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Der Zauber eleganter Dekadenz

Der amerikanische Maler John Singer Sargent (1856-1925) imitierte den Stil französischer Impressionisten und lieferte dem venedigverliebten Bürgertum Ansichten der Lagunenstadt, die sehr gefällig waren. Eine Auswahl der impressionistischen Stadtporträts sind nun im Museo Correr in Venedig zu sehen.

Von Thomas Migge |
    "Das Gemälde mit dem Salon Barbaro habe ich sehr verehrt. Ich habe nur wenige Bilder von Sargent gesehen, die ich so gern besessen hätte", schrieb der Schriftsteller Henry James über eines der bekanntesten Werke des amerikanischen Malers John Singer Sargent, "An interior in Venice", von 1898. Zu sehen ist ein großer barocker Saal im venezianischen Palazzo Barbaro mit einem elegant gekleideten Paar.

    Paläste und ihre schmucken Salons, das sind einige der bevorzugten Sujets Sargents in Venedig, weiß Richard Ormond, Kurator der Sargent-Ausstellung im Museo Correr:

    ""Sargents kam zum ersten Mal 1879 nach Venedig. Als Freund der Bostoner Familie Curtis war er Gast in deren Palast und verliebte sich Hals über Kopf in diese Stadt. Mit einer Gondel ließ er sich durch die Kanäle fahren, immer auf der Suche nach Motiven. Auch wenn Sargent ganz Europa bereist hatte, blieb Venedig die Traumstadt dieses Kosmopoliten. Venedig veränderte sein Leben"."

    Rund ein Drittel aller Gemälde von John Singer Sargent, die die Lagunenstadt als Sujet haben, 55 an der Zahl, werden jetzt in Venedig gezeigt. Es handelt sich um die vielleicht schönsten und intimsten Darstellungen Venedigs, die der Künstler schuf. Bilder, die nachweisen, dass der als Porträtmaler berühmt gewordene Amerikaner auch ein Meister der impressionistischen Stadtdarstellung war.

    Sargent gehörte zu jenen mondänen Künstlern die, wie auch Lenbach und Boldini, einen marktgerechten Kompromiss zwischen impressionistischem Naturalismus und gesellschaftsfähigem Traditionalismus gefunden hatten, meint der in Italien lebende Kunsthistoriker John Nolson:

    ""Er war ein Anhänger der impressionistischen Malerei, die er in Paris kennengelernt hatte. Wie alle großen Modemaler seiner Zeit war diese Stadt sein Mekka. Mit seinen Eltern siedelte er 1874 nach Paris um, wo er Malunterricht nahm und später zu einem engen Freund seines Vorbildes Claude Monet wurde. Sargent imitierte die Impressionisten. Er reflektierte ihre Vision von der Welt"."

    Vor allem in Venedig. John Singer Sargents Venedigbilder sind leicht verschwommene Darstellungen von Kanälen und Palästen, von Kirchen und kleinen Plätzen, von Innenräumen, die ausschließlich durch natürliches Licht von außen beleuchtet sind. Bilder, wie sie das gehobene und venedigverliebte Bürgertum um die Jahrhundertwende liebte. Sargent malte ihr Ambiente und ihre Sicht der Lagunenstadt - befreit von allem, was häßlich oder sonstwie störend sein könnte. Dazu Ausstellungskurator Richard Ormond:

    ""Venedig öffnete Sargent die Augen. Wie viele Amerikaner seiner Zeit fühlte er sich vor allem von der eleganten Dekadenz dieser Stadt angezogen, die ja auch auf viele Europäer, wie Thomas Mann, der hier seine Erzählung 'Der Tod in Venedig' ansiedelte, oder Richard Wagner eine ungeheure Faszination ausübte. Sargents Venedigbilder geben diese morbide, aber auch lässige Dekadenz auf eine ganz besondere Art wieder. Sargent kam immer wieder nach Venedig"."

    Sarget besaß einen ausgeprägten Sinn für malerische Effekte. Sein Gemälde "Corner of the Church of San Stae" von 1913, das nur einen Teil der barocken Fassade der Kirche San Stae zeigt, mit dem Bürgersteig, einem Nebenhaus und einem Boot, ist wie ein Bühnenbild ausgeleuchtet. Dieses wie auch die meisten venezianischen Außenansichten Sargents sind ungemein szenisch gehalten. Ein Stil, der vor allem beim begüterten amerikanischen Publikum der Ostküste sehr ankam - weshalb auch die meisten der jetzt in Venedig zu sehenden Gemälde aus amerikanischen Privatsammlungen kommen und zum ersten Mal überhaupt in Europa zu sehen sind.

    Der Zeit seines Lebens selbstkritische Künstler tadelte sich später, vor seinem Tod, für seinen Malstil. Er hatte erkannt, und das nicht zu Unrecht, dass es den meisten seiner Werke an einer echten Komposition mangelt, dass viele Darstellungen vor allem durch gefällige und kunstvolle Arrangements überzeugen. Auch heute noch. Sie üben einen ganz besonderen Reiz auf den Betrachter aus, entführen sie ihn doch in das Venedig des eleganten und mondänen Fin de siecle, in eine Stadt, die schon lange nicht mehr existiert.