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Der Zug der Flüchtlinge
Wenn Schicksale zur Routine werden

Ein Regionalzug voller Flüchtlinge auf dem Weg nach Deutschland - ein gewohntes Bild für die Bundespolizei. Wer nicht bereits am Bahnhof im italienischen Verona auf die italienische Polizei trifft, der wird meist von den bayerischen Grenzbeamten aus dem Zug geholt. Wo anfangs noch einzelne Schicksale berührten, ist mittlerweile Routine eingekehrt.

Von Lisa Weiß | 15.07.2015
    Mann hinter Jalousie
    Im bayerischen Rosenheim ist für viele Flüchtlinge Endstation. Die Bundespolizei holt sie aus den Zügen. (dpa/picture-alliance/ Nicolas Armer)
    Der Bahnhof von Verona, neun Uhr morgens. Auf diesem Gleis soll bald der Eurocity nach München abfahren, ein paar Leute warten schon. Auch einige Flüchtlinge sind darunter, sie haben ein Ticket nach Deutschland gekauft, Plätze im Zug reserviert. Sie sind angespannt – mit Recht, wie sich zeigt. Denn die italienische Polizei kommt, kontrolliert sie - ihre Reise ist zu Ende, bevor sie angefangen hat.
    Im Zug selbst ist niemand, der auf den ersten Blick wie ein Flüchtling wirkt. Am nächsten Bahnhof steigt ein Team aus deutschen, österreichischen und italienischen Polizisten ein. Bis zum Brenner suchen sie jede Zugtoilette ab, leuchten unter alle Bänke. Jeder, der eine dunklere Hautfarbe hat, muss seinen Ausweis zeigen – sogar zwei Nonnen, die mit im Zug sind. Sie finden niemanden.
    "Das ist hier der Zug der Flüchtlinge"
    Das ist ungewöhnlich, sagt Vicenzo aus Treviso. Er fährt regelmäßig mit diesem Zug – oft sitzen hier Dutzende von Flüchtlingen:
    "Das hier ist der Zug der Flüchtlinge. Die Flüchtlinge fahren nach Österreich. Sie zahlen leider viel Geld dafür und sie haben keine Erlaubnis dafür, sie haben gar nichts. Sie hauen ab, sie laufen hierhin und dorthin, es ist eine unglaubliche Geschichte."
    Der Eurocity fährt an Innsbruck vorbei, kommt in Kufstein an, dem Grenzbahnhof zu Deutschland. Aus dem Zugfenster sehen wir, dass am Bahnsteig nebenan eine große Gruppe von afrikanischen Flüchtlingen sitzt – dort, wo der Regionalzug nach München abfährt. Wir steigen aus, stellen uns zu ihnen.
    "This is Germany Train? – Yes. – Ok, where do you get a ticket?"
    In Rosenheim ist Endstation
    Temesgen ist einer von ihnen, der junge Mann ist aus Eritrea geflohen, wo er wegen seiner Religion verfolgt wurde. In Libyen ist er zwischendurch im Gefängnis gelandet, wurde dort gefoltert. Dann ist er wie so viele andere übers Mittelmeer nach Italien gekommen, in einem völlig überfüllten Boot, er wäre fast ertrunken. Über ein Jahr war er unterwegs, jetzt ist er gut gelaunt, sie haben es fast geschafft, meint er.
    "Wir haben bisher keine Polizei getroffen, wir haben Glück gehabt. Keiner will die italienische Polizei treffen, die behandeln Migranten nicht gut. Wir sind glücklich, es läuft gut, alles ist ok."
    In Italien haben er und die anderen gehört, dass der Eurocity aus Verona oft kontrolliert wird – deshalb sind sie mit Regionalzügen unterwegs, erzählt er, als der Zug nach München losfährt. Die meisten wollen nach Deutschland, einige aber auch noch weiter nach Norden. Ein Regionalzug voller Flüchtlinge – das fällt allerdings auch der Bundespolizei auf. In Rosenheim ist Endstation:
    "Passport – Your luggage – Outside, please."
    Flüchtlingsaufgriff wird zur Routine
    Kein normaler Fahrgast darf aussteigen, die Türen bleiben zu. Temesgen und die anderen Flüchtlinge werden einzeln aus dem Zug geholt, bekommen eine Nummer, werden durchsucht – für sie ist das alles ziemlich einschüchternd, ihre Erfahrungen mit der Polizei sind meistens schlecht.
    "Something more, into your shoes? Please open it – ok, fine."
    Insgesamt 109 Flüchtlinge sind es, sagt die Bundespolizei. Ein großer Aufgriff, gerade in einem Regionalzug. Aber mittlerweile sei das Routine, leider. Für die Bundespolizei ist das alles sehr anstrengend, auch wenn die Schicksale der Flüchtlinge nicht mehr ganz so zu Herzen gehen wie früher, sagt ein Polizist:
    "Also man muss sich davon distanzieren, bei der Masse lernt man auch die einzelnen Leute gar nicht mehr kennen. Früher waren es viel weniger, da hat man die noch wirklich vernommen, man hat auch die Schicksale so richtig mitbekommen."
    Temesgen ist inzwischen in die Turnhalle der Bundespolizei gebracht worden – eine Notunterkunft. Er muss seine Fingerabdrücke abgeben, am nächsten Tag soll er in eine Erstaufnahmeeinrichtung für Asylbewerber weiterreisen. Aber jetzt fällt er erst mal wortlos auf seine Pritsche und schläft ein – er ist erschöpft.