollen die Umweltschützer mit Hilfe von Spenden und Stiftungsfeldern einzelne Festungsanlagen samt umliegender Flächen erwerben. Etwa die Hälfte der 20.000 Bunkerruinen und Panzersperren stehen noch in zumeist dünn besiedelten Gebieten im tiefen Westen der Republik - die kann der BUND nicht alle unter seine Obhut nehmen:

    "Unser Ziel ist es, die Kommunen zu motivieren, auch Bunker zu übernehmen. Wir wollen an konkreten Beispielen zeigen, dass dies möglich ist, dass damit keine großen Risiken verbunden sind und dass die Gebietskörperschaft sich nicht in hohe Unkosten stürzt. "

    Denn 70 Prozent dessen, was das Bundesfinanzministerium für einen Abriss veranschlagt, können die Kommunen dafür bekommen, dass sie die Anlagen mit Gittern und Geländern sicher machen. Doch während der BUND für den länderübergreifenden Grünen Wall wirbt, geht die Zerstörung weiter. Als nächstes soll der hydraulische Meißel drei Bunker im Saarland zerkleinern. Wieder stehen Rückzugsräume für Marder, Füchse und Eidechsen auf dem Spiel - noch hoffen die Umweltschützer, dass ihre Forderung nach einem Abriss-Stopp schneller im Saarland ankommt als der Bagger.