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Der Wirtschaft gehen die Lehrlinge aus

Immer mehr junge Leute entscheiden sich statt einer betrieblichen Ausbildung für ein Studium. Vielen Unternehmen fehlen deswegen Fachkräfte. Die DIHK fordert eine Stärkung von Ausbildungsprogrammen. Das Bundesbildungsministerium will außerdem das Potenzial von Studienabbrechern nutzen.

Von Verena Herb |
    Die Überschrift des Berufsbildungsberichts suggeriert: Alles ist in bester Ordnung, wenn es heißt: Die Ausbildungschancen sind weiterhin gut. Doch täuscht dieser Titel über die aktuelle Entwicklung hinweg: 33.000 Ausbildungsplätze blieben im vergangenen Jahr unbesetzt. Ein neuer Höchststand. Und das, obwohl laut Bilanz des Bundesinstituts für Berufsbildung 76.000 an einer betrieblichen Ausbildung Interessierte bis zum gesetzlichen Stichtag 30. September keinen Platz fanden. Diese Entwicklung beobachten Experten wie Esther Hartwich vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag DIHK durchaus mit Sorge: Dass immer mehr Unternehmen Schwierigkeiten haben, geeignete Auszubildende zu finden, liegt zum einen am demografischen Wandel, zum anderen entscheiden sich viele Jugendliche nach ihrem Schulabschluss für ein Studium statt für eine duale Berufsausbildung.

    "Dieser Trend steigt weiter an. Das heißt, sehr leistungsstarke Schüler fehlen dann wieder den Unternehmen, um ihre Ausbildungsplätze zu besetzen."

    Das deutsche System der dualen Ausbildung – also die zweiteilige Struktur von betrieblicher Ausbildung auf der einen und Berufsschule auf der anderen Seite – steht seit einiger Zeit schon unter internationaler Beobachtung. Sie gilt als ein Grund für die relativ niedrige Jugendarbeitslosigkeit hierzulande. Doch könnte sich die Situation ändern, da sich immer mehr junge Menschen für den akademischen Weg entscheiden. Die Konsequenz: Der Mangel an betrieblichen Fachkräften wächst.

    "Dass wir so einen großen betrieblichen Fachkräfteunterbau haben in Deutschland, das zeichnet uns ja auch aus im Gegensatz zu anderen Ländern, die eher auf Akademisierung setzen, deren Jugendarbeitslosigkeitsquote dann aber erheblich höher ist als bei uns. Insofern muss die Politik da ganz deutlich einen Akzent draufsetzen, dass die berufliche Ausbildung und auch Weiterbildung weiter gestärkt wird und nicht immer gesagt wird, jeder soll ein Studium beginnen. Damit ist weder den Menschen noch den Unternehmen geholfen."

    Große Kritik gibt es zudem im Bezug auf die schulischen Übergangsmaßnahmen. Zwar ist die Zahl der Jugendlichen, die nach ihrem Schulabgang von der Bundesagentur für Arbeit in diesen Maßnahmen untergebracht werden, seit 2005 stetig gesunken. Doch nach wie vor sind es zu viele, die dort ihre Zeit vergeuden. Es sei eine Fehlsteuerung im deutschen System, findet Esther Hartwich:

    "Hier sollte stärker drauf geachtet werden, dass ausbildungsreife Jugendliche direkt in einen Betrieb kommen und nicht in Maßnahmen erst mal versauern. Und das nicht ausbildungsreife Jugendliche mit betrieblichen Maßnahmen fit gemacht werden."

    Nach Aussage der Bundesregierung wurde dieses Problem bereits erkannt, erklärt Markus Fels, Sprecher des Bundesbildungsministeriums. So haben sich beim letzten Ausbildungspakt 2010 die Partner bereits darauf verständigt, schulische Übergangsmaßnahmen zurückzufahren.

    "Die Priorität liegt eindeutig dabei, die betrieblichen Ausbildungs- oder Einstiegsqualifizierungen zu bevorzugen. Da gibt´s noch gewissen Optimierungsbedarf. Aber da sind sich eigentlich alle einig, dass man diesen Weg verstärkt gehen will."

    Bildungsministerin Johanna Wanka will zudem versuchen, das Potenzial von Studienabbrechern zu nutzen – so Sprecher Markus Fels weiter:

    "Deswegen streben wir an, dass man die Qualifikation, die Studenten während ihres Studiums erworben haben, anerkennen lassen kann auf bestimmte Inhalte, die man während einer Ausbildung erbringen muss. Zum Beispiel um die Ausbildungszeit zu verkürzen und schneller zu einem Abschluss zu kommen."

    Dazu plant die Bundesregierung Pilotprojekte. Konkrete Pläne dazu gibt es aber noch nicht.