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Der Zynismus der Macht

Beklemmend bedrohlich ist das Bühnenbild gestaltet, unerbittlich die Musik des Orchesters. Regisseur David McVicar hat "Salome" alle Dekadenzlüsternheit ausgetrieben, mit der Richard Strauss diese Oper zur vergangenen Jahrhundertwende ausgestattet hatte.

Von Christoph Schmitz |
    König Herodes hat Leichen im Keller. Man weiß zwar nicht so genau, ob er wirklich ein König ist oder ein mächtiger Politiker, ein Präsident, vielleicht ein Diktator in den 1930er Jahren, vielleicht ist er auch nur ein gnadenloser Wirtschaftsboss jener Zeit. Jedenfalls hat er bei Regisseur David McVicar viel Macht und geht extrem schlecht mit ihr um. Sein ganzer Palastladen ist von Hass, Angst, Unterdrückung und Missbrauch gepackt. Jeder tritt kräftig nach unten.

    Und das Unten ist vor allem sichtbar auf der beklemmend bedrohlich gestalteten Bühne von Es Devlin: Man sieht nur die Kellerräume eines Gebäudes, grau-verschimmelte Wände, schmutzig-weiße Kacheln, nackte Glühbirnen. Hinten links hängt eine geschlachtete Sau, der abgeschlagene Kopf liegt rechts. Zwei nackte Frauen ziehen mit schweren Bewegungen wieder ihre Hausmädchenkostüme an, sie sind von den Soldaten, die das Verlies des Jochanaan bewachen, vergewaltigt worden. Scheint hier üblich zu sein. Von der feinen Gesellschaft sieht man im Stockwerk darüber nur die Beine. Kellner gehen eine Wendeltreppe auf und ab.

    Die Inszenierung hat dieser Oper alle Orient-Exotik und alle Dekadenzlüsternheit des Fin de Siècle ausgetrieben. Was sich auch auf die Empfindung der Musik auswirkt. Die Schärfen der Dissonanzen, die harten Rhythmen, die ständigen Wechsel der Tonarten, vor allem die permanenten Motiv-Wiederholungen wirken bedrohlich. Der Dirigent des Königlichen Opernorchesters, Philippe Jordan, legte großen Wert auf den unerbittlichen Charakter dieser Musik, was ihm bei der Premiere gestern Abend gut gelungen ist.

    So wird auch aus Salomes "Tanz der sieben Schleier" für Onkel Herodes, damit sie Jochanaans Kopf bekommt, kein hübsches Räkelvergnügen: McVicar hat den Tanz von der Bühne gejagt. Er deutet das neunminütige Orchesterstück als Rückblick in die Geschichte eines Kindesmissbrauchs, von Herodes an Salome, in sieben gespielten Szenen. Der alte Bock vergeht sich am Mädchen, an der Jugendlichen, an der Frau, und jetzt gibt sich ihm Salome freiwillig hin.

    Denn - so die kluge Psychologie dieser Londoner Inszenierung - da Salome gegenüber Herodes in der Opferrolle bleibt, kann sie sich nur durch den Tod Jochanaans am Mann rächen, einerseits. Andererseits ist Jochanaan der Einzige, der sie nicht bedrängt hat. Doch ihn kann sie nur mit Gewalt gewinnen.

    Und hier erhält die Pathologie ihre stärksten Bilder: Ein nackter Wächter kommt blutbeschmiert mit dem Kopf des Heiligen aus dem Verlies, und die weißgekleidete Salome schließt die Trophäe in ihre Arme, schleppt sie hinter sich her, küsste sie auf dem Rücken liegend wie in einer wirklichen Umarmung. Das spielt Nadja Michael sehr gut. Überhaupt ist sie eine ausgezeichnete Darstellerin, weswegen die schlanke blonde Germanin wohl an der Scala in Mailand kürzlich von der italienischen Kritik als Salome gefeiert wurde.

    Leider hat sie aber vor Jahren einen Fachwechsel gewagt, vom Mezzosopran zum Sopran, was sich in der Londoner Premiere als Fehler erwies. Die hohen Lagen blieben durchweg farblos, die höchsten Töne klangen immer schrill. Nur bei den kurzen Ausflügen in den Mezzobereich kam es zum Wunder des dunklen Glanzes. Michael Volle als Jochanaan dagegen ist ganz auf der Höhe seiner Kunst. Sein Bariton ist reif, voluminös, wendig. Leider ist Thomas Moser als Herodes krankheitsbedingt ausgefallen und wurde durch Robin Leggate ersetzt. Er hat ordentlich mitgemacht, lieferte aber nicht den Zynismus, wie man ihn bei Moser hätte erwarten können.

    Der Zynismus der Macht und wie er den Menschen in eine Bestie verwandelt, das ist der Kerngedanke dieser Inszenierung. Das haben Bilder und Musik dem Zuschauer im Opera House schmerzhaft eingeimpft.