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Des einen Unkraut - des anderen Geschäft

In Boltenhagen in der Nähe von Greifswald haben ein Koch und ein Garteningenieur eine verblüffende Geschäftsidee umgesetzt und ein Unternehmen aufgezogen, das inzwischen zum Trendsetter geworden ist: Das, was andere als Unkraut verschmähen, wird von den "Essbaren Landschaften" an deutsche Spitzenrestaurants geliefert.

Von Almuth Knigge |
    Gutshaus Boltenhagen, Nordvorpommern, Rosamunde-Pilcher-Idylle zwischen uralten Hainbuchen, Eschen und Kastanien.

    "... hier sieht man zum Beispiel auch wieder was Essbares und zwar ist das ne essbare Blüte. Das ist ein Strauch von Zierquitten die haben ein ganz feines Bittermandel-Aroma. Das ist ne sehr dekorative Blüte, die auch noch nach was schmeckt."

    Ralf Hiener, Spitzenkoch aus dem Schwarzwald, ist ein Teil des Geschäftsführer-Duos der "Essbaren Landschaften" – Er läuft über seine Streuobstwiese, knipst hier eine Blüte ab, und da einen Stängel und probiert mit Genuss die Wiese hinter seinem Haus."

    "Ich war damals erster Kunde von meinem Kompagnon und so bin ich relativ schnell dahinter gekommen, anhand der Resonanz meiner Gäste, das war schon enorm, was da an Feedback von den Gästen kam und so war ich sehr schnell infiziert, und hatte dann Ruckzuck innerhalb von einem halben Jahr rund 40 Kräuter in meine Speisekarte integriert."

    Im Jahr 2000 gründete Ralf Hiener mit seinem heutigen Partner Olaf Schnelle die "Essbaren Landschaften". Auf den fünf Hektar Ackerland kultivieren der Koch und der Garteningenieur Franzosenkraut, Geißfuß und Vogelmiere – vermeintliche Unkräuter, die jeden Hobbygärtner zur Verzweiflung treiben. Schnelle und Hiener aber haben damit den Kräutertrend in Deutschland angeschoben. Klettenlabkraut, Kerbel, Giersch, Taubnesseln, Schafgarbe, Speisechrysanthemen Magentamelde und Spitzwegerich bereichern seit gut sechs Jahren die Speisekarten von gut 500 gehobenen Restaurants in ganz Deutschland.

    "Na das sind doch vorwiegend Kunden aus den alten Ländern oder Kunden, die schon mit Michelin-Sternen bestückt sind und die sind ja ständig auf der Suche nach was Neuem."

    Des einen Unkraut – des anderen Geschäft - und das floriert. Beim Umsatz - gut 500.000 Euro im letzten Jahr. Der Gewinn ist noch nicht so üppig. Denn außer Schnelle und Hiener kümmern sich inzwischen zehn Angestellte um Gärtnerei und Versand, im Sommer helfen sieben Saisonkräfte bei der Ernte. Schon früh morgens vor Sonnenaufgang tummeln sich die Erntehelfer aus der Region auf dem Feld, damit die Kräuter spätestens am anderen Morgen in den Restaurants eintreffen. Das kostet …

    "Das ist doch im oberen Preissegment angesiedelt, weil anders kann man das gar nicht betreiben - das ist arbeitsintensiv - was wirklich teuer ist, das sind die Arbeitskräfte, das muss man einfach sagen, das ist ne Handernte im Miniaturbereich, handverlesen, ganz klein abgeknipst und wird dann sorgfältig gewaschen und verpackt und dann geht das raus und das ist schon so angesiedelt, dass manche Köche das vergleichen mit Kaviar."

    Allerdings gibt's die Kräuter nicht im Winter - da machen die beiden Pause. Die Kräuter sind ein Saisongeschäft mit allen Risiken, die auch auf Umsatz und Gewinn durchschlagen können. Vor zwei Jahren beispielsweise wurde ein Teil der Ernte vernichtet, weil auf einem Nachbarfeld Pestizide ausgebracht wurden, die sogar den extra breiten Schutzstreifen überwanden.

    Der einzige Kompromiss beim Anbau sind zwei Folienzelte - damit im Frühjahr auch empfindliche Sorten vermehrt werden können – wie die zehn Basilikumsorten zum Beispiel – oder Minze und Fenchel. Tatsächlich sind die Kräuter das einzige Kapital, was die beiden haben, denn dem Existenzgründerkredit haben sie Land und Hof gepachtet, ein paar Computer gekauft – das war's. Heute, meint Ralf Hiener, wäre so etwas nicht möglich.

    "Im Jahr 2000, als wir gegründet haben, war das Investitionsklima ja noch anders - also wenn wir heute hingehen würden und dem Banker sagen würden, zwei Jungunternehmer, wir wollen Unkraut verkaufen, da hätten wir wohl ein Problem. Aber damals 2000 wurden wir noch mit offenen Armen empfangen und haben einen Geschäftskredit bekommen, um hier einfach zu starten."

    Doch das Konzept ist aufgegangen. Im Büro im Gutshaus klingelt in einer Tour das Telefon – die beiden sind bei den Medien begehrt – die "Essbaren Landschaften" sind längst eine Marke geworden. Ralf Hiener und Olaf Schnelle - zwei Querdenker und Mutmacher in der vorpommerschen Wildnis, die noch viele weitere Ideen im Kopf haben…

    "Natürlich werden wir auch bei der Verarbeitung der Kräuter weitermachen, also über die Gelees und die Pesti hinausgehen. Salze, Kräutersalze haben wir angefangen zu produzieren, also die Verarbeitungsrange wird sich erweitern."

    Dass der FC Bayern im Jahre 2003 DFB-Pokal-Endspiel klar gegen Kaiserslautern gewann, führen Schnelle und Hiener nicht unmaßgeblich darauf zurück, dass die Bayern-Kicker ihren Wildkräuter-Salat gegessen haben. Die Frage, ob auch Jürgen Klinsmann bei Ihnen bestellt hat, will Olaf Schnelle nicht beantworten – nur so viel.

    "Also wir liefern nach Hamburg - wo sind die untergebracht? Im Park Hyatt - da liefern wir auch hin, aber die Amis kriegen auch die Wildkräuter von uns..."

    Sprach's – und muss schon wieder ans Telefon – die Finanzministerin von Mecklenburg-Vorpommern hat die Crew gebucht, um in der Landesvertretung die Finanzminister der Länder mit einem Kräutermenu zu verwöhnen.