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Des Volkes Stimme

Am Wochenende wird in Berlin gewählt. Irgendwie passend dazu haben jetzt Off-Schauspieler den öffentlichen Raum erobert und - in Sichtweite des Roten Rathauses - die "perfekte Wahlrede" zum Besten geben. Ein Happening der besonderen Art.

Von Christoph Richter |
    "Liebe Parteimitglieder. Ich bin heute vor sie getreten, nicht um irgendwelche Plattitüden abzulassen. Nein, ich bin um ihnen ein wenig von Themen zu erzählen ... ja sie lachen. Man putzt sich die Nase, das sind die einfachen Dinge die im Wahlkampf oft untergehen. Dass der Mensch ein Mensch ist, dem auch mal die Nase läuft ... ."

    Das ist Slapstick pur. Lediglich mit spärlichen Requisiten ausgestattet, wie einer wuscheligen grauen Perücke, stehen zwei Schauspieler einsam vor einer Bretterwand, direkt in Rufweite vor dem Berliner Roten Rathaus, dem Amtssitz des Regierenden Bürgermeisters und improvisieren völlig spontan eine Wahlrede. Das geschieht auf stichwortartige Zurufe aus dem Publikum. Nichts ist vorbereitet, nichts geprobt oder gar abgesprochen. Jetzt soll es um die Rede eines türkischen Parteipolitikers gehen. Vorschläge dazu:

    "..der Türke könnte die Meinung vertreten, dass Religion nicht so ernst genommen werden soll ... Meinst Du? ... Sexualität wäre auch ein interessantes Thema, das Verklemmte, in der Türkei wird da nicht offen drüber gesprochen ..."

    Das Mitwirken Außenstehender ist ausdrücklich erwünscht. Doch während die Erwachsenen eher skeptisch und nur aus sicherer Entfernung zuschauen, kommen Jugendliche, ganze Schulklassen, schnell näher. Bleiben stehen, kichern, machen mit. Ihnen gefällt's, dass es keine Tabus gibt, das alles von ihnen kommen muss, was die schauspielernden Wahlredner sagen, was sie spielen.

    "... Ich bin Jaffa ... ich komme aus der Türkei, und die Türkei ist ziemlich cool ..."

    Was mitunter ein bisschen nach Klamauk klingt, hat dennoch einen ernsten Anspruch. Man will das Publikum für Politik interessieren, auf die Notwendigkeit hinweisen, wählen zu gehen und den Wahl-Reden immer aufmerksam zuzuhören. Das macht man mit Mitteln des Happenings. Und ohne Wenn und Aber. Betont Jakob Wurster. Schauspieler der Improvisationswanderbühne Theatersport die sich seit 16 Jahren dem spontanen Theater verschrieben hat.

    "Wenn wir das überhöhen, wird es auch sichtbar, das Prinzip dahinter. Also ich rede und hab überhaupt gar keine Ahnung, wovon ich rede. Dann lachen die Leute darüber, dann entlarvt sich das. Das ist es auch, was wir immer wieder versuchen, den Leuten klarzumachen, schaut genau hin. Seht genau die Widersprüche, die Widersprüche einer Rede und dann reagier einfach darauf."

    Die aus dem Stegreif entstandenen Wahlreden haben etwas von einer Veranstaltung der Bundeszentrale für politische Bildung. Und sind eine durchaus couragierte Angelegenheit, denn die Schauspieler müssen spontan reagieren und sehr schnell denken.

    "Die perfekte Rede ist die, die auf das Publikum wirklich reagiert, die den Adressaten im Auge hat. Die einfach sachdienlich ist und einfach die Beziehung zum Publikum auch herstellt."

    Klingt einfach. Passiert aber selten, ergänzt Jakob Wurster. Seit 20 Jahren zieht er improvisierend durchs Leben.

    "Das ist schon witzig gemacht ... "

    Die 18-jährige Sinem aus dem westfälischen Lengerich ist begeistert. Mit ihrer Klasse ist sie auf Berlin-Fahrt und zufällig vorbeigekommen ...

    "Die Sachen die sich gewünscht werden, werden sehr gut umgesetzt. Ja, die Komik steht im Vordergrund. Das gefällt mir sehr."

    Brillante politische Reden sind allerdings nicht der Normalfall. Man erinnere sich nur an das Gestammel eines Oettinger oder Stoiber. Dass es auch anders geht, zeigen die faszinierenden Bundestags-Duelle zwischen Wehner und Strauß aus den 70er- und 80er-Jahren.

    Die Grundvoraussetzung für eine gute Rede sei, dass man etwas von der Sache verstehe, über die man sprechen wolle. Betont Jakob Wurster einer von rund 200 Berliner Improvisationsschauspieler - die allesamt professionell ausgebildet sind, die eine ungeheure Kreativität, Energie und ein überbordender Ideenreichtum verbindet.

    "Ich glaube wenn einer Erfahrung hat und selber Geschichten erzählen kann, dass er dann Visionen rüber bringen kann. Das war ja auch eine ganz starke Sache, wie seinerzeit Obama die Leute überzeugt hat. Das heißt, wenn eine persönliche Anbindung da ist und man merkt, der redet, weil er von sich selber redet. Er redet nicht weg von sich, sondern er geht von sich aus. Das ist glaub ich, ist was ganz Elementares."

    In konsequenter Tradition Erwin Piscator's politischen Theaters, wollen die Berliner Improvisationskünstler das Publikum mit der Realität konfrontieren, will man nah dran sein: am Leben und an der Politik.

    "Meine Damen und Herren, lassen sie mich schließen. Mit folgender These: Wenn ein Mensch sich die Hand reicht, mit einem anderen Menschen, dann ist das ein gutes Zeichen. Danke."