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Der Zensor liest mit

Wie lässt sich das Informationsgefälle zwischen Nord und Süd überwinden und was kann man tun, damit auch die Bevölkerungen Afrikas, Asiens, der arabischen Welt intensiv an den global vernetzten Informationen teilhaben? Das sind nur einige Fragen, die beim Weltinformationsgipfel in Tunis auf der Tagesordnung stehen werden. Doch gerade Tunesien ist ein Land, in dem es krasse Gegensätze zwischen Fassade und Innenleben gibt, das bekommen Journalisten täglich zu spüren.

Von Marc Thörner | 15.11.2005
    Kaum ist die Sonne untergegangen, da lassen sich im Stadtzentrum von Tunis Tausende von Vögeln in den Bäumen nieder. Das Stimmengewirr gleicht einer nie versiegenden Kommunikation – eine Geräuschkulisse wie bestellt für den UNO-Weltgipfel der Informationsgesellschaft:

    "Wir Tunesier sind stolz darauf, dass wir Gastgeber für einen Gipfel sein dürfen, der sich mit einem so zukunftsträchtigen Thema wie der Informationsgesellschaft befassen wird, mit Fragen der Hochtechnologie, des Internet, mit dem Problem des Informationsgefälles zwischen Nord und Süd. Wir Tunesier betrachten das als eine Anerkennung dessen, was unser Land und unsere Eliten erreicht haben, in wirtschaftlicher, sozialer und wissenschaftlicher Hinsicht. "

    ... sagt Moncef Boudscha, Direktor der regierungsnahen Zeitung 'Le Renouveau’. Wie lässt sich das Informationsgefälle zwischen Nord und Süd überwinden; was kann man tun, damit auch die Bevölkerungen Afrikas, Asiens, der arabischen Welt intensiv an den global vernetzten Informationen teilhaben; wie lässt sich das de-facto-Monopol aufbrechen, das US-Gesellschaften bei der Verwaltung des weltweiten Daten-Netzes aufrechterhalten? Fragen, die von morgen an in Tunis auf der Tagesordnung stehen werden. Berichterstatter, die sich über die Organisation dieses bedeutsamen Ereignisses informieren möchten, sehen sich allerdings mit einer unerwarteten Situation konfrontiert, meint Ian Hamel, Reporter des französischen Magazins 'Le Point’.

    "Was mich erstaunt bei diesem Weltgipfel der Information, ist, dass man keinen offiziellen Gesprächspartner in Tunis findet. Am Anfang hieß es: 'Der Präsident persönlich wird Ihnen Rede und Antwort stehen.’ Tatsächlich habe ich dann keinen einzigen tunesischen Funktionsträger gefunden, der bereit wäre, etwas zu sagen. Ich meine, schließlich geht es ja um wichtige Fragen: Werden die Amerikaner das Internet weiter dominieren oder kommt man zu anderen Strukturen? Wie sehen das die Tunesier? – Völlige Funkstille. Ich werde langsam verrückt. Antwortet mir! Sagt wenigstens: Mist, wir wollen uns dazu nicht äußern. Aber sagt etwas! "

    Statt Informationen zu erhalten, merken in Tunis akkreditierte Journalisten nach spätestens einem Tag, dass sie selbst zu Objekten der Informationsgewinnung werden. Wann immer man in den Rückspiegel seines Fahrzeugs blickt, steht immer dasselbe Auto hinter einem – wie sich am Nummernschild unschwer erkennen lässt.

    Souhyar Belhassen, Vizepräsidentin der Liga für Menschenrechte, hat sich an die tagtägliche Überwachung gewöhnt. Jeder in nur etwas herausgehobener Stellung habe in Tunesien seine Beschatter.

    "Man hat nun einmal 'sein’ Auto, man hat nun einmal 'seinen’ Polizisten. Ich habe immer wieder versucht, die Typen nach ihren Papieren zu fragen, nach ihrer Legitimation. Wer beweist mir denn, dass sie Polizisten sind, wer gibt ihnen das Recht, zu tun was sie tun? Genau genommen liefern sie nur einen wirklichen Beweis für ihre Legitimation: Gelegentlich verprügeln sie dich. Und wenn man dann Anzeige erstattet, verfolgt die Justiz die Sache niemals weiter. "

    Nur wenige Länder der Welt weisen so krasse Gegensätze zwischen Fassade und Innenleben auf wie Tunesien. Wer unter den zahlreichen Touristen, die über die Avenue Bourgiba schlendern, den Korso im Zentrum von Tunis, käme darauf, dass – statistisch gesehen – jeder Zehnte unter den tunesischen Flaneuren für die Polizei arbeitet? Aus dem orientalischen Gassengewirr der Medina führt die Allee in die Neustadt, die koloniale Ville Nouvelle, die inzwischen um ein paar modernistische Bauten aus Glas und Beton erweitert wurde. Wie in einem Themenpark lässt sich entlang der Straße die Entwicklung des Maghreblandes nachvollziehen – wie auch die Grundideen des Staatsgründers Bourgiba. Der an der Pariser Sorbonne ausgebildete Anwalt, hatte es sich zum Lebensziel gesetzt, die Tunesier vom Obskurantismus der Tradition in einen modernen Staat zu führen. Trennung von Staat und Religion. Weitgehende Gleichberechtigung für die Frauen. Europäisch statt islamisch geprägte Familiengesetze – das war das Programm, mit dem der "tunesische Atatürk" 1956 sein Amt antrat. Demokratie stand nicht auf der Agenda. Sinnfällig endet die Avenue Bourgiba am Platz des 7. November 1987 – das war der Tag, an dem der greise und inzwischen senil gewordene Modernist von seinem General Ben Ali entmachtet wurde. An diesem Tag wurde Tunesien sozusagen zum zweiten Mal gegründet, meint Moncef Boudscha, der Chef der Tageszeitung 'Renouveau’, dem Zentralorgan von Präsident Ben Alis Partei RCD:

    "Am siebten November 87 war der bewaffnete Arm der tunesischen Islamisten drauf und dran, die Macht zu übernehmen. Die Islamisten wurden am 8. November verhaftet, am Tag nachdem Präsident Bourgiba wegen Senilität des Amts enthoben worden war. Dadurch wurde das Land vor einer Katastrophe bewahrt. Damals waren die Staatskassen leer. Und heute? Heute sind wir ein Land, das seit Jahren ein Wirtschaftswachstum von fünf Prozent aufweist. Ein Land, das sich mit Riesenschritten entwickelt, modernisiert, sich demokratisiert, heute haben wir Pluralismus in unseren Institutionen! "

    Die Theorie vom geplanten Staatsstreich der Islamisten halten tunesische Oppositionelle für eine Schutzbehauptung, für einen künstlich erzeugten Mythos. In Wirklichkeit sei es allein um eines gegangen: General Ben Ali die internationale Anerkennung für seine Machtübernahme zu verschaffen. Von Pluralismus und Demokratie könne kaum die Rede sein, meint Najib Chebbi, Vorsitzender der oppositionellen PDP, der sozialdemokratisch orientierten 'Partei des Demokratischen Fortschritts’:

    "Wir haben heute sieben politische Parteien. Die Regierungspartei RCD, die schon seit 46 Jahren an der Macht ist und sechs Parteien der "legalen" Opposition. Fünf dieser Oppositionsparteien sitzen im Parlament, eine ist draußen, und das ist unsere. Der Grund ist einfach. Sämtliche Dienststellen der Verwaltung arbeiten im Auftrag der Machthaber, und deshalb fährt die Regierungspartei bei allen Wahlen Ergebnisse zwischen 91 und 98 Prozent ein. Sobald man anfängt, eine substanzielle Oppositionsarbeit zu machen, mit anderen Worten: sobald man anfängt, seine verfassungsmäßigen Rechte wahrzunehmen, wird man kriminalisiert und die Regierenden beginnen, einen strafrechtlich zu verfolgen. "

    Genug ist nun genug, meint Najib Chebbi. Gerade weil Tunesien über eine vergleichsweise stabile Wirtschaft verfüge; gerade weil die Analphabetenrate gering, die Bevölkerung gut ausgebildet sei; gerade weil sich eine Mittelklasse entwickele, sei es Zeit, Demokratie und Meinungsfreiheit zuzulassen. Mit dieser Forderung steht der Nestor der tunesischen Opposition nicht alleine. Zusammen mit sieben anderen bekannten Vertretern der tunesischen Zivilgesellschaft, ist er vor gut zwei Wochen in den Hungerstreik getreten: Führer oppositioneller Parteien sind ebenso dabei wie die Vorsitzenden der unabhängigen Journalistengewerkschaft und der unabhängigen Vereinigung der tunesischen Richter. Anlässlich des Weltinformationsgipfels wollen sie auf die dramatische Lage der Menschenrechte in Tunesien aufmerksam machen: Systematische Folter. Polizeiwillkür. Nicht die Spur von Pressefreiheit. In einer Anwaltskanzlei in einem der heruntergekommenen Kolonialbauten aus der Franzosenzeit, kauern die acht in kahlen Räumen auf Matratzen, empfangen Sympathisanten und geben Interviews, telefonieren mit den Unterstützerkomitees, die sich allmählich in ganz Tunesien zu bilden beginnen.

    "Il y a une vingtaine de policiers qui empêchent l’accès à ta maison à qui que se soit, a part toi? Il t’a agressé? Au bout d’une heure et demie, ils ont demandé à l’un de tes voisins de t’agresser sous prétexte que vous êtes en train de gêner l’ordre publique…?"

    Die Hungerstreikenden seien entschlossen, ihre Aktion so lange fortzusetzen, bis der Staat ein Zeichen des Einlenkens zeige, sagt Mokhtar Yahiaoui, Vorsitzender der unabhängigen Vereinigung der Richter:

    "Es ist zwar eine Ehre für uns, dass unser Land den Weltgipfel zur Informationsgesellschaft organisieren darf. Es entehrt uns aber, dass dieser Gipfel stattfindet, ohne dass den Bürgern dieses Landes ein Minimum an Freiheit zugestanden wird. Unsere Forderung ist einfach: Wir verlangen Meinungsfreiheit, Vereinigungsfreiheit, also das Recht, sich zu bestimmten Zwecken und Zielen zusammenzuschließen, und die Befreiung der politischen Gefangenen. "

    Unter dem Vorwand, den weltweiten Terror zu bekämpfen - so der Vorwurf der Hungerstreikenden - bekämpfe der tunesische Staat in erster Linie die Demokratie. Unter den politischen Gefangenen seien nicht nur rund 500 mit islamistischem Hintergrund, sondern auch viele, die sich erlaubt hätten, das Regime von Präsident Ben Ali zu kritisieren. Und in den Gefängnissen werde systematisch gefoltert, sagt die Anwältin Radhia Nasraoui, die sich an diesem Tag aus Solidarität zu den Hungerstreikenden begeben hat. Bereits im Januar 2000 habe die UNO Tunesien wegen der Folter verurteilt. Weil die tunesische Regierung auch nach den Vorhaltungen der UNO ihre Praktiken nicht geändert hat, wollte die Anwältin im letzten Jahr die Gründung eines Vereins zur Bekämpfung der Folter anmelden.

    "Am 8. Juni 2004 haben wir uns vor dem Gouverneurssitz von Tunis zusammengefunden, um den Beamten dort den Antrag auf Gründung eines Anti-Folter-Vereinigung zu überreichen. Die Polizei ist unverzüglich auf uns losgegangen und hat uns verprügelt. Auf mich allein sind siebzehn, achtzehn Polizeibeamten eingestürmt und haben mich durch die Straßen geschleift. Dann haben sie mich in eine menschenleere Ecke bugsiert und mich dort so lange festgehalten, bis irgendjemand ihnen den Befehl gegeben hat, mich wieder loszulassen. "

    Angesichts der unnachgiebigen Haltung der tunesischen Regierung, sieht nun auch die Anwältin kein anderes Mittel mehr, als durch eine öffentlichkeitswirksame Aktion auf die Lage der Menschenrechte in Tunesien aufmerksam zu machen. Und kurz vor Beginn des UNO-Gipfels beginnt die Staatsmacht zusehends, Nerven zu zeigen.

    "Die Regierungspartei verhehlt nicht, dass sie gegen diese Aktion ist. Wir denken, dass es sich dabei um eine Strategie handelt, um den UNO-Gipfel von seinen weltumspannenden Zielen abzulenken. Diese Oppositionellen werden von gewissen ausländischen Nichtregierungsorganisationen unterstützt, Gruppen, denen es nur darum geht, den Gipfel in einen Anti-Tunesien-Gipfel umzumodeln. "

    ... empört sich Moncef Boudscha von Le Renouveau, dem Zentralorgan des Präsidenten. Auch das Konzept der Regierungspartei sehe schließlich Demokratie und Meinungsfreiheit vor. Aber mit diesen Werten müsse man verantwortlich umgehen.

    "Um die Demokratie in Tunesien zu verankern, muss erst einmal die Wirtschaft funktionieren, muss die soziale Situation entsprechend gefestigt sein. Wir haben doch die Erfahrung in anderen arabischen Staaten gesehen: Dort, wo die Wirtschaft darnieder liegt, wo die sozialen Voraussetzungen nicht gegeben sind, dient die Demokratie allein den Islamisten. Wenn wir uns auf einen bloßen Pluralismus um des Pluralismus willen beschränken, auf einen Fassadenpluralismus, wenn wir eine Demokratie um ihrer selbst willen einführen würden, dann wäre das so, als würden wir das Land den Islamisten auf einem Silbertablett überreichen. "

    In dieser Haltung wird das tunesische Regime von europäischen Wirtschaftslobbys unterstützt, die seit Jahren enge Fäden zwischen den EU-Regierungen und dem Regime Ben Ali knüpfen. Zurecht, meint Walter Englert Vizepräsident der deutsch-tunesischen Gesellschaft und stellvertretender Vorsitzender des Afrikavereins der deutschen Wirtschaft:

    "Ich denke, dass Tunesien langfristig mit einer soliden wirtschaftlichen Grundlage auf dem richtigen Weg ist. Wirtschaftliche Grundlage heißt auch: Grundlage für eine spätere ausgewogene und innenpolitisch stabile Entwicklung. Ich persönlich erinnere mich immer an eine Aussage meines Professors, wie lang Entwicklungen in Europa gebraucht haben und dass wir nicht die gleichen Zeitmaßstäbe in Schwellen- und Entwicklungsländern mit einem anderen kulturellen Hintergrund anlegen können, aber doch etwas Geduld haben müssen. Und ich bin der Meinung, dass sicherlich dort, und auch bei der guten Bildung, die im Land herrscht, es auf eine Form der gesellschaftlichen Mitbestimmung hinausläuft, die dem tunesischen Bürger, Staat angemessen erscheint. "


    Bouchra Bel Haj Hamida von der Demokratischen Tunesischen Frauenunion, einer Nichtregierungsorganisation, kennt diese Argumentation zur Genüge. Aber die Geduld, die Nachsicht der Europäer in Fragen der Menschenrechte, hält sie für kontraproduktiv.

    "Was mich an der europäischen Sichtweise stört, ist folgendes: Man meint, wir sollten alle glücklich und zufrieden sein, dass wir es zu enormen Errungenschaften gebracht haben: Verheiratete Frauen dürfen ohne Zustimmung ihrer Ehemänner das Land verlassen, die Frauen gehen zur Schule, zur Universität, sie haben ihren Platz im öffentlichen Leben, Tunesien bereitet dem Westen keine Probleme, hier lässt sich ein bisschen investieren, es gibt keinen Terrorismus. Die Frage, die dahinter steht, ist: Mit welchen Augen betrachtet uns der Westen eigentlich? Sind wir keine Menschen? Das Problem ist: Wenn der Staat fortfährt, unsere politischen Freiheiten zu beschneiden – sofern wir überhaupt noch welche haben –, dann werden sich die Leute aus Verzweiflung immer mehr dem religiösen Extremismus zuwenden. Mir jedenfalls macht es Angst, dass nach den Anschlägen des 11. September die meisten Leute hier sich Bin Laden mehr verbunden fühlen als Bin Ladens Opfern. "

    Beim bevorstehenden UNO-Informationsgipfel dürfte der Gastgeber, Präsident Ben Ali, seine Forderung nach einem Solidaritätsfond wiederholen: Die reicheren Staaten, so sein Vorschlag, könnten Geld in eine gemeinsame Kasse einzahlen, aus der die ärmeren den Aufbau ihrer Internetsysteme finanzieren. Schon beim Vorbereitungstreffen zum Gipfel in Genf haben die Europäer sich in dieser Hinsicht allerdings reserviert gezeigt. Und noch ein zweites Thema liegt dem Gastgeber am Herzen. Moncef Boudscha, Direktor von Le Renouveau:

    "Bei der Internetnutzung müssen bestimmte Rahmenbedingungen gewährleistet sein. Das heißt, die Länder des Südens müssen an der Verwaltung des Internet beteiligt werden, damit sie es an ihre jeweilige Situation anpassen können. Die Wichtigkeit der Internetkontrolle ist ja inzwischen weltweit erkannt. Selbst Länder wie England oder Frankreich arbeiten jetzt entsprechende Gesetze aus. Was Tunesien betrifft, so zensieren wir ausschließlich zwei Kategorien: Pornographische und islamistische Internetseiten."

    Was der tunesische Staat unter Internetkontrolle versteht, damit hat die unabhängige tunesische Journalistin Sihem Bensedrine bereits Erfahrungen gemacht. Auf einer Pressekonferenz berichtet sie von ihren Versuchen, eine Internetzeitschrift ins Netz zu stellen. Pornographie oder Islamismus habe sie nicht verbreitet. Dafür aber regimekritische Artikel.

    "Der Staat hat circa 800 Internetpolizisten nur dafür abgestellt, tagtäglich den Fluss von Informationen nach Tunesien und aus Tunesien heraus zu überwachen. Sobald der Staat von unserem Projekt Wind bekommen hatte, wurden wir alle beschattet. Ich hatte rund um die Uhr Polizisten an meiner Seite, und das galt auch für die anderen Mitglieder der Redaktion. Tunesien ist nach China Nummer zwei auf der Liste der Zensorenstaaten. Mit anderen Worten: Von hier aus konnten wir unser Projekt nicht realisieren. Das Material für jede neue Ausgabe mussten wir zunächst heimlich auf Disketten speichern. Dann mussten wir diese Disketten außer Landes schaffen und vom Ausland aus ins Netz stellen. Denn in Tunesien sind alle Zugänge überwacht. "

    Angesichts der tunesischen Haltung zum Internet sei es grotesk, meint Sihem Bensedrine, dass das Regime es sich erlaube, bei einem Weltgipfel zur Informationsgesellschaft den Gastgeber zu spielen. Dutzende seien in Tunesien wegen kritischer Äußerungen im Internet verhaftet worden. Studenten, Schüler, junge Leute, die eigene Websites einrichten wollten. Und nicht alle Fälle würden so bekannt, wie der von Mohammed Abbou. Der Rechtsanwalt wurde im Frühjahr 2005 festgenommen und zu dreieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt, weil er in einem Internet-Artikel die Haftbedingungen in den tunesischen Gefängnissen mit denen im US-Gefängnis von Abu Ghraib verglichen hatte. Sein Rechtsbeistand, Abderraouf Ayadi, hat sich den Hungerstreikenden um den Oppositionspolitiker Najib Chebbi angeschlossen:

    "Mohammed Abbous Verbrechen bestand darin, dass er kritisiert hat, wie der Staat die tunesische Justiz instrumentalisiert, um Oppositionelle zu bekämpfen. Jetzt sitzt er in einer Zelle mit vier gewöhnlichen Kriminellen, und die wurden damit beauftragt, jede seiner Äußerungen zu überwachen. Als Reaktion darauf hat er sich den Mund zugenäht. "

    Das allabendlich sich in Tunis erhebende Vogelgezwitscher… als Symbol für ein Schwellenland auf dem Weg in die weltweite Kommunikationsgesellschaft mag das noch nicht so recht taugen. Am Ende einer Woche in Tunis lungern noch immer die untersetzten Schnurrbartträger vor der Tür. Noch immer fährt dem recherchierenden Journalisten das Auto mit dem vertrauten Nummernschild hinterher. Und Ian Hamel, der Reporter des französischen Magazins Le Point, hat noch immer keinen offiziellen tunesischen Gesprächspartner zum Thema Weltinformationsgipfel gefunden. Dafür hat sich die politische Polizei für die allzu neugierigen Journalisten etwas Neues ausgedacht.

    In seinem Hotel, erzählt er, ist seit gestern das Internet gesperrt. Und Christophe Boltanski, der Sonderkorrespondent der Pariser Tageszeitung Libération, der über den Hungerstreik berichtet hatte, wurde am 11. November vor der tschechischen Botschaft in Tunis von mehreren Männern überfallen. Den Verletzten ließen sie auf der Straße liegen und machten sich mit dessen Ausrüstung davon. Ein Polizeikommissar, der später im Hotel erschien, weigerte sich, eine Anzeige aufzunehmen.