Archiv


Der Zaun von Eagle Pass

Im Südwesten von Texas geht es vielen Einwohnern vor den Präsidentschaftswahlen im November zwar auch um die Wirtschaft oder die Gesundheitspolitik, doch vor allem beim Thema Einwanderung und Grenzsicherung hören sie genau hin. Anders als im Landesinneren sind hier die meisten Menschen gegen Pläne aus Washington, über weite Strecken der Grenzen einen Zaun zu bauen, um vor allem illegale Immigration zu vermeiden. Hier sagen sie nicht Zaun, hier sagen sie Mauer. Sharon Navarro ist Politologin an der University von Texas in San Antonio:

Von Klaus Remme |
    Die Menschen an der Grenze wissen, eine Mauer ändert nichts. Die Immigranten finden schon einen Weg drum herum, meint sie und außerdem leben die Menschen hier seit Ewigkeiten mit der Grenze, es ist kein Thema, bis die Politiker eines daraus machen.

    Und die Politik hat ein Thema daraus gemacht. Zwölf Millionen Illegale in den USA und die latente Angst vor Terror, Drogen und Kriminalität sind die Ursache für Zäune, Mauern, Kameratürme, Flutlichtanlagen und massive Grenzkontrollen entlang der 3000 Kilometer langen Grenze zwischen Mexiko und den USA. Gut tausend Kilometer Zaun sind geplant, knapp die Hälfte steht bereits. Der Protest vieler Grenzstädte dauert an.

    Zwei Autostunden westlich von San Antonio liegt Eagle Pass, ein Städtchen mit 30.000 Einwohnern direkt am Rio Grande. Chad Foster ist Bürgermeister hier. Es gibt nicht viele, die auf einem Foto neben Arnold Schwarzenegger stattlich aussehen, doch für Foster ist das kein Problem. Mit seinen zwei Metern, Jeans, Schnäuzer und Stetson Hut, den er auch im Büro nicht ablegt, ist Foster Bilderbuch-Texaner. Eagle Pass ist die erste Kommune, die vom Heimatschutzministerium verklagt wurde weil sich die Stadt angeblich den Plänen zur Sicherung der Grenze widersetze. Für Bürgermeister Chad Foster purer Unsinn. Doch mit seiner Meinung über den Zaun hält er nicht zurück. Ein Schande sei das, sagt er, und erinnert an Präsident Reagan und seinen Aufruf vor der Berliner Mauer:

    "Auch wenn ich noch nie da war, ich weiß, viele Deutsche haben damals ihr Leben riskiert."

    Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg:

    Für Foster ist der Zaun eine wertlose Überreaktion an der falschen Stelle. Eine Art sichtbare Beruhigungspille für die Bevölkerung im Landesinneren. Der größte Teil der Drogen wird über reguläre Wege eingeführt, Häfen, Flughäfen, Schiene, Straßen. Die Terroristen des 11. September kamen nicht etwa illegal, 40 Prozent der illegalen Einwanderer reisen regulär ein, mit einem Besuchervisum und bleiben dann einfach. Ein Zaun wird an alldem nichts ändern. Und der Eindruck, die offene Grenze führe zu mehr Kriminalität sei auch falsch.

    El Paso an der Grenze gehört zu den sichersten Städte in den USA und wir hier in Eagle Pass hatten den letzten Mord vor zehn Jahren, sagt Foster. Foster ist wütend. Wenn Politiker aus Washington die Grenze sehen wollen, dann in der Regel in San Diego, warum? Er glaube, weil das die einzige Nonstop-Flugverbindung an die Grenze sei. Und weiter:

    Es gibt Kongressabgeordnete, die wären nicht in der Lage den Rio Grande auf einer Karte zu finden, schnaubt Foster und winkt ab. Kommen Sie, sagt er, wir fahren an die Grenze.

    Wir fahren die Hauptstrasse entlang und schauen wenig später auf den Fluss. Der historische Rio Grande, an dieser Stelle dauert es wenig mehr als drei Minuten um herüberzuschwimmen, sagt Foster. Rechts und links Kameratürme, und wie schon auf den letzten Kilometern vor der Stadt viele offizielle Fahrzeuge. Polizei, Grenzschutz, Drogenfahnder, sie sind alle hier, bestätigt der Bürgermeister.

    Wir fahren am Flussufer entlang, und Foster weist auf farbige Holzpflöcke, mitten auf dem Weg, die haben sie in der letzten Woche erst eingeschlagen, hier soll der Zaun hin. Wie soll das Vieh ans Wasser kommen? Wie soll ich mein Land bewässern, brauche ich dafür jetzt einen Pass, fragt er und die Versuchung, die Pflöcke in Grund und Boden zu fahren ist spürbar. Doch der Bürgermeister zügelt sich und knurrt, darum kümmern wir uns, wenn es dunkel wird.
    Tony besitzt ein Restaurant in Eagle Pass. Gut 20 Hektar am Fluss gehören der Familie seit vielen Jahren. Der Zaun soll mitten hindurch laufen.

    "Sie schlagen schon Pflöcke ein und wir haben noch keine Ahnung ob und wie wir kompensiert werden."

    Außerdem, sagt er und schüttelt den Kopf. Sie wollen immer nur Bruchstücke bauen. Bei mir endet der Zaun zum Beispiel mitten auf dem Grundstück. Wer immer kommt, kann einfach drum herumlaufen. In der Tat wird der Zaun nur an Stellen gebaut, die für strategisch wichtig gehalten werden. Es geht den Behörden nicht um lückenlose Kontrolle. Auch das die meisten Illegalen mehr oder weniger mühelos über den Zaun klettern können, ist kein Unfall. Die Illegalen sollen beim Grenzübertritt nur so lange aufgehalten werden, bis die Grenzschützer da sind. Und dafür 46 Milliarden Dollar über 20 Jahre, zitiert Foster amtliche Schätzungen. Für den stolzen Texaner kommt ein weiterer Aspekt hinzu:

    "Die Grenze ist durch die Flussmitte klar definiert. Mit dem Zaun geben wir Land auf, für das unsere Väter und Großväter gekämpft haben und das passt uns nicht."

    Foster vertritt die Meinung der meisten in Eagle Pass. Viele haben Angst vor einem wirtschaftlichen Niedergang. Die Stadt lebt von Piedras Negras auf der anderen Seite in Mexiko, mit 200.000 Einwohnern siebenmal so groß. Viele haben Verwandte wenige Kilometer entfernt jenseits des Rio Grande. Rudolfo Barrera war vor Chad Foster Bürgermeister in Eagle Pass. Er regt sich vor allem über angebliche Sicherheitslücken und Bedrohungen durch Terroristen auf.

    Wo kamen die denn her, fragt er, die kamen von Kanada ins Land, und was passiert an der Grenze? Nichts, kein Zaun, kein Zaun in Kanada.