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Der "Whistleblower"

In Kenia gab es einst einen Anti-Korruptionsbeauftragten, den Journalisten John Githongo. Gut zwei Jahre später steht dieser in London vor der Wohnungstür von Michela Wrong, einer erfahrenen Afrika-Korrespondentin. Githongo ist geflohen, vor Morddrohungen, die er erhalten hat, weil er seinen Auftrag, die Korruption zu bekämpfen, zu ernst genommen hat. Michela Wrong hat seine Geschichte aufgeschrieben.

Von Martin Zähringer |
    Der sogenannte "Whistleblower" spielt bei der Aufdeckung von Korruptionsskandalen meist eine Hauptrolle. Seine internen Informationen bringen den Skandal erst in Gang, aber im Licht der Öffentlichkeit sieht man ihn selten. Die englische Journalistin Michela Wrong rückt nun einen Whistleblower ins Zentrum einer Studie über die Korruption in Kenia. Als Auslandskorrespondentin der Financial Times kennt sie ihn persönlich, als er jedoch im Jahr 2005 plötzlich vor ihrer Tür in London stand, um für einige Zeit bei ihr abzutauchen, da war sie überrascht - John Githongo, der Antikorruptionsbeauftragte der kenianischen Regierung, angesiedelt im Präsidialamt und mit direktem Zugang zum Staatspräsidenten Kibaki - der sollte doch eigentlich in Nairobi gut genug geschützt sein. Githongo aber hatte dort zu gründlich und vor allem in die falsche Richtung ermittelt. Die Beweise auf seiner Festplatte schockierten sogar die erfahrene Korruptionsexpertin Wrong: Es handelte sich um Mitschnitte von Gesprächen, die Githongo heimlich im Präsidialamt aufgenommen hatte. Dort sprachen wichtige Minister in Githongos Anwesenheit ganz offen über einen Beschaffungsbetrug im größten Stil. Dabei ließen sie bis zu 750 Millionen Dollar aus der Staatskasse in dunklen Kanälen verschwinden. Als Michela Wrong dann begriff, warum dieser verschworene Club den Antikorruptionsbeauftragten bei ihren Gesprächen überhaupt zugelassen hatte, da erkannte sie auch das Thema für ihr neues Buch: Die betroffenen Minister gehörten der Ethnie der Kikuyu an, ebenso wie der Staatspräsident Kibaki - und John Githongo war auch ein Kikuyu. Deshalb also waren sich die Betrüger sicher, dass von Githongo nichts zu befürchten war: im State House von Kenia galt die Stammessolidarität. Michela Wrong skizziert das Prinzip "Jetzt sind wir dran!" so:

    Seit der Unabhängigkeit hatten die verschiedenen Ethnien in Kenia es sich zur Gewohnheit gemacht, sich auf die Stammessolidarität zu berufen, wenn sie das haarsträubende Ausmaß beschönigen wollten, in dem sie sich selbst bereicherten: "Was tun wir alles für euch, Brüder"!

    Githongo hielt von dieser falschen Solidarität jedoch nichts. Er trug seine Erkenntnisse nach und nach dem Präsidenten vor, den er für integer hielt. Bis ihm einmal dezent mitgeteilt wurde, der Geheimdienst könnte ihm "etwas in den Tee geben". Githongo begriff, dass er sich mit seinen Untersuchungen in Gefahr gebrachte hatte und zog nach London. Dort strukturierte er die Beweise und machte im Jahr 2006 die Anglo-Leasing–Affäre publik. Es ging dabei auch um die sogenannte Mount Kenia Mafia, ein Kikuyu-Netzwerk, das - nach Githongos später Erkenntnis - hinter den Kulissen die Fäden zog. Das war damals ein Hauptthema der Journalistin Wrong, und sie beobachtete merkwürdige Vorgänge. In den internationalen Medien stieg die Welle der Empörung nur sehr mäßig an, und Githongos Kampagne in Kenia forderte massive Gegenkampagnen der Regierung heraus. Die waren offensichtlich effektiver: Ein Jahr nach der Anglo Leasing-Korruptionsaffäre trat Kibaki seine zweite Amtszeit als Staatspräsident an, nach einer Wahl mit Hunderten von Toten, doch im Mai 2007 vergab die UNO sogar den Public Service Award an Kenia. Für Michela Wrong war das der Gipfel des Skandals:

    Eine Regierung, deren wichtigste Minister und ranghöchste Beamte gemeinsam bis zu 750 Millionen Dollar an öffentlichen Geldern veruntreut hatten, wurde dafür ausgezeichnet, dass sie "Transparenz, verantwortliche Regierungsführung und Bürgernähe im Öffentlichen Dienst" verbessert habe.

    Die Autorin betrachtet diese merkwürdige Auszeichnung als Beweis dafür, dass man im globalen System der Entwicklungspolitik gar kein Interesse daran hat, afrikanische Korruptionsskandale aufzudecken. Denn - das hat die historisch versierte Bürgerin der ehemaligen Kolonialmacht Kenias gut im Blick – selbst wenn es in Nairobi zu Unterschlagungen im großen Stil kommt, stehen Konsequenzen bei der Vergabe von Entwicklungshilfe nicht zur Debatte. Kenia gilt international als das Musterland afrikanischer Entwicklung, und wem könnte man noch Mittel in die Hand geben, wenn sie sogar in Kenia der Korruption zum Opfer fallen? Ums Geldvergeben aber geht es hier. Das von Tony Blair gegründete britische Entwicklungsministerium zum Beispiel hat in den letzten zehn Jahren seinen Afrika-Etat bereits vervierfacht. Folgerichtig werden dort Karrieren gemacht, indem man viel Geld in Umlauf bringt und die Augen vor den unerquicklichen Fakten verschließt. Und auch die von der Autorin genau beobachteten Landesdirektoren der Weltbank genießen in ihrem Kenia-Einsatz offensichtlich die komfortable Nähe zu den Mächtigen, anstatt ihnen kritisch auf die Finger zu schauen. Das Wegschauen also hat Methode, und deshalb war John Githongo mit seiner Jahrhundertstory kein Erfolg beschieden. Michela Wrong gleicht das Desinteresse mit ihren Mitteln aus. Ihre Geschichte von John Githongo und der Korruption in Kenia ist spannend und glaubhaft geschrieben. Sie geht vorsichtig und fair, aber entschieden an das Thema heran und erfasst es im globalen Kontext der Entwicklungspolitik. Damit ist hier eine ausgezeichnet recherchierte Fallgeschichte zu empfehlen, und zugleich ein aktuelles und lehrreiches Standardwerk zur Korruption im internationalen Maßstab.

    Michela Wrong: "Jetzt sind wird dran. Korruption in Kenia. Die Geschichte des John Githongo. Aus dem Englischen von Anna Latz. edition TIAMAT 2010, 424 Seiten, 22,00 Euro, ISBN: 978-3893201402