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Der Zeitgeist von 1993

Das Jahr 1993 ist im Vergleich zu den Jahren wie 1933, 1968 oder 1989 eher unauffällig. Das New Museum in New York stellt dennoch diese Zeitspanne in den Fokus einer Ausstellung, zeigt Werke von 75 Künstlern und hinterfragt, was heute noch davon relevant ist.

Von Christian Lehner | 20.03.2013
    1993 war für mich, so wie für viele Anfangzwanziger, in erster Linie ein aufregendes Musikjahr. Grunge war groß, Hip-Hop im Kommen und Techno revolutionierte die Popmusik. All diese Genres begehrten noch einmal so richtig auf, forderten ihren Platz und ließen es krachen. Dann kam die Digitalisierung und zerstreute die Popmusik in alle Winde. 1993 konnte man Musik noch angreifen!

    "Experimental Jet Set, Trash and No Star" – lautet der Untertitel der Ausstellung im New Museum. Den Namen haben sich die Kuratoren bei der Band Sonic Youth ausgeliehen. Es ist der Titel des achten Albums der New Yorker Independent-Band. In den Songs geht es um Authentizität, Kommerz und Sell Out – alles Themen, die anno 1993 die Kunstwelt beschäftigten. Fotos der Künstlergruppe Art Club 2000 zeigen Männer in Grunge-Klamotten der Textilkette The Gap.

    "Man sieht die Gruppe am Times Square posieren. Die Jungs wirken cool und individuell. In Wahrheit haben sie aber exakt das Gleiche an, den Grunge-Stil von der Stange. 'Du bist einzigartig, was Besonderes', das haben uns die Modeketten versprochen. Das ist natürlich Unsinn und der Art Club 2000 hat das mit seinen Fotoserien aufgedeckt. Die Bilder wirken heute zwar banal, aber die Statements sind noch immer gültig."

    Was haben wir diskutiert in den 90ern. Man vergaß regelrecht das Studium und die Arbeit vor lauter reden. Der Zeitgeist taufte uns "Slacker" oder "Generation X". Hoch verbildet, aber zu keiner Entscheidung fähig! Kein Wunder, der Kalte Krieg war zu Ende. Anstelle von Gut vs. Böse, hier oben und da drüben, trat etwas Neues: eine globale, vernetzte und hybride Welt.

    "Es war eine sehr konfliktreiche Zeit. Das Persönliche rückte in den Mittelpunkt, wurde Gegenstand politischer Reflexion. Alle waren auf der Suche nach ihrer Identität. Heute ist das anders. Mit Facebook und YouTube ist das Konstrukt der Identität flüssiger und auch flüchtiger geworden."

    Wie aktuell 1993 noch immer ist, zeigt der politische Teil der Schau. Die Künstlerin Cady Noland hat aus einer amerikanischen Flagge ein Folterwerkzeug kreiert. Im selben Raum hängt Gabriel Orozcos Foto vom World Trade Center mit einem Schutthaufen davor. Der erste Anschlag auf die Zwillingstürme im Februar 1993 lieferte einen Vorgeschmack auf den globalisierten Terror. Und es war auch 1993, als Bill Clinton mit der Deregulierung der Finanzmärkte den Grundstein für die Finanzkrise 2008 legte.

    "NYC 1993: Experimental Jet Set, Trash and No Star” beschränkt sich auf Exponate aus diesem einen Jahr, trifft aber den Zeitgeist der ganzen Dekade. Zu sehen sind im New Museum noch bis Ende Mai Exponate von 75 Künstlern – darunter Cindy Sherman, Larry Clark und Matthew Barney. Besuchen Sie, wenn sie alt genug sind, ein Stück wohl auch Ihrer Vergangenheit. Sie werden staunen, wie aktuell sie noch immer ist.

    "1993 war ein Jahr der großen Veränderungen. Vieles ist zu Ende gegangen und viele Dinge haben begonnen. Die Schau will die Dynamik dieser Umbrüche vermitteln und ich glaube, das ist uns ganz gut gelungen."